"Ohne die Liebe zum Tier ist das definitiv der falsche Job" Ein Tag im Tierheim Leipzig

Das Tierheim ist ein ambivalenter Ort vieler tierischer Schicksale. Neubeginn trifft auf Endstation. Wir haben die Tierpfleger einen Tag lang begleitet …

Man ist hin- und hergerissen. Das Tierheim ist ein Ort vieler tierischer Schicksale, aber auch ein Raum für funkelnde Augen und große Freude. Neubeginn trifft oft auf Endstation. Die Tierpfleger begleiten ihre Schützlinge jeden Tag mit viel Herz und bringen große Empathie für Wesen auf, die den Menschen so dringend als Fels in ihrer Brandung brauchen. Leider sind den Städten und Gemeinden gute Betreuung und ein angenehmes Lebensumfeld nicht genug wert. Die meisten Tierheime werden daher von privaten Spenden und Patenschaften getragen – und auch hier reicht das Geld oft nur für das Nötigste. Ramona Geitner und ihre Kollegen kümmern sich um die Lebewesen, die niemand mehr wollte … Ein Knochenjob, der viel abverlangt und zu gleichen Teilen zurückgibt. Wir haben sie einen Tag lang begleitet und waren von so viel Geduld und Engagement beeindruckt.

© Lisa Schliep

Satte anderthalb Stunden hat es gedauert, mit dem Rad vom heimatlichen Hafen in ländlichere Gefilde zu gelangen. Schuld daran sind zum einen massive Orientierungslosigkeit und die versteckte Lage des Tierheims in der Gustav-Adolf-Allee 35 in Leipzig-Breitenfeld. Vorbei an Solaranlagen und Gewerbegebiet, versteckt sich der erste freie Tierschutzverein in Leipzig und Umgebung e.V. in grüner und unglaublich idyllischer Kulisse, unweit des Schladitzer Sees, aber ziemlich weit außerhalb der Leipziger City.

Das Team des Tierheims betreut momentan um die 90 Hunde, 70 bis 80 Katzen, 20 Kleintiere, 30 Vögel und 170 (!) Exoten. Auf insgesamt drei Häuser und den Außenbereich verteilen sich die Zwei-, Vier- und Mehrbeiner – hoher Geräuschpegel und jede Menge solide strukturiertes Chaos garantiert! Die Kapazitäten sind zwar noch nicht erschöpft, aber die Verteilung der Tiere dennoch eine Situation, die aus der Not heraus geboren wurde. Denn mit 170 exotischen Tieren hatte nicht wirklich jemand gerechnet. „Das ist für uns komplettes Neuland, wir müssen uns ständig selbst aktualisieren, um den Bedürfnissen der Tiere gerecht zu werden“, erzählt Ramona Geitner. Damit meint sie, es den vielen Schlangen und Spinnen tropisch kuschelig zu machen und den kleinen Fröschen einen möglichst moosigen und schleimigen Lebensraum zu garantieren. Erst vor kurzem bekamen sie mehrere Dutzend exotische Tiere aus nur einer Haushaltsauflösung. Krasse Belastung, aber Nein-Sagen ist für die 14 Pfleger keine Option. Die sind sich einig: „Unmöglich gibt es hier nicht. Wo sollen die Tiere denn sonst hin?“ Gerade die – sagen wir – weniger schmusigen Tierchen haben eher bescheidene Vermittlungschancen. Auch der Zoo will sie nicht. Da sie oft keinen Herkunftsnachweis haben, sind sie uninteressant.

Aber ein Tierheim soll in der Regel nicht zur Endstation werden, eher ein sicheres Auffanglager bis zur Weitervermittlung. Die Gründe für die Abgabe der Tiere sind meist genauso vielfältig wie die Geschichten, die sich darum ranken … und traurig. „Wir müssen versuchen, die Besitzer zu verstehen, auch wenn es manchmal schwer fällt. Aber wenigstens wurde sich die Mühe gemacht, das Tier persönlich in unsere Obhut zu geben“, erzählt die 32-Jährige. Viele scheuen die anfallenden Gebühren und die Schmach und setzen ihre Vierbeiner einfach aus – das Veterinäramt kommt und das Tier ist mittellos und verängstigt. Ramona erzählt, dass genau am Tag meines Besuchs ein Tierwelpe direkt vor den Türen des Tierheims abgelegt wurde – ein echtes Findelkind und leider keine Seltenheit.

