"Was das Leben lohnend macht" Buchrezension: Johannes Herwig „Bis die Sterne zittern“

urbanite rezensiert Johannes Herwig´s „Bis die Sterne zittern“, ein Buch über den Jugendwiderstand in Leipzig zur Zeit des Nationalsozialismus.

Harro Jäger wohnt mit seinen 16 Jahren direkt am Connewitzer Kreuz in der Adolf-Hitler-Straße 157 – heute über die Grenzen Leipzigs bekannt als Karl-Liebknecht-Straße. Der Roman von Johannes Herwig spielt im Jahre 1936, also drei Jahre vor dem offiziellen Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und einige Monate bevor die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend für alle jungen Erwachsenen zur Pflicht wurde.

© Cover: Gerstenberg Verlag
Zu der Zeit, in der Harro, der Protagonist des Romans, Heinrich, Hilda, Pitt und ihre Freunde kennenlernt, versucht er sich bereits gegen die Mitglieder der HJ zur Wehr zu setzen. Er selbst verurteilt ihre Struktur, die ideologische Ausrichtung und ihre Ziele. Die ihm gleichgesinnte Gruppe von Jugendlichen macht mächtig Eindruck auf Harro. Gemeinsam erlebt er mit ihnen einen aufregenden Sommer, zu dem auch Zeltlagernächte, Rebellion gegen die Eltern, Alkohol und erste sexuelle Erfahrungen gehören. Harro fühlt sich zum ersten Mal in seinem Leben aufgenommen, verstanden, stark und sicher. Die zu Anfang brenzligen Auseinandersetzungen mit der HJ häufen sich jedoch nicht nur mit der Zeit, sondern entwickeln sich zu gewaltsamen und brutalen Kämpfen. Politische Aktionen und kritische Situationen mit Schutzpolizisten und Gestapo folgen. Connewitz wird für Harro das Zentrum seines Widerstands … bis er auf den Rest der Leipziger Meuten trifft.

Jugendwiderstand in Leipzig 

Die Leipziger Meuten, eine oppositionelle Jugendbewegung, die sich dem ideologischen und körperlichen Zugriff der NS-Jugendorganisatoren widersetzte, inspirierten den in Leipzig geborenen Johannes Herwig zu seinem Roman. Zu Beginn handelte es sich bei den Gruppen um lose Vereinigungen, die von staatlichen Institutionen zum Großteil ignoriert wurden. Die Jugendlichen kleideten sich im Stil der bereits zerschlagenden Bündischen Jugend, organisierten sich zunehmend im Laufe der Zeit und leisteten immer größeren aktiven Widerstand gegen die Staatsgewalt. Der Bekanntheitsgrad der Leipziger Meuten – die offizielle Zahl der Mitglieder liegt bei 1.500 – reichte mittlerweile weit über die Grenzen der Stadt hinaus, weshalb die Maßnahmen gegen die oftmals Minderjährigen immer drastischer wurden. Jugendliche wurden wegen Hochverrats verurteilt und in KZ-ähnliche Jugendschulungslager oder ins Gefängnis gesteckt. Bis 1939 wurden auch die letzten Meuten zu Fall gebracht. Viele dieser Details greift Herwig im Roman auf. Dass es sich bei der Geschichte um eine fiktive Erzählung handelt, ist zwar nicht von der Hand zu weisen, trotzdem bezieht Herwig viele historische Situationen mit ein wie beispielsweise den Angriff der Connewitzer Meute auf die Schaukästen der NSDAP. 

„Viele Schauplätze haben sich bis heute kaum verändert“

Als Rezipient fiebert man mit den Hauptcharakteren der Handlung und verliert sich zum Teil in ihren persönlichen Problemen. Dass sich viele Schauplätze der Erzählung bis heute kaum verändert haben, fördert die Identifikation mit den Protagonisten ebenfalls. Trotzdem tritt die politische Situation niemals in den Hintergrund. Die Aussichtslosigkeit der Jugendlichen ist dem Leser durch den historischen Verlauf dabei viel stärker bewusst als ihnen selbst, was Verzweiflung, Hilflosigkeit und Wut hervorruft. Mitgerissen durch die kleinen Erfolgserlebnisse der Gruppe trifft einen die Ungerechtigkeit, grausame Brutalität und Skrupellosigkeit des NS-Staates umso mehr. Doch die Figuren selbst lassen die Hoffnung stets wieder aufkeimen: „Natürlich war es das wert. Das zu sein, was und wie man war oder was und wie mein sein wollte, war das Wichtigste überhaupt. Es war das, was das Leben lohnend machte.

Infos:  Gerstenberg Verlag, 256 Seiten, ab 14 Jahren, Preis 14,95€, ISBN: 978-3-8369-5955-1e