Dillon kommt am 12. Juni 2015 ins Täubchenthal Dillon im Interview: Mit viel Badesalz, Serien, Freunden und Liebe

Wir sprachen mit der Erschafferin des, sagen wir, sinnlichen Elektropops, und hörten erblühende Landschaften aus dem „hoffentlich depressivsten Album“ ihres Lebens.

Dominique Dillon de Byington, kurz Dillon, ist wohl nicht gerade das, was man als „Rampensau“ bezeichnen würde. Die gebürtige Brasilianerin wagte sich ab 2007 mit ihren Songs hinaus in eine Welt, die alles von ihr forderte. Dass dieser Schritt ins Licht dennoch richtig war, hört ihr auf ihren Alben „The Silence Kills“ (2011) und „The Unknown“ 2014. Wir sprachen mit der in Berlin lebenden Erschafferin des, sagen wir sinnlichen Elektropops, über die Notwendigkeit des Musikmachens, Schüchternheit auf der Bühne und erblühende Landschaften aus dem „hoffentlich depressivsten Album“ ihres Lebens.

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2007 und ein hochgeladenes Video auf YouTube stehen bei dir für den Beginn deiner Karriere. Was war davor?

Ich bin vorher zur Schule gegangen wie jeder andere auch, habe immer Interesse für Musik gehabt und auch immer gesungen. Ich habe mich aber nie weiter damit auseinander gesetzt, was Lieder schreiben angeht, vor allem am Piano mit Gesang und mit Gedichten. Mein Interesse für die Musik war immer sehr selbstlos. Dass ich dann angefangen habe, das selbst zu machen, kam tatsächlich ziemlich undurchdacht. Aber das hat sich absolut selbstverständlich angefühlt, und dann habe ich nicht mehr aufgehört. 

Hattest du dann mal Klavierunterricht?

Nein, nie. Ich kann auch keine Noten lesen, was mittlerweile nur noch nervig ist, um ehrlich zu sein. Ich bin kurz davor, mir das anders zu überlegen, ob das jetzt nicht mal Zeit ist.

Was sagst du, wenn Leute meinen „Du hast aber spät mit Musik angefangen“?

Es gibt Leute, die alles sagen. Der eine sagt, es ist wahnsinnig spät, der andere sagt, es ist wahninnig früh. Der eine sagt, es ist eine wunderschöne Stimme, der andere sagt, es ist fürchterlich, also … 

Da gibst du einfach nicht viel drauf.

Nein, eigentlich nicht. Wenn ich wirklich eine Art von Plan gemacht hätte, würde ich vielleicht eher drauf hören. Aber dadurch, dass das alles aus der absoluten Notwendigkeit heraus passiert ist, hat das tatsächlich alles keine weitere Rolle gespielt.

Was meinst du mit „aus der Notwendigkeit heraus“?

So, wie es notwendig ist, etwas zu essen, wenn man Hunger hat. So war es notwendig für mich, mich hinzusetzen und zu spielen, anscheinend. 

Eine Art Eingebung?

Ja, es war eine Möglichkeit für mich, nicht mehr alleine zu sein, ohne mich mit anderen Menschen auseinandersetzen zu müssen. Und ich bin großer Fan des Internets, also hat sich das dann einfach angeboten, das so zu teilen. 

Es gibt ja wirklich unzählige Leute, die auf YouTube Songs hochladen. Was könnte das Besondere sein, was dich hervorstechen lassen hat?

Ich weiß nicht mal, ob das so ist, um ehrlich zu sein. Es klingt immer so spannend, wenn man das sagt: ein Video und dann war’s das. Aber so hat das gar nicht stattgefunden, es gab super viele Videos. Ich habe, sobald ich ein Lied auch nur skizzenweise fertig hatte, das sofort immer wieder hochgeladen. Es gab ziemlich viel Material und eins kam zum anderen. Dann hat das irgendjemand mitbekommen und mich nach einem kleinen Interview gefragt. Das war für die Intro damals, und das waren wirklich drei Sätze über mich in einem Magazin. Und irgendwann wurden vier Sätze daraus, und dann fünf. Aber das kam alles sehr langsam. Und irgendwann hatte ich eine Booking-Agentur und habe wahnsinnig viel gespielt, wobei ich gar nicht viel Material hatte, das heißt, es waren immer 20-Minuten-Sets. Das habe ich auch ziemlich lange gemacht vor drei, vier, 15, 20 Leuten, monatelang, jahrelang. Und dann bin ich mit Togotronic auf Tour gegangen, mich kannte niemand, ich hatte kein Album, hatte nicht mehr als 10 Lieder. Das war schon alles nicht so schnell. Ich bin mittlerweile ja auch 27, und wann habe ich angefangen? Ich war 17. 

