"Ich habe immer gehofft, zu so etwas seien die Deutschen irgendwie nicht mehr in der Lage" Interview mit Ullrich Matthes über Gewalt und Ordnung

Das Deutsche Theater inszeniert „Das Feuerschiff“ nach einer Novelle von Siegfried Lenz. Ulrich Matthes spielt den Kapitän Freytag und spricht mit uns über Gewalt und Ordnung im Stück, aber auch in der Welt.

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Ulrich Matthes spielt den Kapitän Freytag in dem Stück „Das Feuerschiff“, das im März Premiere am Deutschen Theater feiert. Freytag rettet Schiffbrüchige, darauf prallen an Bord Ordnung und Gewalt aufeinander – Assoziationen zu aktuellen politischen, europäischen Fragen drängen sich auf. Wir sprechen mit Ulrich Matthes im Interview unter anderem darüber.

Herr Matthes, spiegelt das Feuerschiff die aktuelle Lage in Europa wieder, ist das ein Referenzpunkt der Inszenierung?

Nicht so direkt, nicht eins zu eins. Aber es ist ein Abend, der zu dieser Assoziation anregen könnte, wobei es dann allerdings eher um den Umgang mit Gewalt ginge. Die Flüchtlinge spielen da keine Rolle, sie sind ja keine Gewalt, sondern Flüchtlinge. Das wäre ein falscher Vergleich. Kapitän Freytag, den ich spiele, möchte eine reale und metaphorische Ordnung halten, auf dem ihm überlassenen Gebiet. Bei ihm ist es das Feuerschiff, das irgendwo vor Anker geht und für die anderen Schiffe Ordnung und Sicherheit bietet. Das kann man, wenn man will, mit einer staatlichen Ordnung assoziieren. Im Stück gibt es dann eine Bedrohung von außen, die man mit Gewalt oder Terrorismus assoziieren könnte. Wie geht man nun also mit der Bedrohung um, das ist eine wesentliche Frage des Stückes. Da gibt es Freytag, den Vater, und seinen Sohn, Fred. Der Sohn ist für Aktivismus: Abknallen, Einsatz von Waffen. Und der Vater besteht immer und immer wieder auf der Ordnung. „Es soll Ordnung herrschen auf dem Schiff, ich bin altgedient, und das Schiff ist zuverlässig“, sagt der Kapitän. „Es ist bewiesen, dass es mit diesen Prinzipien von Ordnung und von Moral funktionieren kann. Und: Wir dürfen uns jetzt durch die Bedrohung von außen unserer Prinzipien nicht berauben.“ Der Sohn beharrt aber auf seinem Aktivismus, da er die konkrete Gefahrensituation sieht. Diese Art von Generationskonflikt, auch der Konflikt zweier Prinzipien, ist Teil des Stücks.

Sein Gegenspieler ist Doktor Caspary, der sich mit Freytag intellektuelle Auseinandersetzungen liefert.

Ja, und dieser Doktor Caspary meint: „Jeder Mensch hat sich im Leben irgendwann schuldig gemacht. Sie, Kapitän, tun so, als hätten sie sich noch nie schuldig gemacht. Das gibt es aber gar nicht. Jeder Mensch hat in seinen Leben ab einem bestimmten Alter etwas gemacht, für das er zwei Jahre ins Gefängnis wandern kann.“ Das ist im Grunde genommen eine existenzialistische Position. Caspary sagt: „Tun sie doch nicht so, als seien sie der Obermoralapostel, sie sind doch genauso schuldig wie ich. Sie gehen mit ihrer Schuld nur anders um. Und versuchen die Prinzipien aufrecht zu halten, die Sie aber längst schon ausgehöhlt haben, dadurch, dass Sie sich schuldig gemacht haben.“

Sie sind politisch sehr interessiert. Wie nah geht Ihnen bzw. wie wütend macht Sie die derzeitige Gewalt in Deutschland und der Welt?

Die geht mir sehr nah. Da ist eine Gruppe, wie groß die auch immer sein mag, deren politische Ansichten ich nicht teile, um es mal vorsichtig zu sagen. In jedem Land der Welt gibt es Vollidioten, das ist einfach so. Aber dass diese Haltung, die ich als reaktionär empfinde, jetzt in die Mitte der Gesellschaft hinein wächst, finde ich absolut schrecklich. Das bewegt mich sehr. Dass eine Partei wie die AfD ein Potenzial von 15 Prozent der Wählerstimmen hat, ist erschreckend. Und diese Art von Hass, die da momentan durchs Internet fegt, finde ich wirklich besorgniserregend. Ich habe immer gehofft, zu so etwas seien die Deutschen irgendwie nicht mehr in der Lage.

Was ist neben diesen Aspekten für sie persönlich der Reiz gewesen, dieses Stück anzugehen?

Mich hat besonders die konzentrierte Form dieser Novelle von Lenz gereizt, die Frage, wie man das auf die Bühne bekommt. Ein „It’s Showtime“- Abend wird das sicher nicht, sondern, im besten Fall, ein hochkonzentrierter, intensiver Austausch von möglichen Positionen. Wobei ich übrigens auch große Lust an Verkleidungsorgien habe! (lacht) Darüber hinaus ist die Konstellation der beteiligten Menschen für mich interessant: Josua Rösing, bisher Regieassistent am Haus, den ich für begabt halte. Mein wunderbarer Kollege Hans Löw als Gegenspieler und zwei tolle junge Schauspieler, Timo Weisschnur und Owen Peter Read, an unserer Seite. Hoppla – war das jetzt zu viel Vorschusslorbeer…?

Info: 

Ulrich Matthes, 55, kommt aus Berlin, hat bereits früh mit der Schauspielerei angefangen. Seine Eltern schützten ihn aber vor einer Kinderstar-Karriere, worüber er ganz glücklich ist. Die Waltons („Gute Nacht, Mary Ellen! Gute Nacht, John Boy!“) durfte er trotzdem synchronisieren. Im preisgekrönten Tatort „Im Schmerz geboren“ spielte er den Bösewicht und erhielt dafür die Goldene Kamera als „Bester Schauspieler National“. Seit 2004 ist er festes Ensemblemitglied am Deutschen Theater.

Premiere von „Das Feuerschiff“ ist am 5.3. im Deutschen Theater, Schumannstraße 13a, 10117 Mitte 

Interview: René Tauschke