Eine Nacht im Theater vom Keller bis zum Dach „Die Bude“ im Schauspiel Leipzig – Theater zum Anfassen und Mitmachen

Das Tag-der-offenen-Tür-Theaterfest im Schauspiel Leipzig ging vom Keller bis unters Dach. Dort befanden wir uns plötzlich in Hermann Heisigs „Bude“.

Die Nacht wird zum Fest und das Theater lädt ein. Am 1. September 2017 durfte sich das Publikum des Leipziger Schauspiels mal ordentlich austoben. Ganz im Sinne des Abendthemas „Himmel und Hölle“ ging es zum Tag-der-offenen-Tür-Theaterfest ab 19 Uhr vom Keller bis unters Dach. Der Zuschauer wird zum Mitspieler und begegnet seinem geliebten Theaterensemble hautnah und auf Augenhöhe.

© Rolf Arnold
Über Treppen und Gänge werden wir auf geführten Parcours durch das Hinterland der Leipziger Bühnenbretter geführt und dürfen einen ersten Blick auf die neu entstehende Spielstätte am Ring werfen. Ein emsiges Treiben zwischen viel Programm und Musik bis in die frühen Morgenstunden erwarten den Besucher.

Großer Saal: Die Gastgeber „Kasimir und Karoline“

Der wunderbare Auftakt einer öffentlichen Probe des Bühnenstücks „Kasimir und Karoline“ liegt hinter uns. Eine Inszenierung zwischen bedeutungsvollen Dialogen – und dem noch bedeutungsvollerem Nicht-Gesagten – mit viel Rhythmik und Musik hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Noch gedankenvertieft tüddeln wir uns durch das Geflecht aus schicken Herrschaften mit Sektflötchen und lassen uns vom neugierigen Besucherstrom durch die Tore des Leipziger Theaters ziehen. Es geht über Treppen und Gänge hinauf in die obere Etage.

In den Dächern des Leipziger Schauspielhauses

© Rolf Arnold
Hochgestiefelt und reingepurzelt. Durch einen dicken Vorhang, mitten hinein in … ja, was eigentlich? Die Rumpelkammer, eine Studentenparty, das kolonialistische Expeditionszelt des Theaters? Um uns herum eine bunte Ansammlung an Flohmarktschätzlingen, blicken wir in die Gesichter unserer Mit-Irritierten. „Servus! Schöööööön, dass ihr da seid“, begrüßt uns ein hochgewachsener, schlaksiger Typ in seinem ockerfarben glänzenden Seidenpyjama. Wohlgewählt höflich werden wir auf das wilde Ensemble aus Couch, Stühlen und Boden verteilt. Und da sitzen wir dann zwischen Gummischlange und Glitzerkrone, stoffverhangenen Wänden und einer verkehrt herum angebrachten Landkarte. Eine „Wohnzimmer-Bühne“ ist der Schauplatz und die Bühne das Wohnzimmer. Seine Mitwirkenden sind wir, wir die dort unten glucken im gedämpften Licht der schiefen 70er Jahre Schirmlampe.

„Etwas Quittensaft? Ein Gewürzgürkchen?“

Wir staunen nicht schlecht über die Appetithäppchen der etwas anderen Art und grabbeln munter mit den anderen „Party-Gästen“ ins saure Glas. Wer’s gern süß mag, kommt natürlich auch nicht zu kurz. Statt Keksen wird hier ein Glas Apfelmus rumgereicht – ungeachtet dessen, dass es nur einen Löffel gibt, darf munter drauf los gemampft werden. So ganz ist noch nicht klar, ob wir Teil der Inszenierung oder nur stille Beobachter wilder Willkür sind. Alles wirkt herzlich skurril und ganz schön verdreht. Der Besucher nimmt Platz und entscheidet selbst, ob er mitmacht.

Angeleitet von Hermann Heisig, wird das Publikum über die knarzenden Klänge eines Schallplattenspielers aufgefordert, den Anweisungen einer 60er Jahre Gymnastikstunde nachzukommen. Und so glucken wir also dicht an dicht, die Arme vor und zurück schwingend im rhythmischen Rauschen einer demokratisch-republikanischen Yogastunde. Frisch aufgewärmt, ohne zu wissen wofür, geht es weiter im „Programm“: Es darf gelesen werden. „Kann jemand schwäbisch?“ Ein Politschinken sozialistischer Tage purzelt durch die Hände der Gäste und wir haben Glück. Ein Mutiger darf losdialekten zur Freude aller Beteiligten.

Zwischen Nähe und Distanz

© Carolin Petereit
Befremdung und Entfremdung schweben an diesem Abend im Raum. Wir erleben ein gestenschweres und interaktives Miteinander, schlichtweg improvisiert und doch wohl durchdacht. Ein Come-Together der anderen Art mit viel Luft für Unvorhergesehenes. Es darf gelacht, gewundert und gestaunt werden und alles ohnerlei Zwang.

Herman Heisig lädt ein und provoziert, sehr souverän und immer mit einem Schuss Verhaltenskomik an Bord. Wahnsinnig sympathisch und ein echter Könner aus der Berliner Theaterszene, aufgewachsen im Hause Leipziger Kunstgrößen, liebt er den Drahtseilakt zwischen Vertraulichkeit und Distanz. Wir erleben ein Spiel zwischen Intimität und Entfremdung unter den Theatergästen und seinem Gastgeber. Alles kann, nichts muss, lautet die Devise. Ob der Zuschauer in dieser Nacht von „Himmel und Hölle“ länger verweilen wird, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber der Besuch der himmlischen Bude gehört in jedem Fall zu den versteckten Höhepunkten, neben dem der Bühnenprobe von „Karoline und Kasimir“.

Ausblick und Termine

Bis in die frühen Morgenstunden darf in dieser Nacht gelauscht, gelacht und getanzt werden. Und alles zu freiem Eintritt und mit Ausblick auf das was kommt. Wie es jedoch mit Kasimir und Karoline weitergeht, bleibt bis dahin ungewiss. Wer die beiden also sind und was sie eigentlich auf den rauschenden Rummelplatz eines Oktoberfestes treibt, darf ab jetzt im großen Saal des Leipziger Schauspiels bestaunt werden.

Weitere Termine „Die Bude“ – Residenz

13.& 14.10.2017 jeweils 18 Uhr

Termine „Kasimir und Karoline“ – Große Bühne

23.9. / 6.10. / 28.10. / 18.11. / 1.12. / 22.12.2017 / 11.1.2018 jeweils 19:30 Uhr

2.8.2018 16 Uhr

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