„Die Welt ist nicht schön. Punkt!“ Eisbrecher im Interview

Eine Sturmfahrt nach Leipzig: urbanite plauderte mit Alex Wesselsky, dem Sänger von Eisbrecher.

© Holger Fichtner
Das neue Album „Sturmfahrt“ der Deutschrock-Band Eisbrecher ist kurz nach Veröffentlichung Mitte August 2017 direkt auf Platz Eins der deutschen Albumcharts eingestiegen. Harte Töne und Massentauglichkeit – das passt zusammen? Sänger Alex Wesselsky stand uns im Interview Rede und Antwort und erzählte von stürmischen Zeiten, Schlagerverschwörungen und Promi Big Brother.  

Wohin geht die „Sturmfahrt“? Beschreib mal bitte das Ziel eures Albums. 

Unsere Sturmfahrt geht auf alle Fälle weiter! Im Sinne von „wir bleiben nicht stehen“ und „weiter, als man denken kann“. Die Eins der deutschen Albumcharts haben wir schon, das heißt, wir stoßen jetzt in für uns unbekannte Welten vor. Was kommt nach der Eins? Die Null? Die Unendlichkeit? Wer weiß.

Euer neues Album klingt sehr viel härter als die Alben zuvor. Diese waren laut Kritiken manchmal zu „mainstream“ oder „poppig“. Was ist hier los?

Mit Kritiken machen wir es grundsätzlich so, dass wir sie zur Kenntnis nehmen und dann ignorieren. Jeder kann seine Meinung haben. Und wir produzieren unsere Alben so, wie es uns eben kommt. Deswegen klingt „Schock“, wie „Schock“ und „Sturmfahrt“ nach „Sturmfahrt“. Härter? Ja, nein, vielleicht. Wir nehmen uns nicht vor, ein Album auf eine bestimmte Art und Weise zu machen, sondern wir schreiben Songs und versuchen, die so anzuordnen, dass es eine schöne akustische Reise ergibt.

Den Kritikern muss man ja auch danken. Schlechte Kritiken, gute PR. Alles ist besser als keine Kritik. Und ich meine, die hat uns ja auch genützt. Die letzten beiden Alben haben Goldstatus und die aktuelle Platte hat den Platz 1 der Deutschen Albumcharts erreicht. Uns geht’s gut, vielen Dank, der Patient ist gesund. Musik ist die letzte Art von Demokratie. Das findet man eben gut oder schlecht. Und wenn man es nicht gut findet, dann hört man eben was anderes. Ganz simpel. Und da muss man sich gar nicht groß mit Kritik aufhalten.

Viele Festivals in diesem Jahr sind im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser gefallen. War eure Festivaltour deswegen auch eine Sturmfahrt oder wie habt ihr den verregneten Sommer erlebt? 

Ich persönlich habe rein gar nichts gegen Regen. Der ist gut für meinen Garten und wenn es stürmt, zieh ich einen Hut auf und geh in den Wald. Wir heißen zwar Eisbrecher und sind auf Sturmfahrt, aber das Wetter ist uns auf Festivals meist hold. Dieses Jahr haben wir auch nur drei Festivals gespielt. Unser eigenes zum Beispiel, das „Volle Kraft voraus“-Festival,  hat in einer Halle stattgefunden, genau wegen des unbeständigen Wetters. Klimawandel ist nämlich Fakt, auch wenn ein Donald Trump was anderes behauptet. 

Besser ist es aber, das Festival fällt wetterbedingt aus, als dass irgendeine Staatsmacht meint, ein Exempel statuieren und tausende von Besuchern vom Gelände treiben zu müssen. Ich rede von Rock am Ring. Da bist du Besucher und wirst in dein Auto gesperrt, ohne Erklärungen. Dann darfst du irgendwann wieder raus und es heißt: „Ups, das war nur eine Übung oder ein Fehler.“ Das ist doch scheiße. Warum passiert das ausgerechnet bei einem Rockfestival und nicht beim Schlagerfest der Volksmusik? Rockmusik wird anscheinend immer noch als subversiv betrachtet. Die haben da Angst, dass irgendwelche Parolen oder Kritik geäußert werden. Gleichzeitig findet dann aber ein Rechtsrockfestival in Thüringen statt, wo tausende Leute von der Polizei beschützt werden. Also Leute! Was ist denn da los? Das Wetter ist da echt das geringste Problem in unserem Land.

Mit „Das Boot“ und „Eisbär“ habt ihr zwei Coversongs auf eurem Album. Wer steht noch auf der Coverliste? 

Wir werden nicht umhinkommen, irgendwann mal Hand an Falco anzulegen. Der ist ein super wichtiger Künstler für die deutsche Sprache. Es wäre interessant zu sehen, ob es ohne Falco überhaupt Bands gäbe wie uns. Covern bedeutet auch nicht, dass wir die Songs verändern oder verbessern wollen,  aber man kann es auf Eisbrecher-Art ja ein wenig modernisieren …

© Holger Fichtner

Unheilig, Rammstein und viele andere Bands werden oft zum Vergleich mit euch herangezogen. Nervt euch das? Mit wem vergleicht ihr euch gerne? 

Das ist ja ganz normal. Wenn man eine Rockband gründet, die keiner kennt, sagt man zum Beispiel: die liegen zwischen Metallica und Linkin Park. Dann kann man sich zumindest was drunter vorstellen. Das sind dann meistens auch größere Bands, logisch. Die Vergleiche sind aber nicht an den Haaren herbeigezogen. Wir sind nur weniger theatralisch als Rammstein und nicht so schmusig wie Unheilig. Jede Band hat ja so ihr Ding. Zu uns würde gar keine Feuershow und so viel Theatralik passen. Schon alleine vom Namen nicht: Eisbrecher und Feuer? Nee. Außerdem kopieren das gerade so viele Bands mit der Pyroshow. Gähn, langweilig. Wir funktionieren eben ohne und mit allem. Wir haben echte Emotionen für Millionen. 

