Diskussion über nichtvorhandene Tradition, Kommerzialisierung und die Daseinsberechtigung neuer Clubs Großes Interview mit RB Leipzig-Sportdirektor Ralf Rangnick

Leipzig ist nach 16-jähriger Abstinenz zurück in der 2. Bundesliga! Wir sprachen mit Ralf Rangnick, der seit knapp zwei Jahren Sportdirektor von Red Bull Salzburg und RB Leipzig ist. Der ehemalige Profifußball-Trainer findet klare Worte über die Daseinsberechtigung von RB Leipzig, die Traditions-Diskussion, die Angst des Establishments und wer eigentlich Weltmeister wird.

Geschafft: Leipzig ist nach 16-jähriger Abstinenz zurück in der 2. Bundesliga! Der vor 5 Jahren gegründete Fußballclub RB Leipzig hat sich mit einem 5:1 gegen den 1. FC Saarbrücken im heimischen Stadion vor der Rekordkulisse von 42.713 Zuschauern in die Sphären der zweithöchsten Spielklasse im deutschen Fußball geschossen. Ob die DFL (Deutschen Fußball Liga) die Lizenz für den oft kritisierten Verein erteilt – Stichwort Retortenclub – wird am 28. Mai 2014 entschieden. Wir sprachen vorab mit Ralf Rangnick, der seit knapp zwei Jahren Sportdirektor von Red Bull Salzburg und RB Leipzig ist. Der 55-jährige ehemalige Profifußball-Trainer findet klare Worte über die Daseinsberechtigung von RB Leipzig, die Traditions-Diskussion, die Angst des Establishments und wer eigentlich Weltmeister wird.

© GEPApictures/ RB Leipzig

Der Plan „Ab durch die Dritte“ ist aufgegangen. Obwohl Sie neulich sagten, diesen Slogan gab es eigentlich nie.
Wir haben von Beginn an betont, wie schwer das Jahr wird, denn ab durch die Dritte geht in dieser Liga keiner. Es ist sicher die ausgeglichenste Liga unter den drei Profiligen, wo es wirklich so ist, dass jeder jeden schlagen kann. Es ist eine Spielklasse, in der es um Nuancen geht und in der man einfach auch immer wieder einen Ticken besser sein muss als der Gegner. Fußball ist – das klingt jetzt zwar ein bisschen trivial – ein relatives Geschäft. Du musst ein paar Prozentpunkte besser sein als deine Konkurrenten – im jeweiligen Spiel, aber auch auf die gesamte Saison gesehen. Und das geht nicht mit ‚ab durch die Dritte’. Wir haben keine Mannschaft, die von alleine, noch dazu an einem nicht so guten Tag, trotzdem in der Lage ist, die Spiele zu gewinnen.

Gibt es denn einen Spieler bei RB Leipzig, der Sie in der Saison besonders positiv überrascht hat?
Sebastian Heidinger ist für mich ein Beispiel dafür, dass selbst in einem für unsere Philosophie etwas fortgeschrittenerem Alter auch enorme Fortschritte möglich sind. Und Heidinger hat auch von unserer Spielweise – dem schnellen Umschaltspiel – profitiert. Da kommen seine Qualitäten, seine Schnelligkeit, seine gute Technik, auch seine Grundaggressivität zum Tragen. Wenn man mal von dem ausgeht, wo er noch vor anderthalb Jahren stand und jetzt, wo er eigentlich aus der Mannschaft fast nicht mehr wegzudenken ist, ist er sicherlich der Spieler, der für mich die größten Fortschritte gemacht hat.

Stimmt es, dass Sie eine Wohnung in Leipzig suchen?
Jein. Mein eigentlicher Wohnsitz ist in Backnang. Da habe ich meine Freunde und meine Familie – das ist auch mein Ankerpunkt, aber ich habe jetzt auch eine Wohnung in Salzburg. Natürlich möchte ich in den nächsten zwei Jahren nicht immer nur im Hotel wohnen und nur aus dem Koffer leben. Ich finde aber, dass dieses Thema trotzdem noch Zeit hat.

