Ein Tag mit: Tattoostudio Nadelarbeit

Wir haben den Tätowierern bei der Nadelarbeit über die Schulter geschaut.

Tattoos – Wer einmal anfängt, so die Legende, lässt es entweder bei der einen Tätowierung bewenden oder kann dies als Ausgangspunkt einer Jahrzehnte dauernden Sucht in seinem Kalender anmarkern. Wir waren einen Tag lang zu Gast bei „Nadelarbeit“, eines von Dresdens angesagtesten Tattoo-Studios, und haben den Nadelkünstlern bei der Arbeit über die Schulter geschaut.

Angefangen hat alles mit äußerst primitiven Mitteln, in tiefster DDR-Zeit: „Ich hab irgendwann mitgekriegt, dass es Tätowierungen gibt – Auslöser war ein Piraten-Film – und fand das unfassbar spannend! Ein älterer Mann aus dem weiteren Umfeld hat mir dann ‚erklärt‘ wie das geht und dann habe ich einfach ein paar Nadeln mit Perlonfaden an einer Zahnbürste festgemacht und los ging‘s!“, erzählt Falko Haude, inzwischen professioneller Tätowierer und Inhaber des Studios „Nadelarbeit“ in Löbtau. Schlau: Seine ersten Gehversuche im Tätowieren unternahm er nicht bei sich selbst, sondern bei den Mitgliedern seiner Jugendgang.

Heute, als Profi, kann er darüber zu Recht froh sein: „Wir haben die Farben damals selbst angemischt, aus Ziegelstein und Marmeladensaft – Dank DDR-Chemie erwies sich das sogar als überraschend haltbar!“ So lustig die Anekdoten aus alten Zeiten auch sind, so sehr distanziert sich der Profi heute davon: „Natürlich ist Hygiene, eine gute Qualität der Farben und professionelles Equipment das A&O – ohne das dürfte und will ich auch gar nicht mehr arbeiten“. Tatsächlich gelangte mit der Wende immer professionelleres Zubehör in den Fokus, außerdem Tätowierer „von drüben“, die neue Techniken, Erkenntnisse und Erfahrungen überlieferten.

Nach vielen Jahren als Gast-Tätowierer betreibt Falko nun seit vier Jahren das Studio „Nadelarbeit“ mit vier Tätowierern und zwei Lehrlingen. Da „Tätowierer“ bis heute kein anerkannter Ausbildungsberuf ist, verläuft die Ausbildungszeit je nach Einsatz ziemlich kurz. „Bewerben kann sich bei uns jeder, der über zeichnerisches Talent verfügt und Lust hat, das auch als Tätowierer auszuleben“, so Falko. Entscheidend ist aber letztendlich die Teamkompatibiliät: „Alle angehenden Azubis machen ein Praktikum. Ob jemand danach wirklich bei uns anfängt, ist aber immer eine Teamentscheidung. Wer hier seine Ausbildung absolviert, bekommt bei uns auch einen festen Job im Anschluss.  Mir ist wichtig, dass es im Team funktioniert, dass es kein Theater gibt“, sagt Falko.

Was denn eigentlich das „Arschgeweih 2016“ ist, will ich wissen, und vermute die (von mir so empfundene) Unart, den Namen seines Kindes nebst Geburtsdatum auf den Unterarm zu bannen – könnte ja sein, dass man sonst irgendwann mal vergisst, was einem so wichtig ist. Gelächter ist die Quittung, mein Beispiel wird aber auf Platz 2 der Hitliste verbannt. Abgelöst wurde das Arschgeweih tatsächlich von liegenden Achten, dem Unendlichkeitszeichen in allen Variationen, gern versehen mit Namen und Daten. Tabu-Motive gibt es tatsächlich kaum: “Wir stechen keine Kriegsabbildungen und keine antisemitischen Motive – ansonsten haben wir natürlich Bedenken, wenn ein junges Mädchen sich den Namen des Freundes stechen lassen will, oder umgekehrt. Wir versuchen, da einzuwirken. Wenn wir merken, dass das gar keinen Sinn hat, machen wir es aber lieber vernünftig als jemand im Hinterhof“, so der Profi.

Cover Ups, Übertätowierungen alter Motive, werden dennoch häufig angefragt – dauerhaft mit einer Entscheidung zu leben, scheint nicht mehr so leicht in dieser schnelllebigen Zeit. Bei der Verschönerung von Volker darf ich live dabei sein. Er hat sich erst mit Ende 20 für ein Motiv entschieden: „Ich wollte immer schon ein Tattoo, allerdings hat es Jahre gedauert, bis ich etwas gefunden hatte, hinter dem ich dann auch wirklich stehen kann“. Da er als Dachdecker viel der Sonne ausgesetzt ist, sind die Schattierungen etwas verblasst und werden heute kostenlos nachbearbeitet.

Während der kompletten Sitzung wirkt Volker gänzlich schmerzbefreit – es hat den Anschein, als würde Falko lediglich mit einem Edding sanfte Bahnen auf seiner Brust ziehen. „Ich merke das kaum“, grinst er und dass er von Berufs wegen Einiges gewohnt sei. Tatsächlich habe ich durch ihn den trügerischen Eindruck, es täte überhaupt nicht weh – „Doch, tut es“, sagt Falko. Woran erkennt man eigentlich ein gut gestochenes Tattoo? „Narbenbildung und Erhabenheit sind nicht gut“, erklärt der Profi, „aber auch oft das Resultat mangelhafter Pflege. Es gibt halt verschiedene Dinge zu beachten: Sonne vermeiden, regelmäßige Pflege, nicht kratzen – wer das nicht tut, der wird langfristig Probleme kriegen.

Und für die Folgen kann man da eben nicht den Tätowierer zur Verantwortung ziehen!“ Für mich zumindest steht fest: Auch, wenn ich Tätowierungen lieber an anderen mag: Sollte sich das ändern, fühle ich mich hier schon allein aufgrund der zeichnerischen Talente, die ich erleben durfte und der Dynamik im Studio echt gut aufgehoben. Teamwork wird hier groß geschrieben und der Spaß kommt nicht zu kurz! Auch Volker ist zufrieden: Eingepackt in Frischhaltefolie und T-Shirt könnte man denken, rein gar nichts sei passiert. Es gibt sie noch, die harten Kerle.

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