Kulturspaziergang Der Wannsee erzählt seine Geschichten

Entlang des Wannsees gibt es einiges zu entdecken: Das Grab eines glücklosen Dichters, eine Insel mit kulissenhaften Bauten und eine Brücke über die Havel mit einer Geschichte für Hollywood.

Der Spätsommer lockt die letzten Badefreudigen zum Wannsee. Wer lieber Lust auf eine Wanderung oder Radtour hat, kann entlang des Sees einiges entdecken: Das Grab eines glücklosen Dichters, eine Insel mit kulissenhaften Bauten und eine Brücke über die Havel mit einer Geschichte für Hollywood.

© Hendrik Rohling

„Als ob die Zeit selbst hier ihre Richtung verlöre.“ So beschreibt Thomas Hettche in seinem Roman „Pfaueninsel“ den Flusslauf der Havel, der im Wannsee scheinbar verschwindet. Genauso fügen sich die Orte um den See keiner fortlaufenden Geschichte. Auch unsere Wanderung beginnt nicht mit dem Anfang, sondern dem Ende: dem Tod eines großen Literaten, der im Leben nicht die verdiente Anerkennung erhielt. Das Grab Heinrich von Kleists liegt am Ostufer des Kleinen Wannsees. Der Autor von „Der zerbrochne Krug“ nahm sich hier und seiner Begleiterin 1811 das Leben. Bis in den Herbst hinein besteht die Möglichkeit, die letzten Stationen seines Lebens mit einem Hörspiel zu durchlaufen (Infos auf www.kleistdenkmal.de). 

Am Yachthafen vorbei gelangen wir zur ehemaligen Villenkolonie Alsen. Das Berliner Großbürgertum errichtete hier seit Ende des 19. Jahrhunderts seine prächtigen Sommerresidenzen. Das letzte Grundstück bebaute der impressionistische Maler Max Liebermann. Im Haus befindet sich eine Ausstellung zum Leben der Familie und zu seinem Werk.

Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, kommentierte Liebermann das mit den Worten: „Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte.“ Zwei Jahre später verstarb der jüdische Künstler. Seine Frau wählte 1943 vor der Deportation den Freitod. Nur wenige hundert Meter von der Liebermann-Villa hatte ein Jahr zuvor jene Tagung stattgefunden, die heute als Wannseekonferenz bekannt ist. Zum geheimen Treffen hatte die SS Vertreter der Ministerien eingeladen. Die BBC-Verfilmung von 2001 zeigt sehr gut den unfassbaren Widerspruch: Wie sich 15 Männer bei einem reichhaltigen Buffet in einer schönen Jugendstil-Villa über die Ermordung aller europäischen Juden unterhalten können. Das Ob war zu diesem Zeitpunkt gar keine Frage mehr. Es ging nur noch um das Wie, die Organisation von Deportation und Vernichtung, während in den östlichen besetzten Gebieten die Massenmorde bereits im Gange waren. Das Haus der Wannseekonferenz enthält eine umfangreiche Ausstellung zum Holocaust, die den Blick auf den See schwer erträglich macht. So nah liegen Grauen und Idylle beieinander.

© Hendrik Rohling

Auf der anderen Seeseite befindet sich das Strandbad, das nach dem Krieg zum beliebtesten Wochenendziel der eingeschlossenen West-Berliner wurde. Der Hit „Pack die Badehose ein“ erinnert daran.

Freilaufende Pfauen

Nach weiteren Kilometern immer entlang des Wannseeufers gelangen wir zur Pfaueninsel, die per Fähre ganzjährig zu erreichen ist. Neben etwa 30 freilaufenden Pfauen beheimatet sie auch friedlich grasende Wasserbüffel. Der einstige Rückzugsort der preußischen Könige birgt eine kulissenartige Parallelwelt. Die steinerne Fassade des Schlosses etwa entpuppt sich als bemaltes Eichenholz. Der Bestseller von Thomas Hettche bedient sich dieser künstlichen, romanhaften Welt. Anhand des Lebens seiner kleinwüchsigen Protagonistin erzählt er, wie sich das Verständnis von Natur, des Kuriosen und Monströsen im Laufe der Zeit ändert.

© Hendrik Rohling

Zurück auf dem Festland geht es weiter auf einem Teil des Mauerwegs, dem 160 Kilometer langen Rad- und Wanderweg entlang der ehemaligen Grenze. Über uns ragt St. Peter und Paul auf, die mit ihrem Zwiebelturm an russisch-orthodoxe Kirchen erinnern soll. Zu jeder Stunde erklingt ihr Glockenspiel. Eine andere Kirche erblicken wir zwei Kilometer weiter auf der anderen Seite der Havel: die Sacrower Heilandskirche, die vor der Wende in dem unzugänglichen Niemandsland des Grenzgebietes verfiel und danach umfassend renoviert wurde. Zur Linken des Weges beginnt der Glienicker Park. Das Schloss liegt am Südende dieses englischen Landschaftsgartens.

Unsere Wanderung endet an der Glienicker Brücke, die Berlin und Potsdam verbindet. Nach Süden eröffnet sich ein traumhafter Blick auf Park und Schloss Babelsberg. Auf der Brücke tauschten einst Ost und West Spione und politische Gefangene aus. Die Verhandlungen zu solch einem Austausch schildert der Hollywoodfilm „Bridge of Spies“ aus dem vergangenen Jahr. Gedreht wurde auch vor Ort, auf der Brücke über die Havel.

Text: Hendrik Rohling