Ein Film vom ungarischen Regisseur Kornél Mundruczó Filmkritik: „Underdog“

Ein brisantes gesellschaftliches Problem, verarbeitet in einem berührenden Drama.

Ein Mädchen auf dem Fahrrad, eine menschenleere Straße in Budapest, Stille – so beginnt Underdog. Als im nächsten Moment ein Rudel wilder Hunde hinter dem Mädchen auftaucht und die Stille von deren Kläffen und den düsteren Klängen des Streichorchesters übertönt wird, setzt unvermittelt eine subtile Bedrohlichkeit ein. Warum sind dort keine anderen Menschen? Was ist passiert?

Handlung

© Presse
Wir lernen zunächst die 12-jährige Lili (Zsófia Psotta) kennen. Sie soll für 3 Monate bei ihrem Vater Daniel (Sándor Zsótér) leben, während ihre Mutter auf Geschäftsreise ist. Sie bringt ihren Hund Hagen (Luke & Body) mit, der dem Vater allerdings schnell ein Dorn im Auge ist, denn durch eine kürzlich erhobene Steuer auf Mischlingshunde würde es eine ganze Stange Geld kosten, den Hund im Haus zu behalten.

Er stellt Lili vor die Wahl: Aussetzen oder Tierheim. Ersteres würde wahrscheinlich den Tod des Hundes bedeuten, letzteres früher oder später genauso. Daniel hat keinerlei Verständnis für die enge Bindung zwischen Lili und Hagen und setzt den Hund in einer herzzerreißenden Szene gegen ihren Willen aus. Darunter leidet auch das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Vater und Tochter. Lili läuft weg um ihren Hagen zu finden.

Wir folgen Hagen. Zunächst hilflos und allein findet er bald ein Rudel Straßenhunde, dem er sich anschließt. Der Frieden währt nicht lange, gejagt von Hundefängern fällt Hagen einem grausamen Kampfhundtrainer in die Hände.

Abwechselnd stehen wir Hagen und Liili bei, dem einen durch sein Martyrium bei den Hundekämpfen, der anderen bei ihrer verzweifelten Suche nach Hagen. Als die beiden Handlungsstränge unglaublich elegant wieder zusammengeführt werden, ist Hagen nicht mehr derselbe.

Figuren

Hagen ist ein vierbeiniger Held in einer Welt, die ihn und seine Artgenossen nicht will. Die Mischlinge gelten als dreckig. Halter, die die Steuer nicht zahlen wollen, setzen die Tiere einfach aus. Als er sich mit seinen Artgenossen gegen seine Peiniger stellt, entpuppt sich Hagen als Clint Eastwood unter den Hunde-Schauspielern – in einem Showdown, der schwer an die Italo Western der 60er erinnert, fixiert er seine Gegner mit einem stechenden Blick. Die Augen sind für den Zuschauer der zentrale Anhaltspunkt, um in den Szenen ohne Dialoge den Intentionen des Hundes folgen zu können – das war auch Regisseur Kornél Mundruczó beim Casting besonders wichtig.

Lili ist 12 Jahre alt, ein Alter in dem sie kein Kind mehr ist, aber auch noch keine Frau. Ein Alter, in dem das soziale Bedürfnis zu lügen wächst. Sie gibt dem Film eine Coming of Age Komponente, indem sie sich gegen ihren Vater auflehnt und ihre Grenzen austestet. Sie scheint zu Hagen eine tiefere Bindung zu haben als zu ihrem Vater, dennoch versucht sie unermüdlich, sich ihm verständlich zu machen und gibt ihm immer wieder Chancen, ihr näher zu kommen. Eine Haltung die sich bei dem überzogen gefühlskalten Verhalten Daniels teilweise schwer nachvollziehen lässt.

Daniel, Lilis Vater, wirkt von Anfang an distanziert und emotionslos. Ihn lernen wir an seinem Arbeitsplatz kennen – im Schlachthaus, wo er als Fleischbeschauer tätig ist. Die Wahl des Berufs rundet seine Figur damit ab und ergänzt sein mangelndes Mitgefühl gegenüber seiner Tochter und ihrem vierbeinigen Freund. Erst ganz am Ende erfährt sein Charakter eine (etwas zu) unvermittelte Wandlung.

    

Vision & Umsetzung

200.000 Straßenhunde leben allein in Budapest, der Umgang mit ihnen ist eine ernsthafte Problematik und zentrales Thema des Films. Auf diesem realen Fundament baut sich eine fiktive Szenerie auf, in der sich die geplagten Kreaturen gegen die Menschen auflehnen. Die mehr als 250 Hunde im Film sind überwiegend Straßenhunde die von Hundetrainern für den Film ausgebildet wurden und nach den Dreharbeiten vermittelt werden konnten.

Ein Film, der zum Großteil aus der Perspektive eines Hundes gedreht wurde, mag zunächst nach einem zweifelhaften Vorhaben klingen. Doch wir haben es hier mit ausgezeichneten Hunde-Schauspielern zu tun, die mehr drauf haben, als totstellen und rollen. Sie stellen fernab von jedem Lassie Kitsch emotionale Geschöpfe mit Persönlichkeitsentwicklung dar. Tatsächlich wurden sie für ihre Leistung in „Underdog“ 2014 mit dem „Palm Dog Award“ ausgezeichnet.

Die Kampfszenen zwischen den Hunden wirken ausgesprochen brutal und gefährlich, doch auch hier steckt wieder ausgezeichnetes Training dahinter. Tatsächlich spielen die Hunde nur miteinander, haben dabei sogar schützende Plastik-Kappen auf den Krallen. Etwas Kunstblut und bedrohliche Musik dazu – fertig ist eine realistische Hundekampf-Szene.

Fazit:

Das gewagte Thema des Films wurde wirklich gut und mit Liebe zum Detail realisiert. Auch in dialogarmen Szenen bleibt die Handlung verständlich und spannend. Die Hunde, insbesondere Luke und Body, haben ihren Award wirklich verdient und können an manchen Stellen selbst die menschlichen Schauspieler übertrumpfen. Dass diese teilweise nicht ganz überzeugen können, mag auch der deutschen Synchronisation geschuldet sein. Die gewählte Erzählstruktur in zwei Handlungssträngen wurde gut umgesetzt, einzig die wackelige Kameraführung in einigen wenigen Szenen war störend und als Stilmittel nicht zu rechtfertigen – denn trotz Horrorfilm Elementen sind wir hier ja nicht beim Blair Witch Project. Zur Stimmung und Aufbau der Spannung konnte auch die gewaltige Filmmusik viel beitragen. Alles in allem ist „Underdog“ ein gelungenes Werk, das hoffentlich die Diskussion über ein wichtiges Problem anregen kann.

Infos:

„Underdog“ kommt am 26. Juni 2015 in die deutschen Kinos.