Du sagst offen, dass du schüchtern und introvertiert bist. Wie viel davon musstest du ablegen und wie schwer ist es?

Naja, so wie ich Musik mache, muss ich tatsächlich nicht so viel davon ablegen, während ich schreibe und arbeite. Ich arbeite nur mit Menschen zusammen, die ich mittlerweile schon ziemlich lange kenne, da bin ich dann auch nicht so schüchtern. Aber wenn es darum geht, auf die Bühne zu gehen, ist das so eine abstrakte Situation, dass da Schüchternheit gar nichts zu suchen hat. Dann geht es nur noch darum, für mich zu singen und die Musik zu hören. Aber in dem Moment, wenn ich vielleicht versuche, mit dem Publikum zu kommunizieren, schlägt das natürlich total ein. Da muss ich aber auch sagen, da setze ich mich nicht unter Druck, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass wenn ich unsicher oder schüchtern bin, und mich unter Druck setze, dann einfach wahnsinnig unfreundlich bin. Obwohl das gar nicht so gemeint ist. Deswegen bin ich dann lieber einfach schüchtern oder verschoben oder so. 

Ist so eine Live-Situation für dich noch schwierig oder hat sich das gebessert?

Es war wahnsinnig schwierig für mich, um genau zu sein bis letzten März. Ich war sehr müde, sehr erschöpft und sehr depressiv und habe auch wahnsinnig isoliert gelebt. Und das war so unnatürlich für mich, dann auf Tour auf einmal vor Menschen zu stehen. Also mehr Menschen an einem Abend zu sehen, als ich in meinem Leben eigentlich in Monaten sehe. Das war so seltsam für mich, dass ich zum Teil nicht drauf klargekommen bin. Aber seitdem es mir besser geht, habe ich eine gute Zeit.

Dein erstes und zweites Album unterscheiden sich von der Entstehungsweise sehr. Die Songs des ersten seien mehr aus dir rausgeplatzt, die des zweiten waren bewusster. Hatte das was mit dir persönlich zu tun, hatte sich etwas verändert? War alles sehr neu für dich? 

Neu war es nicht für mich, nur mehr. Mein Leben hatte sich in der Hinsicht nicht verändert, also ich bin nicht sozialer oder extrovertierter geworden oder sonst etwas, ich lebe genauso wie vor dem ersten Album. Aber das erste Album bestand aus Liedern, die ich über Jahre geschrieben habe, also teils auch noch zwischen 16 und 22 Jahren. Das ist wahnsinnig viel Zeit für ein Album. Und erstmal hatte ich überhaupt nicht das Bedürfnis, etwas Weiteres zu sagen. Und ich kann mich nicht zwingen, wollte mich nie zwingen. Ich zwinge mich, Steuern zu machen, aber ich zwinge mich nicht, Lieder zu schreiben. Deswegen habe ich erstmal nicht geschrieben und ich dachte, das kommt schon wieder, wenn ich mir genug Zeit und Raum gebe. Aber es kam nichts und ich habe gemerkt, dass das hauptsächlich etwas damit zu tun hat, dass ich mich nicht weiter mit den Themen auseinandersetzen wollte, über die ich eigentlich schreiben musste. Das war alles wahnsinnig dunkel und unangenehm. Und wer will da freiwillig hin … Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass es keinen Weg drumherum gibt. Also habe ich hoffentlich das depressivste Album meines Lebens geschrieben. 

Bist du dann überhaupt über diese Blockade hinweg gekommen oder hast du dich doch gezwungen?

Ich habe mich absolut gezwungen, bin jeden Tag um 5:30 Uhr aufgestanden und habe mich gezwungen, bis das Album fertig war. Alle Menschen um mich herum meinten: „Musik ist ja eine Art von Therapie und wenn man die Lieder fertig geschrieben hat, hat man das verarbeitet“ und das stimmt bei mir überhaupt nicht. Sobald ich das Lied fertig geschrieben hatte, war das Thema erst richtig offen. Und das 12 mal, also ich war fertig mit den Nerven. Aber mit viel Badesalz und viel Badewasser und sehr vielen Serien und Freunden und Liebe habe ich’s rausgeschafft. Und die Blockade ist tatsächlich nicht mehr vorhanden (lacht).

