„Schachspielen mit Worten“ Debattierclub „Streitpunkt“ der Universität Leipzig

Wir traffen die Disputanten des Debattierclubs „Streitpunkt“ Leipzig um mit ihnen das Besondere einer Debatte herauszuarbeiten.

Eine Debatte könnte man mit einem strategischen Spiel gleichsetzen. Einem Spiel, das aber weniger Glück, sondern vielmehr präzise Argumente braucht, um den Gegner in die Knie zu zwingen. Ein Wettkampf, auf den man sich einlassen muss, wie ein Schauspieler auf seine Rolle. Debattieren heißt Stellung beziehen und lebhaft diskutieren, gegen- und miteinander.

© Anne Gahlbeck
Pascal Schaefer, Vizepräsident der Leipziger Debattier- & Disputations-Gesellschaft, dem Förderverein des Debattierclubs „Streitpunkt“ der Universität Leipzig, vergleicht das Debattieren auch gerne mit dem Anlegen eines Gartens: „Niemand wirft im Frühjahr willkürlich die schönsten Samen in den Boden. Ein guter Gärtner bereitet den Boden vor, plant, welche Körner er wann einsetzt, pflegt und gießt sie, um im Sommer bestmögliche Erträge zu erzielen.“ Ähnlich strategisch denken die Disputanten, die wir im Ziegenledersaal treffen, um ausnahmsweise nicht gegeneinander zu argumentieren, sondern stattdessen miteinander das Besondere einer Debatte herauszuarbeiten. Die Mitglieder des Clubs sind mindestens genauso bunt gemischt wie die Blütenpracht eines Sommerbeets. Von Philosophen, Geschichts- und Politikwissenschaftlern bis hin zu Juristen, Mathematikern, Medizinern und Wirtschaftswissenschaftlern ist jeder – mal mehr, mal weniger – Spezialist auf einem Fachgebiet. Es spielt keine Rolle, aus welchem Land oder aus welcher Fachrichtung jemand stammt. Sie alle vereint die Liebe am lebhaften Diskutieren.

© Debattierclub Streitpunkt Universität Leipzig
Tetiana Tsyliuryk absolviert ein Auslandssemester an der Universität Leipzig und kommt aus der Ukraine. Sie versucht durch die Teilnahme an den Workshops vor allem ihre Deutschkenntnisse aufzubessern. „Im Gegensatz zum klassischen Sprachunterricht hat beim Debattieren das Argumentieren, also die Sprachpraxis höchste Priorität“, betont sie. Während für die ausländischen Teilnehmer der sprachliche Aspekt, insbesondere die Sprachpraxis, eine wichtige Rolle spielt, steht für Jona Grimm, der Wirtschaftsmathematik studiert, ein anderer Aspekt im Mittelpunkt. „Manche Teilnehmer“, berichtet er uns, „finden es besonders reizvoll, während des Debattierens in andere Rollen zu schlüpfen. Sie sehen es als eine Herausforderung. Ich hingegen möchte kontinuierlich an meinem Wortschatz arbeiten und dadurch meine rhetorischen Fähigkeiten verbessern.“ Das bestätigt auch Maria Joanita aus Indonesien, die seit kurzem Deutsch als Fremdsprache an der Universität Leipzig studiert und darauf hofft, mithilfe der Debattierworkshops ihren Sprachfluss zu verbessern. Darüber hinaus engagiert sie sich mit Tetiana in der Women’s Debate Academy, einem Projekt, dass sich verstärkt für die Gleichstellung von Frauen im Debattierclub einsetzt – denn nach wie vor dominiert das männliche Geschlecht die deutschsprachigen Debattierkurse an der Universität. Dabei rauben zielgerichtete Workshops Neulingen anfänglich herrschende Ängste und vermitteln Argumentationstechniken, sodass erfahrungsgemäß rasch Vertrauen in die eigenen Fertigkeiten aufgebaut werden kann.

© Debattierclub Streitpunkt Universität Leipzig
„Beim Debattieren traue ich mir viel mehr zu als im Alltag.“

Schlussendlich schult Pascal Schaefer die Teilnehmer darin, sowohl Themen als auch Argumente gemeinschaftlich zu durchschauen, auch wenn sie dabei an kommunikative Grenzen stoßen. „Im Enddefekt kommt es darauf an: Wie überzeugend ist ein Argument und wie viel Zeit benötigt der Redner, um dieses Argument auszuführen.“ Und genau das versucht er seinen jungen Disputanten wöchentlich montags auf Deutsch und donnerstags auf Englisch mit auf den Weg zu geben – auch wenn nicht jeder von Beginn an weiß, wie man bestimmte Argumente der Gegenseite antizipiert. Aus diesem Grund wird jeder Teilnehmer step by step an das Thema herangeführt: Regelkunde, allgemeine Grundlagen und Abläufe einer Debatte, Wortassoziationstrainings und natürlich Übungen dazu, wie man Argumente mit so wenigen Worten wie möglich auf den Punkt bringt, stehen auf dem Programm. Sobald die Studierenden diese Grundlagen beherrschen, lassen sie sich am besten auf bundesweiten, aber auch internationalen Wettbewerben im Austausch mit anderen Disputanten ausbauen. Dabei dreht es sich oft um anspruchsvolle Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Was aber nicht heißen soll, dass die Gruppe städtische Angelegenheiten ausklammert. „Globale Themen haben einfach eine höhere Relevanz. Aber wir diskutieren auch über Ladenöffnungszeiten oder – damit der Spaß nicht zu kurz kommt – die Pro und Contra Argumente eines Weihnachtsmannes mit Waschbrettbauch“, verrät uns Jona. Die vier Studenten haben die Erfahrung gemacht, dass weltpolitische und wirtschaftswissenschaftliche Themen meist abschreckend auf Anfänger wirken. „Ich denke, es gibt viele junge Menschen, die sich nicht trauen, sich zu einem bestimmten Gegenstand zu äußern; aus Angst, nicht ausreichend informiert zu sein. Dabei ist es genau anders herum. Durch das Debattieren erschließt sich mir ein geschützter Raum, in dem ich primär eine Rolle erfülle. Eine Rolle – und das ist allen Beteiligten bewusst –, die nicht meine persönliche Meinung zum Ausdruck bringt, sondern eine Position vertritt, die mir zugelost wurde, losgelöst von meiner Person. Dadurch traue ich mich beim Debattieren viel mehr zu als im Alltag“, führt Rossitza Ivanova aus.

