„Jetzt ist hier, mach was Gutes draus und dann mach Platz für den Nächsten.“ Dellé: Seeed, Midlife Crisis und Platz machen für die Nächsten

Seeed-Sänger Dellé hat sein zweites Soloalbum „Neo“ rausgebracht. Der 46-jährige Roots-Reggae-Liebhaber spricht u.a. über das Rockstar-Dasein zwischen Vaterfreuden und Hausbau, was als Gangmitglied von Seeed definitiv einfacher ist als solo und warum man das Älterwerden – und sogar dem Tod – mit einem Lächeln begegnen sollte.

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Seeed-Sänger Dellé hat sein zweites Soloalbum „Neo“ rausgebracht, mit dem er am 4. November 2016 ins Werk 2 kommt. Der 46-jährige Roots-Reggae-Liebhaber hat bei unserem Interview blendende Laune und spricht u.a. über das Rockstar-Dasein zwischen Vaterfreuden und Hausbau, was als Gangmitglied von Seeed definitiv einfacher ist als solo und warum man das Älterwerden – und sogar dem Tod – mit einem Lächeln begegnen sollte.     

Wie geht es dir?

Es fühlt sich gut an, zu sagen: Ich habe mein Album jetzt fertig. Und nicht: Ich habe vor, eines zu machen. Jetzt dürfen es andere gut finden oder zerreißen, aber ich finde es geil. Das ist so ein Zustand – da muss man erst mal hinkommen. Das dauert lange.

Warum „Neo“? Ist denn „alles neu“ bei dir?

Irgendwie schon. Mein erstes Album „Before I Grow Oldsollte eine Ode an meine Roots-Reggae-Liebe sein. Es war das Album, was ich immer noch machen wollte, bevor ich irgendwann die Bühne verlasse – und das auch noch in einem Land, was jetzt nicht unbedingt für Roots Reggae steht. Das habe ich hingekriegt, und jetzt ging es quasi frisch und neu an das neue Album. 

Ich habe bei „Neo“ versucht, einen musikalischen Fächer aufzutun. Außerdem ist es auch wieder eine neue Lebensphase von mir. Die letzten sieben Jahre sind so viele Sachen passiert. Vor meinem ersten Album ist mein Vater gestorben, meine Tochter geboren und ich habe mein erstes Reggae-Album gemacht. Jetzt ging es um andere Dinge: Ich bin das zweite Mal Vater geworden, habe ein Haus gebaut, Bänke geschraubt, zwischendurch war ich Rockstar, ich habe ein neues selbstgebautes Studio … Man denkt so: Wow, wie hat das alles funktioniert – das gibt es doch eigentlich nicht. 

Du bist dem Reggae treu geblieben. War es für dich schwer, dass Seeed über die Jahre immer weniger Reggae und Brass gemacht hat?

Schwierig auf keinen Fall, weil das auch für mich eine Erweiterung ist. Gerade bei Seeed kommen so viele Einflüsse zusammen, da kommt man selber nicht drauf. Seeedsound könnte Pierre alleine so nicht machen und auch alle anderen nicht. Wir sind so viele musikalische Köpfe. Ich regele auch schon mal was nach, wenn mir was nicht rootig genug ist, genau wie der Hip Hopper das macht. Und das macht diesen speziellen Sound auch aus. Unser Pool an Kreativen ist wie so ein Querschnitt der Gesellschaft (lacht). Bei meinem Soloalbum habe ich meinen Produzenten Guido Craveiro, der eine sehr ähnliche Auffassung von Musik hat wie ich. Vielleicht ist es eine Addition: es ist nicht das eine oder das andere, sondern das Geile ist, dass ich beides machen kann.  

Arbeitest du lieber als Solokünstler oder mit der Seeed-Combo?

Ich sage mal so: Solo ist definitiv viel anstrengender, obwohl es in meinem Fall auch nicht so kommerziell erfolgreich ist. Es ist trotzdem viel mehr Arbeit, weil du alles selbst entscheiden musst und die Verantwortung für alles trägst, was du machst. Da stellen sich auch ganz andere Fragen, z.B. wie kriegst du mit einer guten Idee für ganz wenig Geld ein geiles Video hin? Oder woher bekomme ich ein cooles Bühnenbild, Klamotten und die Musiker her? Bei Seeed kann man mittlerweile rumspinnen und sagen: Das ist eine coole Idee, also machen wir das jetzt. Bei Seeed ist dieses Gang-Ding ein Vorteil – alles lastet auf mehreren Schultern. Alleine hat man natürlich Freiheiten, aber man muss dann auch entscheiden. Das ist Fluch und Segen zugleich. Aber tatsächlich auch wieder beides machen zu können, ist mir sehr wichtig.

Gentleman ist bei „Tic Toc“ mit dabei. Eigentlich hättet ihr beide doch schon längst was machen müssen?! 

Ja, das haben wir uns beide auch gedacht (lacht). In dem Song geht es darum, dass die Zeit rennt, aber man es mit einem Lächeln nehmen sollte … Also die Midlife Crisis auf humorvolle Art und Weise zu performen. Das hätte ich nicht mit einem 25-Jährigen machen können. Ich dachte mir, Mensch, na klar: Gentleman! Da passt der Flow, das Thema und er kann auch noch Patois. Ich rief ihn an und sagte: Jetzt ist es soweit, lass es uns nach 18 Jahren machen (lacht).

Denkst du über das Älterwerden nach? 

Na ja, was heißt denken – das passiert (lacht). Ach weißt du, take it with a smile. Ich finde es gut, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem alle meine Idole, sei es Prince oder David Bowie, von uns gehen. Aber ich denke auch, dass das irgendwie gut ist, dass es so ist. Wir haben die Möglichkeit, auf diesem Planeten geile Sachen zu machen und dann geht es weiter. Jetzt ist hier, mach was Gutes draus und dann mach Platz für den Nächsten. Du kannst dir z.B. mit viel Asche alles leisten und rumposen. Aber Achtung: Beides ist bald vorbei, „you belong to the wild youth of yesterday“. Darüber lachen zu können, das Thema humoresk zu nehmen, war mir wichtig. Älterwerden ist ok. Ich glaube, wenn man geht, ist es nicht so schlimm wie für die, die einen vermissen. Als mein Vater gestorben ist, war das natürlich krass für mich. Aber wenn alles ausgesprochen ist, dann macht man Platz für die nächste Generation und es kommt wieder was Neues. Und so soll es auch sein. Stell dir vor, ich wäre so ein Dracula, der 500 Jahre leben müsste – oh Gott … (lacht).

Wie viel Zeit hast du, um dich solo zu verwirklichen?

Das Soloalbum wurde auch ein bisschen dadurch initiiert, dass Seeed nach sechs Jahren nun eine Pause brauchte. Wann der Zeitpunkt ist, dass wir wieder anfangen, weiß ich nicht. Aber alle sind dazu angehalten, schon Ideen für das neue Seeed-Album zu sammeln, was vielleicht irgendwann kommt. Ich lasse einfach alles auf mich zukommen. Erst mal ist es cool, dass es das Album gibt (lacht).