Interview mit Milliarden

Schon mal was von Johannes Aue und Ben Hartmann gehört? Den beiden Jungs von Millarden? Nein? Na dann aber schnell mal hier einen Blick reinwerfen!

„Oh Chérie, damit ich deine Liebe spüre, schlägst du mir den Schädel ein“, tönen Milliarden in einer ihrer Singles und machen damit die amour fou in all ihrer Widersprüchlichkeit zum Thema.  Den Widerspruch ziehen die Berliner gerne konzeptionell durch: So verbrachte etwa Sänger Ben Hartmann seine musikalischen Lehrjahre in Punkbands, während Johannes Aue auch gerne mal ein paar dramatische Coldplay-Klassiker am Klavier klimperte. Meist als Duo wahrgenommen, sehen sich Hartmann und Aue vielmehr als Doppelspitze einer Band, deren Sound zwar keine Neuerfindung ist, dank ihrer Texte aber frisch und jung klingt. Bevor am 26. August ihr Debütalbum „Betrüger“ erscheint, hat urbanite die beiden Jungs in der heißen Phase vor dem Release getroffen. 

 

Im Video zu „Oh Chérie“ vermöbelt ihr euch gegenseitig mit Lilith Stangenberg, wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Ben: Unser Regisseur kannte sie und ich kenne sie auch schon lange über viele Ecken – als Schauspielerin finden wir sie sowieso toll. Wir haben sie dann getroffen und es hat sofort gepasst, ein super Dreh, seit dem wir auch in Kontakt stehen.

Johannes: Das Video ist jetzt gesperrt, es ist ab 18, weil man einmal durch die Bluse kurz Brustwarzen sieht und wir ja auch nackt rumlaufen.

Ben: Ja, es ist schon lächerlich, aber auch OK. Nur hätte man es dann eben auch noch krasser machen können.

Wie seid ihr zu dem Bandnamen gekommen?

Ben: Ich habe mal an einem alten Theater, einem dieser Kulturhäuser, die immer beschützt und zu 90 Prozent subventioniert werden, gesehen, dass einer in großen roten Lettern an die Säulen „Milliarden“ geschrieben hatte. Alle haben sich über die Verschändung natürlich erbost, aber eigentlich war das der klügste Kniff, den man hätte machen können, weil man die absurdeste Konstante, die es in der Gesellschaft gibt, in den einzigen Raum rein verortet, der noch erlaubt, absurd zu denken: den Kunstraum. Seit 2007 ist „Milliarden“ einfach eine Punchline für unsere Zeit, ein Wort, mit dem permanent jongliert wird, mit dem eigentlich jeder einen Umgang hat, das aber völlig absurd ist. Es werden die ganze Zeit Milliarden Sachen um die Welt transferiert – alles hängt immer an solchen Zahlen. Ich weiß nicht, wann es mal Millionen waren, irgendwann wurden es aber Milliarden. Und eigentlich hat dazu niemand einen Zugang, es ist so ein widersprüchliches Wort. Wir beide sind  uns in dem, was wir machen, auch so widersprüchlich – zu uns passt das Wort.

Obwohl eure Texte oft von der Liebe und persönlichen Befindlichkeiten handeln, werdet ihr doch auch immer als politisch motivierte Band gesehen. Forciert ihr das?

Ben: Bei uns gibt es Liebeslieder, aber auch Lieder über die Dystopie und die Auferstehung der Utopie, wir haben verschiedenste Lieder. Und dann gibt es auch eine Plattenfirma und die nehmen natürlich auch gerne Befindlichkeitssongs als Singles, weil sie Menschen berühren.

Johannes: Wir legen es nicht derbe darauf an, dass wir ein politisch engagiertes Lied rausbringen. Das würde mich auch nerven, wo wir stehen, soll man bestenfalls ja aus dem Kontext der Lieder begreifen.

Ben: Wir wollen uns in einem künstlerischen Diskurs bewegen und nicht Allgemeinplätze à la „Nazis sind blöde“ scharf ziehen.

„Die größte Angst ist, wir werden zum Denkmal und nicht zum Aufstand“, singt ihr in  „Schall und Rauch“ – woher diese Angst?

Ben: Ganz simpel gesagt ist es die Angst vor Stillstand. Komplexer betrachtet ist es das, was Heiner Müller sagt, wenn er über Dekonstruktion und Dekoration innerhalb der Gesellschaft redet. Denkmäler errichtet man ja, um Menschen zu huldigen, man gießt sie in Bronze oder Stein und macht eine Art Religion daraus. Das ist also der erste Moment von Erstarren. Stillstand ist der Beginn des Todes. Das Denkmal ist in meinem Kopf da, um es abzuschaffen. Es sind überholte, festgefahrene Konzepte, die ich auch bei Mitmenschen beobachte und ich möchte mich gerne immer hinterfragen und nicht zu festsetzen, das ist ungesund.

Ben, du hast Wanda in einem Interview als „abgewichste Wiener, die den Rock’n’Roll-Mythos reaktivieren wollen“ bezeichnet. Gilt die Aussage noch immer, und wie war es im Vorprogramm der Wiener Würstchen?

Ben: Ja, das war sehr schön im Vorprogramm. Und abgewichst? Die würde ich immer noch im besten Sinne als abgewichst bezeichnen.  Die bedienen sich einer bestimmten Bildsprache, die Lederjacke, die Zigaretten, den Alkohol und so weiter, das sagen sie ja auch selbst. Vielleicht sind sie auch so, das kann ich von den paar Treffen nicht sagen – ich habe sie zumindest auch immer schön Weißwein trinken sehen. Ich finde es super, wenn Bands polarisieren –  für manche der größte Scheiß und für andere eine Religion.

Wo ist euer Happiness-Faktor größer: Im Proberaum an neuen Songs frickeln oder fertige Songs auf einer Bühne live zum Besten geben?

Johannes: Der Proberaum ist extrem geil, weil wir die besten Leute am Start haben. Da ist der Happiness-Faktor für mich am größten, auch wenn man mal akribisch arbeitet. Vorm Auftritt bin ich immer in so einer Art Loch, ich denke nur noch daran und nach dem Auftritt merke ich, dass ich sehr leer bin, auch wenn es tierisch gut war auf der Bühne. Da ist der Rattenschwanz eben länger.

Ben: Für mich ist es umgekehrt. Ich liebe den Proberaum, aber da muss man sich immer so konzentrieren, damit es gut wird. Auf der Bühne muss man es nur gut spielen und nicht mehr darüber diskutieren. Aber ich bin immer happy, wenn ich mit der Band zusammen bin.

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