RBL-Trainer Zorniger über Kritik, Trainerjob, Presse und Doppelmoral Großes Interview mit RB Leipzig-Trainer Alexander Zorniger

Im großen Interview mit RB Leipzig-Trainer Alexander Zorniger erfahrt ihr, ob der Verein mit den Transfers ernst machen wollen und ob einem als RBL-Trainer das Lachen vergeht.

Alexander Zorniger gelang mit RB Leipzig das, was seitens des Vereins zwar von Vornherein geplant war, jedoch erst mit dem Schwaben Realität wurde: der Aufstieg in die 3. Liga – damit in den Profifußball – und Durchmarsch in die 2. Bundesliga. Im urbanite-Interview spricht der 47-Jährige über die Kritik an RB Leipzig, seinen Status als öffentliche Person und ob der Verein mit den Neuzugängen zeigt, dass er nun „doch ernst macht“

© GEPApictures / RB Leipzig

Du bist seit 2 ½ Jahren hier in Leipzig. Was sind deine Lieblingsplätze in dieser Stadt?
Ich bin sehr, sehr gern an den Seen – vor allem Richtung Cossi und Auensee raus. Ich bin gerne in der Innenstadt, weil ich da von meiner Wohnung aus hinlaufen kann. Auch das Gewandhaus und die Oper sind beeindruckend. Das sind so Sachen, die ich in der Vergangenheit schon ein bisschen vernachlässigt habe. Aber ich will Leipzig jetzt auch ein bisschen genießen. Wobei ich auch sehr gerne zu Hause bin, wenn ich dann mal Zeit habe. Das ist der Ort, wo ich runterkommen kann. Deswegen war es mir auch sehr wichtig, eine schöne Wohnung in Leipzig zu finden. Nach dem Drittligaaufstieg war ja klar, dass sich der Vertrag nochmal verlängert.
Bei allen Bedenken, die ich manchmal habe, dass mich vielleicht nicht jeder mag, ist es nicht einmal passiert, dass irgendjemand negativ auf mich zugekommen ist. Ich spüre eine unglaubliche Sympathie und Wertschätzung, auch wenn ich angesprochen werde. Und das passiert mir in der Zwischenzeit eigentlich immer öfter. 

Obwohl du selbst mal erzählt hast, dass eine Taxifahrerin überrascht war, dass du auch lachen kannst. 
Das stimmt (lacht). 

Verliert man das bei dem Job?
Wenn ich mit irgendjemanden eins zu eins spreche, dann lache ich auch. Vor allem, wenn ich von der Qualität meines Gegenübers überzeugt bin oder denjenigen einfach sympathisch finde. Wenn ich froh bin, dass ein Gespräch zu Ende ist, dann muss ich auch nicht lachen. Aber ich glaube, das geht jedem so. Du triffst jemanden und denkst dir, ja mit dem kann ich gut, da kann ich auch mal lächeln. Wenn blöde Fragen kommen, warum muss ich dann lächeln?
Aber das sagt man mir irgendwie schon immer. Ich bin einfach extrem fokussiert, wenn ich auf dem Platz bin. Aber auch da gibt es dann mal Situationen, wo ich entweder über mich selbst lache oder wenn im Spiel was funktioniert. Ich bin durchaus ein glücklicher Mensch (lacht). 

Obwohl man manchmal das Gefühl hat, du wirkst betrübt.
Das ist keine Absicht – ich sehe mich eigentlich schon als relativ lockeren Typ, wenn es angebracht ist.
Ich habe mir seit der Verbandsliga in jeder Klasse alles er-trainiert. Ich bin von der Verbandsliga in die Oberliga aufgestiegen, bin von der Regionalliga in die 3. Liga und jetzt in die 2. Bundesliga aufgestiegen. Und darauf bin ich durchaus auch stolz. Aber ich habe mir halt auch alles erarbeitet. Ich bin keiner, der 360 Erstligaligaspiele hat und 85 Länderspiele und erst mal, wenn er irgendwo hinkommt, gehypt wird. Sondern ich muss von Anfang an überzeugen – und das musste ich schon immer. Und überzeugen heißt, sich das zu erarbeiten. Dann kann es schon sein, dass das Erarbeiten bei mir nicht ganz so locker aussieht wie bei dem einen oder anderen. 

Als Zweitliga-Trainer bei einem Verein wie RB Leipzig stehst du sicherlich unter einem anderen Druck als andere Trainer.
Diese Art ist einfach ein Persönlichkeitsmerkmal von mir. Es ist nicht so, dass ich jetzt hier um meinen Job zittere, mich in mich hineinverkrieche und dadurch anders verhalte – gar nicht. Ich lebe mein Leben exakt so, wie ich es mir vorstelle. 