Konnten Sie sich mit Leipzig schon anfreunden?
Zu sagen, ich kenne Leipzig schon sehr gut, würde zu weit gehen. Aber der gesamte Kern Innenstadtbereich ist mir inzwischen natürlich bekannt. Ich finde auch vom Cottaweg auf die Geschäftsstelle und von da ins Stadion ohne Navi (lacht). In der Regel bin ich dort, wo ich arbeite – Geschäftsstelle, Stadion, Cottaweg – und abends dann auch mal im Kernbereich wie im Barfußgässchen.

RB Leipzig wird vielerorts als das Böse gesehen, das den Fußball kaputt macht.

© GEPA/RB Leipzig
Diese Traditions-Diskussion ist verstärkt bei uns in Deutschland ein Thema. Dass ein Verein schon 100 Jahre alt sein und viele Jahre in der 1. und 2. Bundesliga gespielt haben muss, damit er eine „Daseinsberechtigung“ hat. Das hat aber nichts mit dem normalen Leben zu tun. Wenn man diese Argumentation auf die freie Wirtschaft anwendet, dann dürften Twitter, Google und sämtliche Handyhersteller gar nicht existieren. Wir wissen alle, dass das undenkbar ist.

Die andere Diskussion, die in dem Zuge geführt wird ist, wir hätten durch unseren Sponsor andere finanzielle Bedingungen als andere Clubs. Natürlich haben wir hier gewisse finanzielle Möglichkeiten, doch entscheidend ist in erster Linie, wie diese Mittel dann letztendlich eingesetzt werden. Im Engagement von Dietrich Mateschitz und Red Bull steckt extrem viel Nachhaltigkeit. Das beweisen vor allem auch die Investitionen in die Infrastruktur sowie unsere Nachwuchsarbeit mit der entsprechenden Akademie. Das andere Argument: Kunstprodukt und keine Zuschauer – da braucht man sich ja nur die Entwicklung anschauen, die bei uns stattfindet. Wir haben inzwischen die höchste Zuschaueranzahl bei Heimspielen in der 3. Liga – und das obwohl wir ein Neuling sind. Und wenn wir wirklich den Aufstieg schaffen würden, wage ich jetzt mal die Prognose, dass wir dann einen Zuschauerschnitt von 25.000-30.000 hätten – das haben nicht viele.

Können Sie die Aufregung um den Sponsor Red Bull nachvollziehen?
Wir tun uns in Deutschland oft mit Dingen, die neu und anders sind und die vielleicht eine Konkurrenz für das sogenannte Establishment darstellen, schwer. Und ja, es stimmt, wir machen in vielen Bereichen Dinge, die anders sind. Und dazu stehen wir natürlich auch.

Was sagen sie zu dem Hass, der teilweise auf den Sponsor Red Bull niederprasselt?
Ich glaube nicht, dass es unbedingt mit dem Produkt zu tun hat. Sondern es geht eher darum, dass da jemand sein könnte, der einem anderen Etablierten möglicherweise einen Platz wegnimmt.

Warum halten die Deutschen an der 50+1-Regel so fest?
Vielleicht hat es mit der Angst und den Vorbehalten hinsichtlich privater Investoren zu tun – vor den englischen Verhältnissen, wo sich im Prinzip jeder einen Verein kaufen kann. Aber da gibt es sicherlich auch Wege und Möglichkeiten, das anders zu regeln. Beispielsweise in dem man die Übernahmeregeln so aufstellt, dass eine langfristige Nachhaltigkeit nachgewiesen werden muss.

Die Reaktion auf den RB-Becherwerfer gegen Heidenheim mit striktem Stadionverbot klingt für viele erst einmal sehr hart.
In Deutschland hat man teilweise das Gefühl, dass alles was innerhalb eines Stadions passiert, rechtsfreie Zone ist. Ich bin auch für Atmosphäre in der Arena, ich finde es klasse, wenn ein Stadion richtig vibriert, aber das Ganze muss nicht mit Pyro, Gewalt oder gegenseitigen Anpöbeleien stattfinden.

Rechnen Sie mit Fanausschreitungen seitens RB-Anhänger?

