Abendliches Sammelbecken Ein Abend im Späti

Wir verbringen einen Abend im Spätverkauf „Löwentanke“, einem abendlichen Sammelbecken für Gestrandete.

© Lucas Böhme

Der Abend – für viele Menschen Zeit der Ruhe, der entspannten Rückschau auf das Tagesgeschehen. Doch mancherorts wird gerade dann gearbeitet. So auch im Spätverkauf. Wir waren einen Abend in der „Löwentanke“ dabei.

Ein kalter Abend im Herbst. Draußen Dunkelheit und Regen. Hier drin: Gemütliche Stimmung, Zigarettenrauch, angenehmes Licht. Zwischen gestapelten Bierkästen und allerlei Snacks sind wir in der „Löwentanke“ Jahnallee verabredet. Heute hat Patrick um 17 Uhr seine Spätschicht angetreten. Seit gut einem Jahr arbeitet er nun hier. Eher durch Zufall wie der gelernte Mediengestalter erzählt: Beim Sport lernte er den Geschäftsinhaber kennen und zögerte nicht, als der ihm irgendwann anbot, in seinem Laden mitzuarbeiten. 

Was schätzt er an seiner Tätigkeit? „Dass ich nachts arbeiten kann, dass es locker zugeht. Und du bist auch teilweise dein eigener Chef, weil keiner die ganze Zeit guckt.“ Vorher, so berichtet der Vater eines kleinen Jungen weiter, fraß der anstrengende Job in einer Werbeagentur seine Zeit regelrecht auf. „Du hast nichts vom Tag, wenn du von 10 bis 18 Uhr oder 10 bis 20 Uhr in der Bude hockst.“ Und so führte Patricks Weg über ein Barkeeperdasein in Leipzigs City schließlich in die „Löwentanke“.

An diesem Wochentag geht es recht ruhig zu und so bleibt Zeit für eine lockere Plauderei mit einigen Gästen, die an den Tischen Platz genommen haben. Stammkundschaft? „Inventar“, grinst Patrick. Man kennt sich untereinander, erzählt sich die neuesten Stories, die das Alltagsleben hervorbringt, plaudert über Musik oder Filme. Der Laden mutiert kurzerhand zum abendlichen Sammelbecken der hier Gestrandeten, die etwas Ruhe suchen, das verdiente Feierabendbier oder eben einfach Gesellschaft. Es zieht Menschen aller Altersklassen und sozialen Schichtungen hierher, weiß Patrick. „Du hast Jugendliche, Studenten, alte Leute, Bauarbeiter, alles.“ Und als hier Arbeitender ist man weit mehr als bloß Verkäufer – nicht selten vertrauen einem selbst Wildfremde plötzlich ihre Probleme an und der Mensch an der Kasse ist mit einem Schlag als verständnisvoller Zuhörer und Seelsorger gefordert. „Beziehungskummer und Stress im Beruf, das sind die Spitzenreiter“, sagt Patrick.

„Die Leute ruhig, aber konsequent nach draußen bringen.“

 

© Lucas Böhme
Mag man damit gut umgehen können, kann das in brenzligen Situationen schon schwieriger werden. Das unvermeidliche Stichwort: Berufsrisiko. Was tun, wenn nachts plötzlich die falschen Leute kommen? Hat man Angst? „Eher weniger“, antwortet Patrick gelassen. Ernsthafte Gefahr blieb ihm bisher erspart, mit betrunkenen Gästen musste er allerdings schon fertigwerden. Doch da hat er sein Rezept: „Die Leute ruhig, aber konsequent nach draußen bringen.“ Und: „Die meisten wollen sich nicht prügeln“, weiß der Routinier aus seiner Erfahrung. Einmal, so erinnert er sich, rief jemand die Polizei und meldete fälschlicherweise einen Überfall auf den Laden. Es folgte ein kostspieliger Großeinsatz. Die verantwortliche Person hatte kurz zuvor noch versucht, in der „Löwentanke“ zu klauen und galt als psychisch auffällig.

„Man muss es wollen.“

© Lucas Böhme
Solch spektakuläres Geschehen bleibt an diesem Abend aus. Die Stunden ziehen dahin, verlieren sich im Zigarettendunst, im lockeren Beisammensein, im Gespräch, im Rattern vorbeifahrender Straßenbahnen, im leisen Geräusch des Fernsehers. Patrick plauscht mit seinen Gästen, bedient vorbeikommende Kundschaft, die vor allem nach Tabak und Bier verlangt, spült Geschirr, befüllt Regale, kümmert sich um Abrechnungen. Was ist persönliche Voraussetzung, um in einem solchen Beruf zu arbeiten? „Dass man mit verschiedensten Menschen umgehen kann und dass man abends arbeitet. Man muss es wollen.“ Kompliziert sei die Arbeit nicht.

Irgendwann wieder der Blick zur Uhr. Man ist überrascht, wie schnell die Zeit hier verflogen ist. Für Patrick wird sein heutiger Dienst wohl nach dem Saubermachen um zehn oder elf Uhr enden. Keine Selbstverständlichkeit. An stark frequentierten Tagen kann es schon mal um einiges länger dauern. „Man hat manchmal viel zu tun und manchmal wenig.“ Aber vielleicht ist es gerade diese Abwechslung, die Vielfalt, der Charakter des Unvorhersehbaren, der den Reiz dieses Jobs ausmacht. Zu fortgeschrittener Stunde geben wir uns die Hand. Die Tür gleitet auf und wir ziehen durch die kalte Nacht heimwärts.