Du stehst sehr im Fokus, seitdem du bei RB Leipzig-Trainer bist. Du bist nun eine öffentliche Person. Vor 2 ½ Jahren kannten dich wahrscheinlich wesentlich weniger Menschen.
Ja (lacht). Da hieß es immer Alexander wer?

Was sind für dich die positiven Aspekte dieser Öffentlichkeit und was die negativen?

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Positiv ist, dass du mit dieser öffentlichen Wahrnehmung schon eine ganze Menge Leute begeistern kannst. Der Grund für diese Öffentlichkeit ist, dass ich zusammen mit meinem Trainerteam und den Spielern eine gute Arbeit mache. Und das realisiere ich natürlich. Es ist schön mitzubekommen, dass Leute glücklich sind, wenn ich mit ihnen quatsche, wenn ich Autogrammwünsche erfülle und wenn ich Bilder mit mir machen lasse. Man merkt einfach, wie man Leute begeistern kann.
Und, das darf man auch nicht vergessen: Mir fallen manche Sachen leichter, z.B. wenn ich Eintrittskarten brauche – das sind sicherlich Annehmlichkeiten, die ich habe, weil ich eine Person des öffentlichen Lebens bin. Aber, das sage ich ganz bewusst, das wird nie ganz die Tatsache aufwiegen, dass ich überall präsent bin. Egal was ich mache, es heißt dann: „Das war der Trainer von RB.“ Diese öffentliche Wahrnehmung, egal wo du hingehst, ist sicherlich auch schwierig. Weil du auch sehr oft auf das reduziert wirst. 

Mit dir redet wahrscheinlich auch nie jemand über etwas anderes als Fußball.
Exakt. Aber das kann auch sehr angenehm sein. Egal welchen Wirtschaftsboss du vor dir hast, wenn du ihn auf Fußball reduzierst, dann ist er ein normaler Fan. Aber auf der anderen Seite würde ich mich auch ganz gerne mal einen Tag nicht über Fußball unterhalten müssen. Und das ist ja auch in meinem direkten Umfeld so. Auch für meine Freunde und Familie ist das neu und intensiv. Und die denken auch, sie müssten dir Ratschläge geben, wo ich dann immer sage: „Lass mich das machen, ich habe das alles im Griff.“ Wenn ich mich auch noch um die Psyche meiner Familie kümmern muss, dann wird es schwierig (lacht). 

Du hast auch schon öfter die lokale Presse kritisiert, dass sie nicht immer ihren Job gut macht. Was meinst du damit? 
Ich habe hin und wieder die Arbeit von Teilen der lokalen Presse kritisiert, nicht die lokale Presse an sich. Ich gehe davon aus, dass ich auch auf der anderen Seite mit Profis zusammenarbeite – und dementsprechend erwarte ich auch professionelles Verhalten. Dass beispielsweise bestimmte Dinge nicht einfach unreflektiert übernommen werden, sondern dass sie auch hinterfragt werden. Ich weiß, dass auch die Medien unter einem gewissen Druck stehen, aber wenn etwas einfach ungeprüft übernommen wird, kann ich das nicht nachvollziehen. Und für mich als Trainer ist die Farbe grau eine ganz wesentliche. Bei den Medien gibt es manchmal nur die Farben weiß und schwarz. Das macht die Arbeit manchmal ziemlich schwierig. 

Du sagst auch gerne mal Sachen, bei denen ein Mediencoach die Hände über den Kopf zusammenschlägt (Stichwort: „Chaoten sollen in der Ostsee ertrinken“). Hat dir das schon Ärger eingebracht?
Nicht viel Ärger. Weil das bisher in Situationen war, als ich erfolgreich war und dann kann man sich solche Sachen auch leisten. Im Verlauf der Vorrunde, als Spiele auch mal nicht so gut gelaufen sind, dann krieg ich auch schon mal mit, was die Konsequenzen sind. Aber das ist mir egal. Ich kann nicht immer genau aufpassen, was ich sage, nur damit ich diese Aussage ein halbes Jahr später nicht vor die Füße geworfen kriege. Dann würden meine Interviews noch länger dauern als dieses. Mir haben Medienprofis auch schon gesagt, dass ich mir ab und zu mal auf die Zunge beißen soll. Aber ich will, dass mein Gegenüber auch weiß, was ich von ihm, seiner Frage und von seiner Aussage halte. Dazu muss ich nicht fünf Minuten rumquatschen. Manche verwechseln das dann. Aber dazu stehe ich auch. 