© Lisa Schliep

Zwischen engen Fluren und grünen Weiten

Zugleich bricht und blüht das Herz, wenn man die Flure im Tierheim abschreitet. Zur linken und rechten säumen sich fast bodentiefe Fenster mit kleinen Steckbriefen der tierischen Bewohner über Name, Rasse und Ankunft. Jedes bringt einen auf eigene Art zum Stehenbleiben. Wie auf einer Bühne bewegt man sich im Gang zwischen bellendem, jaulendem und springendem Publikum. Das Tierheim ist wirklich eines der schöneren Sorte – trotz der irgendwie immer zu klein wirkenden Zwinger. Idyllischer Katzenpark im Außenbereich, große Auslaufgatter für Hunde und liebevoll gestaltete Käfige lassen nicht den Eindruck entstehen, alle Tiere einzusammeln und flüchten zu wollen. In der Gestaltung steckt viel Liebe. Auf den Fluren zum Beispiel hängen Poster-Collagen von Tieren, die bereits ein neues Zuhause gefunden haben. Glückliche Trixis, Ladys, Pinsel und wie sie alle heißen. Absolut bezaubernd und die Namen an Kuriosität und Einfallsreichtum nicht zu überbieten. Da tragen Meerschweine schon mal Namen großer Herrscher und große Schäferhunde hören auf den Namen Mia oder Henriette.

Bevor das Tier mit nach Hause kommt, ist ein offenes Gespräch mit den Pflegern, eine Selbstauskunft, ein intensiveres Kennenlernen zwischen Mensch und Tier und eine 10-tägige Probezeit Pflicht (10 Tage mit dem Tier, versteht sich). Denn die Pfleger wollen, so schwer es fällt, ihre Schützlinge am liebsten nicht wiedersehen und prüfen die Interessenten daher streng auf Herz und Nieren. Sie sind vor allem denen gegenüber abgehärtet, die eine klare Absage von den Pflegern bekommen und das oft lautstark und anmaßend nicht akzeptieren wollen. „Die Leute können und wollen es oft nicht wahrhaben, aber wir entscheiden immer für das Tier. Dann ist es einfach besser so“, sagt Ramona und fügt zu: „Manchmal wird es auch echt schwer, freundlich zu bleiben.“

© Lisa Schliep

Der Erfolg – zu kurz, um ihn zu genießen 

Mit jedem Tier, das das Haus verlässt, kommt ein neues dazu. Schwere Arbeit, die viel abverlangt. Meist sieben Tage die Woche müssen Ramona und ihre Kolleginnen raus, schließlich sind die Tiere auf sie angewiesen. „Der Job ist sehr zeitaufwändig, schlecht bezahlt und risikoreich. Da muss die Familie schon mitspielen. Ohne die Liebe zum Tier ist das also definitiv der falsche Job“, erzählt Mitarbeiterin Ute Dunger. Bei dem Pensum am Tag gut vorstellbar. 7:30 Uhr geht es los – erster Check. Haben die Tiere die Nacht gut überstanden? Dann bekommen die Hunde ihren wohlverdienten Auslauf, es gibt Essen (sportliche 40 kg Futter müssen alleine für die Hunde am Tag verarbeitet werden!) und alle notwendigen Medikamente – dann ist es auch schon Mittag und 400 bis 500 Mäuler gestopft. Und die Arbeit fängt erst richtig an. Denn wer denkt, dass die Pfleger den lieben langen Tag nichts anderes tun, als streicheln, kuscheln und Bälle werfen, der irrt. „Da existiert eine völlig falsche Wahrnehmung bei den Leuten. 85-90% der Zeit, die wir haben, besteht aus der Reinigung“, erklärt Ramona. Und bei so vielen Tieren ist der Haufen „Abfall“, der produziert wird, gigantisch. Zeit, um mit den Tieren zu spielen und sie zu beschäftigen, bleibt dabei kaum – da blutet das Tierliebhaber-Herz. Daher sind sie dankbar für jeden ehrenamtlichen Helfer, der ihnen Arbeit abnimmt oder einfach nur kostbare Zeit mit den Tieren verbringt. Viele Eindrücke, viele große Augen und am Ende nur wenig Lust zu gehen! Hut ab vor so viel Liebe am Tier. 

Wollt ihr das Tierheim ehrenamtlich unterstützen, spenden oder ein Tier bei euch aufnehmen? 

Nähere Informationen gibt’s auf: www.tierheim-leipzig.de