Es wird gesagt, euer Album sei dank Songs wie „Was ist hier los?“ politisch. Ist das so?

Wer sich auf eine Bühne vor Publikum stellt und nicht nur auf seiner Laute rumklampft, ist automatisch politisch. Mehr noch sind wir aber sozialkritisch. Wir haben eine Haltung und sind Teil einer Sprachkultur, einer geografischen Lage und Teil der Gesellschaft und Gegenwart. Und darüber schreibt man Songs. Wer, wenn nicht wir Rocker? Die Rockmusik geht auch mal dahin, wo es wehtut. Hip Hop ist auch sozialkritisch, aber hat wieder ganz andere Konnotationen, da geht es um das eigene Umfeld, mein Block, mein Ghetto, mein Lebensbereich. 

Langweilig in der Musik heutzutage ist „ein Hoch auf uns“ und „die Welt besteht nur aus Regenbogen“ – BULLSHIT! Das ist langweilig, das ist öde Kacke. Aber das ist das, was heute deutschsprachige Musik ausmacht. Mann muss doch mal fragen: Was läuft im Radio, was läuft im Fernsehen? Warum gibt es so viel Doppelmoral? Bio essen und woanders verhungern die Menschen? Eltern packen ihre Kinder in Schutzhelm und Warnweste, aber arbeiten in einem Job, der nichts anderes tut, als die Umwelt zu verpesten? Warum können wir nicht einfach mal begreifen, dass wir tief in der Verantwortung stecken, dass es eine Pflicht ist, keine total geschrottete Welt zu hinterlassen. Bald heißt es nicht mehr: „Oh, es hat geregnet, wir konnten nicht aufs Festival“, sondern man kann dann nur noch mit Maske draußen rumlaufen. Darüber sollte man mal nachdenken, statt immer nur zu sagen, alles ist toll, wir sind toll. Die Welt ist nicht schön, Punkt. 

Ihr singt nach wie vor hauptsächlich auf Deutsch. In Russland habt ihr schon einige erfolgreiche Konzerte gespielt und auch eine finnische Freundin von mir hatte euch in ihrer Playlist. Warum seid ihr auch ohne Englisch im Ausland erfolgreich? 

Da sieht man wieder deutlich: Musik ist eine Sprache, die auch ohne Text funktioniert. Wenn wir jetzt Englisch sprechen würden, nur um im Ausland erfolgreich zu sein, wären wir nicht so interessant. 

Wir waren auf Tour in St. Petersburg, Moskau, Helsinki, fahren bald nach Frankreich. Die Leute interessieren sich für die deutsche Sprache, das haben Rammstein und auch andere Bands vor uns schon verstanden. Ist doch super, dass Musik die Leute dazu bringt, sich mit der deutschen Sprache auseinanderzusetzen. Musik ist ein Transmitter von Supranationalität. In einer Zeit, in der Mauern hochgezogen werden und nur auf Unterschiede hingewiesen wird, ist es wichtig, dass die Musik wieder Brücken baut und solche Grenzen niederreißt. 

Ich glaube, andere Länder haben auch einen anderen Zugang zur Rockmusik. In Amerika oder Finnland gibt es ja eigene Rockradiosender. Das einzige, was ich hier mit dem Radio machen möchte, ist es zu packen und aus dem Auto zu werfen. 

Manche eurer Songs haben unbestreitbar Schlagerpotenzial. Was nicht verwerflich ist, Schlager scheint sich seit Andreas Bourani und Helene Fischer durchaus an Beliebtheit zu erfreuen, auch bei jüngeren Hörern. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Menschen wollen gerne ihre heile Welt und Seife in die Augen geschmiert haben. Aber wir sind nicht Schlager. Eine Ballade hier und da, ja. Aber wenn wir Schlager machen würden, würden wir beim Fest der Volksmusik auftreten und richtig Kohle scheffeln. Ich will aber nicht urteilen. Für jeden Menschen und für jede Lebenslage gibt es die richtige Musik, Musik zum Wütend-, Traurig- oder Glücklichsein, und das ist gut so. Ich finde es nur dumm, was Hörfunk und Fernsehen machen. Die Hälfte der aktuellen Musik wird ausgeblendet. Das ist unfair. Ich habe das Gefühl, dass es eine Lobby rund um Schlager gibt und dass nur das gespielt wird. Mir fehlt die Vielfalt.

Was sind eure Pläne für die Zukunft? 

Die Rockmusik ist meine erste und einzige große Liebe. Ich habe es bekannterweise mit Autosendungen versucht und auch das hat mir großen Spaß gemacht. Das soll aber alles ohne Zwang bleiben. Ich habe das Privileg, genau das zu machen, worauf ich Bock habe. Eines kann ich aber versprechen: Zum Promi Big Brother werde ich nicht gehen. Da finde ich es ehrenhafter, als Gladiator in einer Arena zu sterben, als mir von Kameras beobachtet den Hintern zu waschen! 

Infos: „Sturmfahrt“ ist seit dem 18. August 2017 im Handel erhältlich. Ein Muss für Fans von Unheilig, Rammstein und Oomph! Am 7. Oktober 2017 kommen Eisbrecher ins Haus Auensee. Einen Tag zuvor sind die Rocker im Alten Schlachthof in Dresden. Am 8. Oktober 2017 geht die Sturmfahrt weiter in die Columbiahalle nach Berlin. Für beide Veranstaltungen in Leipzig und Dresden könnt ihr auch immernoch Tickets bei urbanite gewinnen.