RB Leipzig ist ein großes Thema in Fußballdeutschland – meist negativ behaftet. Nerven dich mittlerweile Fragen dazu?
In der Zwischenzeit schaffe ich es sogar, mir darüber weniger Gedanken zu machen, sondern das auch mit Neid und Unkenntnis zu erklären. Allerdings weiß ich auch ganz genau, dass es einen Grund für diese Aversion gibt. Und die gestehe ich einem Fan von anderen Vereinen auch ein, der nicht hier wohnt und das nicht erlebt.

Welchen Grund zum Beispiel?
Zum einen, dass davon ausgegangen wird, dass wir grundsätzlich andere Mittel zur Verfügung haben. Mich wundert es allerdings immer, dass man diesen Kreislauf nicht auch mal einsieht. Es wird immer Vereine geben, die andere Mittel haben als andere. Auch uns gegenüber haben andere Vereine andere Mittel. Aber bei uns wird das natürlich in Verbindung mit dieser Kommerzialisierung des Fußballs an sich extrem negativ ausgelegt. Und im Moment sieht man uns wahrscheinlich auch als Speerspitze dessen. Ich denke aber auch, dass manche wiederum die Aussagen von Leuten, die im Fußball daheim sind, unreflektiert übernehmen.
Ich bin zum Beispiel auch davon weg, was ich anfangs dachte: „Leuchtturm für Ostdeutschland, da wird jeder juhu schreien …“ Das sehe ich in der Zwischenzeit differenzierter. Wir sind ein Verein in Leipzig. Uns kümmert es in allererster Linie, wie der Fußball in Leipzig aussieht und nicht woanders. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der Region ist einfach nicht so, dass du sagen kannst, da wird in den nächsten drei bis zehn Jahren automatisch ein Zweit- oder Erstligist daraus entstehen. Das geht nicht. Aber das interessiert die Kritiker halt nicht.

Und natürlich denkt der eine oder andere auch, dass wir irgendeinen Verein verdrängen. Aber das war doch bisher immer so. Offenbacher Kickers und Alemannia Aachen spielen auch nicht mehr im Profifußball – und zwar zu Zeiten, da haben wir noch nicht im Profifußball gespielt.
Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob es weiterhin unser Ziel sein muss, sachlich und fachlich gut zu argumentieren. Wir müssen einfach unseren Job machen, und zwar gut. Und vor allem müssen wir Leipzig für unseren Fußball begeistern. Das ist die einzige Prämisse, die wir haben müssen.
Wer aus anderen Großstädten kommt und seit 25 Jahren in der 1. oder 2. Liga Fußball zugeguckt hat, kann das nicht nachvollziehen, was hier gerade passiert. Wie sich die Leute nach dem gesehnt haben, wo wir jetzt gerade sind. Ich glaube, es gibt keine deutsche Stadt, die mehr als 500.000 Einwohner hat, die über 16 Jahre hinweg, nicht einmal 2. Liga-Fußball hatte. Und dann stellt sich jemand hin und sagt, dass der Fußball kaputt gemacht wird?

Warum ist die Kritik an eurem Sponsor so extrem? 
Weil RB der Verein ist, der das mit Abstand am offensivsten kommuniziert. Da steht ganz klar eine Firma dahinter. Aber wenn ein anderer Verein mal keinen Erfolg hat, steht der Vorstandsvorsitzende vom Hauptsponsor auch da und fragt, was da schiefläuft. Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird. Das ist bei uns halt der Extremfall, das sehe ich auch ein. Aber das ist bei anderen nicht viel anders. In den ersten drei Ligen geht es in erster Linie darum, finanziell über dem Strich zu bleiben. Und da sind Sentimentalitäten nicht erlaubt. 

Mehmet Scholl machte dir im TV ein großes Kompliment, indem er sagte, du seist ein großes Trainertalent, was man garantiert bald in der 1. Bundesliga sehen wird. Deine Arbeit wird demnach sehr geschätzt …
Ich brauche in der Zwischenzeit keine Minderwertigkeitskomplexe mehr haben. Ich weiß, dass wenn ich weiter Lust dazu habe, den Weg zu gehen, dann werde ich das auch tun. Wenn ich das alles nicht mehr will, dann mache ich etwas anderes. Bisher ist es immer noch ein Traumjob, weil du Dinge ändern kannst – und zwar im großen Stil ändern kannst. Du kannst eine Mannschaft aufbauen, dass sie eine bestimmte Art und Weise Fußball spielen. Diese spezielle Spielweise ist einfach begeisternd, hat Pep, Spirit, Leidenschaft – alles was die Zuschauer auch mögen. Es ist nicht immer zwingend erfolgreich. Aber da ist immer was los. 

