Zugfahrt durch Schicksale Buchrezension: „Die stillen Trabanten“ von Clemens Meyer

„Die stillen Trabanten“ von Clemens Meyer beschreibt in 12 Kurzgeschichten das Leben verschiedener Menschen im Osten Deutschlands nach der Wende.

© S. Fischer Verlag
„Die stillen Trabanten“ von Clemens Meyer beschreibt in 12 Kurzgeschichten das Leben verschiedener Menschen im Osten Deutschlands – zum größten Teil nach der Wende. Durch die einzelnen Geschichten werden die Auswirkungen dieser Zeit auf die Bewohner Deutschlands erzählt.

Hochhäuser, die Meyer als „stille Trabanten“ bezeichnet, Ausländerwohnheime, der Umgang mit fremden Kulturen und Religionen, Vorurteile, aber auch die Überwindung dieser – all das prägt das Werk. Die Charaktere treffen durch unterschiedliche Gründe auf fremde Personen, mit denen sie ganz verschiedene Beziehungen eingehen. Mal wird der Fremde zum Kollegen im Spielcasino, mal zum Gesprächspartner, Freund, zur Oma oder zur Liebe.

Die Protagonisten sind nur auf die einzelnen Geschichten beschränkt, ganz offensichtlich werden die Erzählungen aber durch ein gemeinsames Thema verbunden: Die Eisenbahn. Ob als Modellplatte oder durch den Job als Lokführer, Putzkraft oder als Flicker der Schienen für die Eisenbahngesellschaft – irgendwie findet sich die Thematik in fast allen Geschichten. Manchmal wirkt die Sprache Meyers sehr poetisch, wenn er bspw. den Knick der Nase der Jugendliebe eines Protagonisten metaphorisch für das Herz der Person erklärt. Dann wiederum wirken die Charaktere gefühlskalt und abgestumpft, selbst wenn sie dem Tod begegnen.  

Trostlosigkeit, Einsamkeit, Alltagstrott

Und der Tod taucht überall in einer Form auf: ein Mann steht auf den Gleisen, ein Enkel zieht in den Krieg, der Cousin stirbt bei einem Zugunglück … selbst dort spielt die Eisenbahn eine Rolle. Generell sind die erzählten Schicksale von Trostlosigkeit, Einsamkeit und einem Alltagstrott geprägt, aus denen sie nicht entfliehen können. Eher selten hinterlassen die Kurzgeschichten ein hoffnungsvolles Gefühl beim Lesen. Trotzdem schafft es Clemens Meyer, Spannung zu erzeugen. In manchen Fällen steigt die Spannungskurve bis zum Ende der Geschichte und wird dann nicht aufgelöst. Der Leser will mehr erfahren, wird jedoch mit einem anderen Schicksal konfrontiert. Oft wird auch nicht eindeutig geklärt, was geschehen ist. Stattdessen wird viel angedeutet und der Vorstellung des Lesers überlassen.  

Interessant ist der historische Bezug, der sich z.B. in „Die Rückkehr der Argonauten“ und „In unserer Zeit“ erkennen lässt. Einerseits wird auf die griechische Mythologie angespielt, andererseits die Geschichte aus Sicht des Schriftstellers Willi Bredel erzählt. In Meyers Schreibstil lässt sich oft ein fast schon dichterischer Charakter erkennen, denn er wiederholt häufig ganze Phrasen am Anfang von Absätzen, die den Texten eine gewisse Reimform geben. Dies mag auf den ersten Eindruck nicht zur Textgattung passen, verdeutlicht aber möglicherweise auch die verwirrten und unsicheren Charaktere. Auch die Orts- und Zeitwechsel innerhalb der einzelnen Erzählungen machen das Lesen nicht einfach, sondern erfordern ein ruhiges Umfeld.

Fazit: Nicht unbedingt die leichteste Kost.  

© Gaby Gerster

 ÜBER DEN AUTOR:  Clemens Meyer (*1977) lebt in Leipzig und veröffentlichte 2006 mit „Als wir träumten“ seinen Debütroman. Sein aktuelles Werk erschien im Frühjahr 2017.

 INFOS:  S. Fischer Verlag • 272 Seiten • 20€ • ISBN: 978-3-10-397264-1