© Debattierclub „Streitpunkt“ der Universität Leipzig
Debattieren trainiert rationales Sprechen

Entgegen jeglicher Befürchtungen wird also nicht vorausgesetzt, dass jeder Teilnehmer zu jedem x-beliebigen Thema bestens informiert ist – was zudem nicht zwangsläufig ein Vorteil bedeuten muss, betont Jona: „Allgemeinbildung ja, aber in manchen Fällen impliziert dieses Wissen ein spezifisches und richtungsweisendes Denken, das einen am rationalen Argumentieren hindert.“ Daher stehe vielmehr das Interesse, sich zu globalen Themen äußern zu wollen und die Bereitschaft sich weiterzuentwickeln im Fokus. Außerdem seien viele Themen gar nicht so unnahbar, wie man auf Anhieb denkt, ergänzt Rossitza. „Durch die Diversität, die im Club herrscht, werden wir häufig mit Themen konfrontiert, die einem im Studium nicht begegnen. Aber alltägliche Probleme richten sich auch nicht nach privaten Interessen.“ Rossitza Ivanova ist davon überzeugt, dass jeder Mensch zu jedem Thema Ideen haben kann. Im Anschluss einer Debatte stellt sie gelegentlich fest, dass die Argumente der Gegenseite plausibler sind, als ursprünglich erwartet. „Letztendlich zeige ich mit meiner Diskussionsbereitschaft an, dass es durchaus legitim ist, unterschiedlicher Meinung zu sein.“ Das betont auch Pascal Schaefer: „Debattieren trainiert rationales Sprechen – auch wenn emotionales Denken Argumente unterstreichen kann. Es schafft Toleranz für andere Meinungen und schützt gleichzeitig vor zu voreiligen, zu einfachen Antworten. Und manchmal hilft es zu verstehen, wenn man sich gegen den eigenen Standpunkt stellt.“ 

„In einer Welt wie unserer sollte die Fähigkeit, mit Respekt zu streiten, nicht verloren gehen“

Ausreichend Pro-Argumente, welche die Disputanten aktuell dazu bewegen, das Gelernte Handwerk an nachfolgende Generationen weiterzuvermitteln. Die Studierenden sind davon überzeugt, dass in einer vorbildlichen demokratischen Streitkultur jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, angemessen zu Wort zu kommen. „Das heißt aber auch, dass sich jeder in die Argumente des anderen hineindenken kann, um dessen Beweggründe nachzuvollziehen. Was nicht heißen muss, dass die Meinung des anderen grundsätzlich richtig ist. Die Bereitschaft allerdings, die vorgetragenen Argumente zumindest zu verstehen, sollte vorhanden sein“. Daher starteten Pascal Schaefer und die Mitglieder des Leipziger Debattierclubs im September 2017 ein Pilotprojekt, das Kinder und Jugendlichen die Formalitäten des Debattierens vermittelt. Spielerisch erfahren die Schüler, wie Gedanken entwickelt, gewichtet und strategisch passend formuliert werden. „Dabei handelt es sich um Kernkompetenzen, die jeder beherrschen sollte – erst recht, wenn er an eine Universität geht.“ Auf diese Weise sollen auch Lehrer und Eltern realisieren, wie bedeutend Toleranz, Weltoffenheit, Sachverstand und kontrollierte Emotionen für eine ausgeglichene Debatte sind. Nicht nur auf Turnieren, sondern im Leben generell. Langfristiges Ziel soll sein, eine Stadtmeisterschaft auf die Beine zu stellen, auf der Disputanten ihr Können unter Beweis stellen dürfen. Denn in einem Punkt stimmen Pascal Schaefer, Maria, Tetiana, Rossitza und Jona überein: In einer Welt wie unserer sollte die Fähigkeit, mit Respekt zu streiten, nicht verloren gehen. Den Raum, den die Leipziger Studenten auf diese Weise Woche für Woche mit ihren Wortgefechten schaffen, ist definitiv ein Ort, an dem nicht die lauteste Stimme oder die populärste Idee gewinnt, sondern allein das beste Argument.

Debattierkurse an der Uni Leipzig finden wöchentlich montags und donnerstags um 18:30 Uhr statt.  Aktuelle Infos erhaltet Ihr unter www.stud.uni-leipzig.de/streitpunkt