Magst du das Album trotzdem?

Doch natürlich, ich mag es wahnsinnig gern. Ich finde das ist genau das, was es werden sollte. Bevor ich das Album angefangen habe, wusste ich, ich will verschiedene Emotionslagen portraitieren und festhalten, weil ich einfach kein grundsätzlich rein depressiver Mensch bin, überhaupt nicht. Aber es ging eben nicht. Jedes Mal, wenn ich versucht habe, irgendeine Art von Leichtigkeit reinzubringen, hat es einfach nichtfunktioniert. Mein Geist, mein Körper, mein Hören haben sich geweigert, mitzumachen. Deswegen musste ich mich einfach dem stellen. Ich find es großartig, aber ich will nicht wieder in der Lage sein, so etwas machen zu können. 

Das zweite Album ist ja abstrakter. Hast du einen gewissen Abstand gesucht, vielleicht auch, um dich dem Publikum besser zu öffnen?

An erster Stelle, wenn ich schreibe, denke ich nicht an das Publikum, sondern an mich. Und mir ging es darum, mich so weit zu öffnen und so ehrlich mir selbst gegenüber zu sein wie möglich, und mit so wenig Weltschmerz und Pathos wie möglich. Deswegen habe ich versucht, alles so offen und geschlechtsneutral und zeitlos zu halten, wie möglich, ohne genauen Ort und Zeit. Damit ich weitergehen kann.

Bist du dann eher auch ein Freund weniger Worte?

Das kommt drauf an. Manchmal fallen mir Wörter nicht ein und dann muss man ja umschreiben. Würde ich also nicht unbedingt sagen. Ich bin offen für alles, was Kunst anderer und das Wort anderer angeht, aber was meine eigene Wortwahl angeht, bin ich relativ spezifisch. 

Das Gesamtbild passt: In deinen Videos und Songs wirkst du schon nachdenklich und ernst, die Melodien sind schwermütig. Würde etwas anderes zu dir passen?

Mein Stil ist mein Stil und der wird so bleiben. Aber wenn mein Stil sich verändert, wird auch mein Sound sich verändern. Und wenn es mir anders geht, werde ich mich auch anders anhören. Wie wenn man erkältet ist, da hört man sich auch anders an als wenn man müde ist oder fröhlich. Und dem stelle ich mich auch nicht in den Weg. Ich habe, was Sound angeht, natürlich bestimmte Sphären, in denen ich mich gerne bewege, aber das hat nichts mit depressiven oder dunklen Klängen zu tun. Man kann auch wahnsinnig glückliche Lieder schreiben, die sich wie ein Requiem anhören. 

Das neuen Album heißt ja auch „The Unknown“. Liegt es daran, dass du musikalisch und auch insgesamt auch noch ein bisschen auf der Suche bist? 

Der Titel hat nichts mit der Suche nach irgendeinem Sound zu tun, wenn das denn so plump wäre. Der Titel „The Unknown“ funktioniert genau mit dem Titel des ersten Albums, also „The Silence kills the Unknwon“. Das ist letztendlich ein Name. Und „The Unknwon“ ist auch der zweite Teil von „The Silence kills“. „The Unknwon“ ist alles, was ich nicht sehen sollte, alles wo ich nicht hinwollte, eine Landschaft in mir, die ich niemals betreten wollte.  

Was hat dich beeinflusst?

Alles mögliche. Aber an erster Stelle waren es wirklich angestaute Themen und Erfahrungen, mit denen ich mich nicht genug auseinandergesetzt habe in meinem Leben, die irgendwann eine komplette Blockade geworden sind. Und die meine Lebensqualität so eingeschränkt haben, dass mich nichts bewegt, inspiriert oder sonstwas hat. Was einerseits wahnsinnig dramatisch ist oder sich auswegslos anhört, aber als ich eingesehen habe, dass ich aufhören muss, nach außen zu schauen, und mich nach innen wenden muss, habe ich ganz wunderbare Sachen gefunden. Und das sind alle Landschaften, die ich auf dem Album beschreibe. Das sind ja hauptsächlich Landschaften, über die ich rede. Wasserfälle und Waldbrände und Schneeflocken, das ist die Welt in mir. 