Du sagtest in einem Interview, noch eine Saison 2. Bundesliga wäre nicht das Schlechteste. Zeigen aber die Neuzugänge nicht, dass es RB nicht reichen wird, am Ende der Saison einen vorderen Mittelplatz in der Tabelle zu belegen?
Nein, das glaube ich nicht. Es zeigt einfach, mit welcher Geschwindigkeit dieser Verein auch Ziele erreichen will, aber trotzdem auch mit einer gewissen Kontinuität. Wir haben am Anfang der Hinrunde den Kader durchleuchtet und auch zu diesem Zeitpunkt dem einen oder anderen schon gesagt, er müsse stabiler werden, sonst bekommt er keine Spielzeit. So war es z.B. mit Denis Thomalla und auch Federico Palacios. Und die Einschätzung hat sich auch bestätigt.

© GEPApictures / RB Leipzig
Jetzt im Winter haben wir die nächste Phase eingeleitet, weil wir gesehen haben, dass es an manchen Stellen eng wird. Es geht nicht darum, dass Daniel Frahn oder Matthias Morys nicht 2. Bundesliga können – das haben wir nie gesagt. Aufgrund der Tatsache, wie die Vorrunde abgelaufen ist – und das hat jeder gesehen – waren wir nicht so torgefährlich, wie wir uns das vorgestellt haben. Wie machen jetzt den nächsten Schritt. Und der ist nicht zwingend damit verbunden, dass wir sagen, dieser Schritt ist notwendig, um nächstes Jahr in der 1. Bundesliga zu spielen. Auch in der 1. Liga werden alle Neuzugänge wieder neu bewertet. Weil du niemals vorher sagen kannst, ob es jemand tatsächlich schafft, in der Liga gut zu spielen – egal ob die Voraussetzungen wie bei einem Jo Kimmich oder Yussuf Poulsen da sind. Das kann man eine Liga darunter nie wissen. Und deswegen haben Ralf Rangnick und ich das Gefühl – und dafür werden wir auch bezahlt – dass wir eine neue Qualität brauchen. Ob das jetzt der eine oder andere interpretiert als: „Jetzt machen sie ja doch Ernst“, interessiert uns nicht. In unser Verhalten wird so viel interpretiert, dass wir uns nicht über alles Gedanken machen können. 

Du hast über Daniel Frahn immer sehr respektvoll gesprochen. Fiel dir das Gespräch schwer oder hast du das auf Profi-Ebene gesehen?
Das fiel mir schon schwer. Es ging auch noch um andere Spieler. Aber die Personalie Daniel Frahn, und in der Folge auch Matthias Morys, da wollte ich diese Entscheidung den Spielern selbst mitteilen. Ich weiß sehr wohl, was wir für einen Weg zusammen gegangen sind. Aber, und das ist auch so: die Jungs sind auch Profis. Alles was man erwarten kann ist, dass man ehrlich mit einem Spieler ist. Und das waren wir. Und zwar unabhängig vom letzten Spiel oder einer Weihnachtspause oder einem anstehenden Wechselzeitraum. 

Das ist das Geschäft des Profifußballs. Denkst du, viele haben das noch nicht verstanden, weil einige sehr schockiert waren, da Daniel Frahn das Gesicht des Vereins war?
Nein, da ist auch viel Doppelmoral dabei. Genau die Leute haben bei Spielen, als Daniel nicht gut drauf war, gesagt: „Den brauchst du nicht mehr aufstellen.“ Das würde ich mir auch gerne erlauben, kann ich aber nicht. 

Wie stellst du dir die Rückrunde vor? Was sind deine Ziele dafür?
Dass wir diesen Fußball, den wir anfangs in der Vorrunde gespielt haben, wieder auf dem Platz bringen. Das ist mein allergrößter Wunsch. Dann ist wieder Spaß und Begeisterung da, dann ist wieder das Besondere da, wofür unser Fußball steht – und auch ich als Trainer stehe. Und ich möchte das auch wirklich für Leipzig. Ich fühle mich richtig wohl in dieser Stadt. Und das brauche ich auch, damit ich mir nicht unnötig Gedanken mache. Die dann wiederum dazu führen, dass ich nicht lache …