Kolumne vom Quatsch Comedy Club Danke, Youtube – wer braucht schon real life?

Nils Heinrich sinniert über Wetter-Apps und meteorologische Amateur-Berichterstattung auf Youtube.

© Stefan Maria Rother
Ist das nicht herrlich? Dass man heute sofort über alles Bescheid weiß. Zum Beispiel weißt du ja dank der WetterApp auf dem Handy, wie draußen das Wetter ist. Das ist sehr wichtig, vor allem, wenn man gerade draußen unterwegs ist. Die meisten Leute, die permanent auf ihr Display starren, wollen ja nur wissen, wie das Wetter ist.

Sie sind nicht mehr in der Lage, ihren Kopf nach oben zu biegen, sie haben, seit sie vier Jahre sind, einen steifen Hals. Es gibt immer mehr Menschen, die trotz Wetter nicht wissen, wie das Wetter ist. Es regnet junge Hunde, der Himmel ist finster, aber sie stehen da mit ihren wasserdichten Xperia und sagen voller Überzeugung, dass jetzt im Moment gerade die Sonne scheint. Sagt ihre WetterApp. Und die WetterApp hat immer Recht. Immer! Deine WetterApp ist wie deine Mutter. 

Wenn du mit deiner Mutter telefonierst, weißt du ja auch immer, wie das Wetter ist. Und wie es war. Vorvorgestern, um 14:15 Uhr. Ganz genau weißt du das. Denn du hast es dir eingeprägt, als du vorvorgestern um 14:15 Uhr mit ihr telefoniertest. Merke dir, wie das Wetter vorvorgestern war. Das ist besser für dich, denn sie fragt dieses Wissen beim nächsten Anruf in zwei Tagen ab!

Tausende freie Berichterstatter

 

Man braucht ja auch nach einem Gewitter keine Nachrichten mehr gucken. Da sieht man eh nur Feuerwehrmänner und Feuerwehrautos und Blaulicht. Und Schläuche, die sich in vollgelaufene Keller bohren. Die besten Aufnahmen diverser Unwetter gibt‘s auf YouTube. Tausende freie Berichterstatter stehen bei Regen zuhause am offenen Fenster und halten drauf. Sturm, Hagel, Gewitter in HD. 

Gerne kommentiert mit erregtem Atmen. Und hüsteln. Und „Boah, krass.“ Dann dreht sich die Kamera rum und der Besitzer filmt sich selber, er muss ja moderieren, was er da filmt: Erstmal kommen persönliche Grüße an alle YouTube Abonnenten: „So, liebe Unwetterfreunde … hier ist krass was los, wie ihr sehen könnt. Und jetzt schwimmen wir erstmal durch die Wohnung …“

Man hat als Suchbegriff bei YouTube „Sturm Hagel 2014“ eingegeben. Und krault mit seinem Unwetterfreund durch die Wohnung. „Da ist das Schlafzimmer, hier das Wohnzimmer, da der Flur“ – es ist stockfinster, der Strom ist ausgefallen. Du siehst nichts, aber das in HD! „So, hier ist alles dunkel, der Strom ist ausgefallen. Draußen ist nämlich Unwetter.“ Ach! „Das ist meine Mutter. Mutti, sag mal Hallo! Mutti, wie ist das Wetter?“

Das sind die Dinge, die man im Fernsehen 
leider nicht hört 

„Hab ich dir doch vorvorgestern am Telefon gesagt!“ Das ist doch toll. Und das sind Dinge, die man im Fernsehen leider nicht hört. Da gibt’s Unwetterfilme immer mit Kommentaren wie „Sintflutartige Regenfälle ergossen sich über die Innenstadt von Düsseldorf.“ Das sehe ich!!! Das braucht man mir nicht erzählen, während ich es sehe. 

Da gucke ich mir doch lieber einen saftigen YouTube-Film an, der die sintflutartigen Regenfälle zeigt. Aufgenommen mit einem wasserdichten Smartphone. Und aus dem Off höre ich eine erregte Stimme: „Hmmmmm! Krass. Boah!“ Und weiter entfernt ruft jemand „Komm rein, sonst erschlägt dich der Baum!“ Und noch während der Baum in Zeitlupe auf das wasserdichte Handy zurast, das so stoßfest ist, dass ihm auch der Vollkontakt mit einer vorbeifliegenden neunzigjährigen Platane nichts ausmacht, hört man aus dem Off den Smartphonebesitzer stammeln: „Aber hier steht, dass es heute sonnig ist bei 25 Grad!! Sagt meine WetterApp. Aua! Mutti? Mutti!!!“ 

Infos: Nils Heinrich tritt vom 26. Bis 29. Mai in der Live Show des Quatsch Comedy Clubs auf und präsentiert sein Solo „Mach doch‘n Foto davon!“ am 14. Juni in den Wühlmäusen. Seine aktuelle CD zur Show ist erschienen bei wortart.