Verwirrendes Geflecht Buchrezension: „Lostage“ von Tina Pruschmann

Wir haben uns den ersten Roman „Lostage“ von Tina Pruschmann genauer angesehen. Hier erfahrt ihr, ob sich ein Blick ins Buch lohnt.

Lostage sind Merktage, durch welche, wie bei einer Bauernregel, auf eine zukünftige Witterung geschlossen werden kann. Tina Pruschmann verwendet den Titel „Lostage“ jedoch metaphorisch abseits der Landwirtschaft und versteht sie als Tage, die das zukünftige Leben bestimmen. In ihrem ersten Roman verknüpft die Autorin unterschiedliche Geschichten einzelner Personen, die alle einen solchen Tag in ihrem Lebenslauf als Wendepunkt vorweisen können. Durch bestimmte Entscheidungen und zufällige Begegnungen werden die Weichen für den Weitergang der eigenen Zukunft bestimmt. Jeder der Charaktere hat seine individuelle Geschichte, die erzählt wird. Ab einem gewissen Punkt verbinden sich jedoch die einzelnen Episoden miteinander, Personen treffen aufeinander, spielen in gewissen Lebensphasen des Anderen eine Rolle oder sind sogar verwandt. 

© Residenz Verlag

In dem Buch wird die Gefühlswelt verschiedener Generationen erfahrbar. Der Schreibstil verdeutlicht auch die Emotionen der Charaktere bildhaft, beispielsweise wenn Pruschmann die Verwirrtheit und Vergänglichkeitsgedanken einer älteren Frau darstellt. Teilweise ist die sachliche Art erschreckend, mit der die alte Dame mit ihrem Zustand und der Vorstellung ihres eigenen Todes umgeht: „Elena sah über den Tisch und stellte sich vor, es wäre ihre Beerdigung, der Leichenschmaus, wie man so sagt.“ Die Autorin deutet oft nur an und klärt nicht alle Situationen auf.

Menschliche Abgründe

Das Buch lässt sich schnell und einfach lesen, die Sprache ist alltäglich. Etwas verwirrend sind jedoch die vielfältigen Erzählstränge, die immer wieder an diversen Stellen im Buch aufgegriffen werden. Anfangs tauchen so viele Personen auf, die noch nicht miteinander in Verbindung gebracht werden können, dass man sich fast dabei erwischt, einen Stammbaum aufzeichnen zu wollen, wie es auf dem Cover des Werkes schon angedeutet wurde. Es treten sehr häufig Zeitsprünge auf, bedingt durch die verschiedenen Lebenszeiten der betrachteten Protagonisten, aber auch als Rückblenden innerhalb der einzelnen Geschichten. So spielt der Roman mal in DDR-Zeiten, dann wieder im Hier und Jetzt.

Die Wechsel sind sprunghaft und nicht einfach nachvollziehbar. Außerdem wird die Aussage des Buches nicht eindeutig klar. Ursprünglich vermutet, es ginge um das Geheimnis des Sturzes der Kindheitsfreundin vom Kirschbaum, wird dieses jedoch relativ zeitig aufgelöst. Stattdessen werden auch andere menschliche Abgründe sichtbar; es geht um Gewissensbisse, Schuld, Verlust, aber auch um Liebe und Glück. Es ist wohl ratsam, das Buch zweimal zu lesen, um die Zusammenhänge wirklich zu verinnerlichen und zu verstehen.

© Marco Warmuth

 ÜBER DIE AUTORIN:  Tina Pruschmann (*1975) studierte soziale Verhaltenswissenschaft und Soziologie. Jetzt arbeitet sie als Texterin, Autorin und Ghostwriterin und lebt in Leipzig. Mit „Lostage“ veröffentlichte sie im Februar 2017 ihren ersten Roman. 

 INFOS:  Residenz Verlag • 224 Seiten • 22€ • ISBN: 978 3 7017 1680 7