Also wirkt es vielleicht abstrakt und etwas entfernt, ist es aber gar nicht. 

Überhaupt nicht. Aber da muss man auch Lust drauf haben, da hinzugehen. Und wenn man keine Lust hat, an diesen Ort mit mir zu gehen, kann man sich ja auch einfach den Wasserfall vorstellen. Man muss nicht wirklich verstehen, was der Wasserfall ist, das ist auch absolut okay. Das ist auch, was ich meinte. Ich habe versucht, alles so neutral zu halten wie möglich, damit ich mir nahe kommen kann. Und wenn du mitkommen möchtest, komm mit, und wenn nicht, dann musst du auch nicht. Ich habe gemerkt, wenn es jetzt ein Weltschmerz-Album wird, dann muss ich den ja nicht wortwörtlich schreiben, das finde ich auch langweilig. Sonst gibt es ja überhaupt keinen Interpretationsfreiraum, und den brauch ich ja selbst auch. Ich will ja nicht jedes Mal, wenn ich ein Lied von dem Album singe, Namen von Menschen erwähnen oder Orte. Ich singe lieber über Wasserfälle, wirklich. Ich habe so viele Stunden auf YouTube verbracht, in denen ich einfach nur Wasserfall-Geräusche gehört habe … 

Du hast gesagt, du magst Berlin, weil man da so gut allein sein kann. Ist es dir wichtig, dich immer wieder zurückzuziehen?

Absolut, ich bin wahnsinnig gern allein, bin auch wahnsinnig gern mit anderen Menschen allein. Ich find das auch wichtig, allein auf die Straße gehen zu können und nicht direkt 15 Menschen begegnen zu müssen. Das kann man nicht in jeder Stadt, ohne dass man gleich aufs Land ziehen muss, das möchte ich auch nicht gerade. 

Du warst schon im Täubchenthal in Leipzig. Wäre die Stadt vielleicht eine Berlin-Alternative? Oder zu klein?

Ich find das total unfair, ich würde Leipzig niemals mit Berlin vergleichen. Ich finde Leipzig ganz großartig. Aber für mich war das gar keine Wahl, wo ich hinziehe. Als ich 11 war, hat meine Mutter mich das erste Mal mit nach Berlin genommen und dann habe ich sie angeguckt und gesagt: „Sobald ich mit der Schule fertig bin, ziehe ich nach Berlin“. Also habe ich das gemacht. Ich kannte Leipzig glaube ich nicht mal, als ich 11 war. Leipzig ist super, aber ich möchte hier nicht wegziehen. Aber auch in Leipzig kann man gut anonym unterwegs sein, das schließe ich nicht aus. Eher, wenn ich an Köln denke, wo ich ja aufgewachsen bin. 

Du hattest ja auch erstmal angefangen, Fotografie zu studieren. Ist das trotzdem noch Thema in deinem Leben?

Ich habe immer eine Einwegkamera dabei und ne Polaroid-Kamera dabei, und jedes Telefon hat eine Kamera. 

Schreibst du gerade an neuen Songs? Ist das Songschreiben wieder anders, fällt es wieder leichter?

Ja, ich schreibe schon, das Album kommt. Es ist was anderes in der Hinsicht, dass ich das jetzt von Anfang an in Berlin schreibe und produziere, wohingegen ich die letzten zwei Alben in Hamburg produziert habe. Das war etwas anderes, weil ich nicht in meinem Alltagsumfeld war. Das ist wirklich etwas komplett anderes, abends dann nach Hause kommen zu können und im eigenen Bett schlafen zu können. Ich glaube, das bringt eine gewisse Ruhe rein. Ich bin nicht hysterisch oder panisch oder sonst etwas.

Gibt es schon genaueres zum Album?

Nein, außer dass ich Lieder schreibe. Was ja schon etwas ist, da es das letzte Mal drei Jahre gedauert hat, bis ich den Stift wieder in die Hand genommen habe. Ich habe auf jeden Fall keine Angst mehr, und das macht alles viel einfacher.

dillon-music.com

Dillon könnt ihr am 12. Juni 2015 um 20 Uhr im Täubchenthal sehen, Tickets: 16€ im VVK

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