© GEPA/RB Leipzig
Wenn wir als Verein RB Leipzig nicht Vorschub leisten, werden wir sicherlich die gleichen Probleme bekommen. Wir dürfen nicht glauben, dass wir auf einer Insel der Glückseligen leben, nur weil wir momentan noch einen hohen Familienanteil haben. Es ist ja auch kein generelles Problem des Fußballs, sondern wenn Menschen ein hohes Aggressionspotenzial haben und merken, dort ist eine Bühne, wo sie es ausleben können und zwar häufig ohne, dass ihnen sofort negative Konsequenzen drohen – dann machen die das. Die Strafen müssen daher so hart sein, dass das abschreckt. Wenn jemand andere Menschen gefährdet, muss der Verein rigoros durchgreifen.

Es gibt einige sehr temperamentvolle Trainer in der 1. Bundesliga wie Christian Streich, Torsten Lieberknecht – allen voran Jürgen Klopp. Stehen die Trainer heutzutage mehr unter Druck und müssen daher auch mehr Luft ablassen?
Glaube ich nicht. Klar, die Berichterstattung wird immer mehr auf alles, was um das Spielfeld drumherum passiert, gerichtet. Es gibt wahrscheinlich in jedem Stadion eine Kamera, die ausschließlich auf den Trainer gerichtet ist. Jede Mimik und Aussage wird eingefangen. Und bei Flash-Interviews direkt nach dem Spiel kann es natürlich mal vorkommen, dass man den Gesprächspartner in einem ganz emotionalen Moment erwischt. Ich weiß selber noch, wie man sich direkt nach einem Spiel als Trainer fühlt. Da ist der Puls oben.

Nach dem Hansa Rostock Spiel legte Alexander Zorniger chaotischen Rostock-Anhängern nahe, sie sollten so schnell wie möglich zurück an die Ostsee und sich in selbiger ertränken. Gab es da einen Rüffel von RB?
Natürlich gab es da Gespräche. Alex wusste am Tag danach schon, dass er das besser nicht gesagt hätte. Entscheidend ist, dass man daraus lernt und die richtigen Schlüsse zieht. Als Trainer bin ich ein großer Verfechter gewesen, nach dem Spiel immer zuerst in die Kabine zu meiner Mannschaft zu gehen. Ich habe zwei Minuten zur Mannschaft gesprochen und bin dann erst raus zu den Flash-Interviews sowie in die Mixed-Zone. Das gab mir dann zumindest ein bisschen Abstand. Letztendlich muss da aber jeder selber seinen Weg finden.

Kurz vor der WM in Brasilien. Wer wird Weltmeister? Wer steht im Finale?
(lacht) Ja, in solchen Tipp-Spielen bin ich meistens nicht gut. Bei Brasilien und Argentinien sehe ich zunächst mal schon den Vorteil, dass sie unter gewohnten Bedingungen spielen. Deshalb gab es ja bisher auch noch nie eine europäische Mannschaft, die in Südamerika die WM gewonnen hat. Ich halte deshalb Brasilien und Argentinien, aber auch Deutschland und Spanien für die Teams, die normalerweise die besten Chancen haben, unter die letzten Vier zu kommen. Aber erfahrungsgemäß gibt es auch immer ein Überraschungsteam. Mich würde nicht wundern, wenn Belgien diese Rolle einnimmt, weil sie unglaublich viele Ausnahmetalente haben. Ich sehe unsere Nationalelf jetzt nicht als Top-Favorit, aber durchaus als Mannschaft, die natürlich die Möglichkeit hat, sehr weit zu kommen. Und wenn sie es tatsächlich schaffen, das Halbfinale zu erreichen, dann ist es auch möglich, dass wir Weltmeister werden. Ein paar Spieler sollten bis dahin aber wieder gesund werden. Gomez, Klose – so richtig viele Stürmer, die ganz vorne als echte Neun stehen könnten, haben wir nicht mehr … Frahn wäre noch eine Idee … (lacht).

Hier könnt ihr euch noch einmal den Bericht des MDR ansehen: