"Die ganze Welt ist nicht mehr sauber. Überall, wo die Menschen einen Vorteil sehen, vor allem in finanzieller Hinsicht, nutzen sie den." Kretzsche über Doping bei Olympia in Rio 2016 & Fußball vs. Handball in Leipzig

Stefan Kretzschmar spricht mit uns im großen Interview über die Olympischen Spiele in Rio 2016, die Doppelmoral der Doping-Diskussion, die zweite Saison des SC DHfK Leipzig in der 1. Bundesliga und RB Leipzig.

© Elmar Keil
Stefan Kretzschmar spricht mit uns im großen Interview über die Olympischen Spiele in Rio 2016, den latenten Zweifel und die Heldensehnsucht, die die Doppelmoral der Doping-Diskussion entlarvt. Außerdem geht es um die zweite Saison des SC DHfK Leipzig in der 1. Bundesliga. Dabei versucht Kretzsche herauszufinden, woher die Phrase „das schwere zweite Jahr“ kommt, was für den Erstligisten drin ist, inwiefern der Verein durch 1. Bundesliga-Fußball beeinflusst wird und warum der Sport1-Kommentator immer wieder im Gespräch ist als Bundestrainer für die Handball-Frauen.      

Wie hast du die Olympischen Spiele 2016 wahrgenommen?
Ich weiß nicht so recht. Es ist ja unsere Zeit des Jahres, in der wir alle Aufmerksamkeit nutzen müssen. Aber mir hat da irgendwas gefehlt – dieses olympische Flair. Ich kann es nicht erklären. 

Du wirkst nicht glücklich über die Olympischen Spiele.
Der olympische Gedanke wird durch die unterschiedlichsten Sachen kaputtgemacht. Es hat nicht mehr dieses Gefühl von Olympia. Das bröckelt so dermaßen ab. Viele Superstars haben abgesagt oder nicht im Olympischen Dorf gewohnt. Manche olympische Sportarten wurden in Deutschland auch ein bisschen stiefmütterlich behandelt. Viele Sportarten kacken ab, die Schwimmer z.B. haben ein Fiasko erlebt – wo man sich bei der Sportförderung aber auch nicht wundern muss. Man muss sich immer fragen: Was will man eigentlich?
Und dann bin ich wieder so hin- und hergerissen: Auf der einen Seite braucht die Welt natürlich Superstars wie Michael Phelps oder Usain Bolt, auf der anderen Seite kommt dann die Doppelmoral der Dopingdiskussion und man verteufelt die Russen. Aber ich will mir nicht ausmalen, wie diese Superstars dann 23 Goldmedaillen holen … Wenn man mal ein bisschen weiterdenkt, dann fragt man sich natürlich auch, wie so etwas ohne gehen soll …

Du denkst, die beiden, die das Geschehen dominierten, sind nicht sauber?
Man kann es nicht beweisen. Und man kann auch niemanden etwas vorwerfen, solange jemand nicht positiv getestet ist. Das werfe ich ja auch z.B. den Leuten vor, die die Russen pauschal ausschließen wollten und alle über einen Kamm geschert haben.
Aber natürlich fragt man sich, wieso ein Land wie Jamaika mit knapp drei Millionen Einwohnern zwei der schnellsten Männer im Endlauf haben kann. Was ist denn da z.B. in China los, wo eine Milliarde Menschen leben? Das sind so viele Fragen, die sich stellen.
Ich rege mich vor allem darüber auf, wenn dann solche Sportler, bei denen man auch vermutet, dass sie nicht ganz sauber sind, so dermaßen gegen die Russen schießen. 

Viele wurden schon erwischt, haben ihre Sperre abgesessen und treten wieder an. Wie siehst du das?
Wenn man erwischt wurde, dann muss man auch die Konsequenzen tragen. Weil es eben nicht so ist, wie mit dem Führerschein: erwischt werden, Strafe zahlen, pausieren und dann darf man wieder fahren. Nein, so sehe ich das nicht. Wenn man erwischt wird, dann war es das. 

Also lebenslange Sperre?
Klar! Wenn jemand bewusst seinen Körper mit Hilfsmitteln tuned, die nicht erlaubt sind, hat er versucht zu bescheißen und dann muss man das bestrafen. 

Das war neu bei Olympia 2016: Sportler gingen viel offensiver mit dem Thema Doping um, nannten Namen und gingen auf verdächtige Gegner los wie z.B. Michael Phelps oder Frankreichs Schwimmer Camille Lacourt gegen den Chinesen Sun Yang („Der pinkelt lila“). Das gab es vorher so öffentlich noch nicht.
Weil das mit den Russen öffentlich gemacht wurde. Viele Sportler begrüßen es, dass das alles mal an die Öffentlichkeit kommt, aber das ist ja nicht das Ende der Fahnenstange. Die Russen haben staatlich gedopt – anscheinend. Aber wer weiß denn, was in Amerika passiert? Wer weiß denn, was in Jamaika, in China oder in Australien passiert. Die kontrollieren sich halt selbst. Und angeblich, wie man aus vielen Berichten erfahren hat, wissen die Athleten und Trainer auch, wann eine Kontrolle kommt. Was ist denn das für ein Dopingsystem? Es ist berechtigt, dass sich Robert Harting aufregt. Aber so funktioniert anscheinend die Welt. Das ist scheiße, aber wenn ich dann noch ein Interview von Phelps lese, bei dem er sagt: „Wir zeigen den Russen mal, wie sauberer Sport funktioniert.“, dann denke ich mir auch: Ist klar … Dann bin ich doch ruhig und sage lieber gar nichts dazu.

© Presse / Dirty Games

Hat man als Sportler, der nicht dopt, überhaupt noch Lust weiterzumachen?
Das ist die große Frage. Ich weiß nicht.
Die eigentliche Frage ist ja: Woher komme ich und was brauche ich, um nach ganz oben zu kommen? Stell dir vor, du bist Usain Bolt in der 10. Klasse. Und dann kommt jemand und sagt: Wenn du das nimmst, dann wirst du der schnellste Mensch der Welt. Es ist leider so, dass es nur noch um Kohle geht, ob bei Olympischen Spielen oder in anderen Sportarten. Ich bin ehrlich, wenn ich 15 oder 16 Jahre gewesen wäre und immer nur unter ferner liefen mitgelaufen wäre und jemand hätte gesagt: Wenn du das nimmst, dann könntest du der beste Handballspieler der Welt werden … Also ich kann nicht den ersten Stein werfen und sagen, dass ich das nie gemacht hätte. Vielleicht ist das dein Ticket aus einer öden Welt heraus zu Weltruhm.
Es scheint oft offensichtlich. Aber man kann ja auch nicht nur aus einem Verdacht heraus Leute verurteilen – das muss man auch mal sagen. Die ganze Welt denkt es und macht sich ihren Reim drauf. Aber man kannst trotzdem nicht jemanden für etwas verurteilen, was nie nachgewiesen wurde. Das geht nicht. Genau dasselbe Problem haben wir mit den Russen: Man kann doch nicht eine ganze Nation sperren, nur weil man einen Bericht von einer Whistleblowerin hat.

Aber warum darf ausgerechnet sie nicht starten?
Keine Ahnung, vielleicht will man sie auch schützen. Ich weiß es nicht. Das ist für mich alles nicht nachvollziehbar. 

Auf der anderen Seite möchten alle die Stars sehen …
Das ist Kehrseite der Diskussion. Der Sport lebt von den Stars. Und das größte Ereignis sind die Olympischen Spiele. Die ganze Welt schaut das 100m-Finale der Männer. Ohne Usain Bolt guckt nur die Hälfte der Welt diesen Lauf. Der ist der schnellste und wahrscheinlich größte Superstar der Welt. So funktioniert ja wiederum der Sport. Wenn dort acht Deutsche laufen, interessiert das keine Sau.
Michael Phelps ist mit 23 Gold-Medaillen der andere große Superstar. Darüber berichtet jede Zeitung und jeder Sender dieser Welt. Am Ende geht es natürlich auch um die Stars. Und wer sind die Stars? Leute, die unfassbar viel leisten. Wie hat denn die Welt damals permanent über Lance Armstrong gesprochen, der zum 7. Mal die Tour de France gewonnen hat. Was war das denn für ein Held?! 


Deine Einschätzung: Wie viele olympische Sportler sind sauber bzw. nicht sauber?
Das ist schwer zu sagen, weil ich glaube, dass man auch viele Sportarten hat, bei denen das keinen Sinn macht. Zum Beispiel die ganzen Mannschaftssportarten wie Hockey, Handball oder Volleyball. Ich kann zum Beispiel nicht sagen, was im Turnen los ist, da fehlen mir die Hintergrundinformationen. Aber bei allem, wo jemand sehr dominant ist, läuten bei mir die Alarmglocken. Mir hat auch mal ein Radfahrer gesagt, die Tour de France könne keiner erfolgreich mitfahren, wenn er nicht irgendwas genommen hat. Wenn ich mir anschaue, wie die Sportler über die Berge nach oben fahren – so schnell fahre ich noch nicht mal runter.
Seit die Diskussion öffentlich gemacht wurde, schwingt immer so ein Zweifel latent mit. Ich sehe auf einmal alles in einem anderen Licht und hinterfrage einfach vieles, weil man gerade so viel über Doping hört und merkt, was es für eine Rolle im Sport spielt, um sich einen Vorteil zu verschaffen – gerade bei den Olympischen Spielen, dem Highlight des Sports.
Man muss ja auch sehen, was so ein Olympiasieg für einige Sportler bedeutet: Wenn du z.B. in China oder Russland lebst und du wirst Olympiasieger, dann kannst du von deiner lebenslangen Rente leben – das ist deine Absicherung fürs Leben und das Leben deiner Familie. Das ist schon eine Motivation. 

Findest du es denn gut, dass es nun die Diskussionen zu dem Thema gibt?
Ich finde es gut, dass man sich darüber unterhält. Nur: Was ist denn die Lösung? Man wird kein einheitlich kontrolliertes Dopingsystem hinbekommen. Ich habe z.B. gelesen, dass Brasilien im Juli, bevor die Olympischen Spiele starteten, gar keine Dopingkontrollen mehr durchgeführt hat. 

Aber da muss doch das IOC tätig werden. 
Theoretisch müssten die Amerikaner die Südamerikaner prüfen, die Südamerikaner die Europäer, die Asiaten die Australier. Es müssten unabhängige Kontrolleure durch die Welt fahren. Anscheinend gibt es ja auch ein paar. Nur auch da halte ich es für möglich, dass die korrumpierbar sind oder dass die ebenfalls vorher anrufen. Die Welt ist doch schlecht! Die ganze Welt ist doch nicht mehr sauber. Was willst du denn erwarten? Wer soll sich denn wem gegenüber loyal verhalten? Überall, wo die Menschen einen Vorteil sehen, vor allem in finanzieller Hinsicht, nutzen sie den. Der Mensch ist zu schwach. Er ist anfällig dafür.

Was ist mit Prinzipien?
Wer hat die denn noch? Wenn nicht der IOC-Präsident Prinzipien besitzt – wer denn dann? Wie soll es denn nach unten weitergehen? Oben hält man groß die Hand auf, unten hält man klein die Hand auf. Das meine ich: Es fehlt irgendwie der Glaube an diese olympische Idee. Es ist ein komischer Zustand, in dem ich mich befinde. Aber noch mal: Ich wüsste auch nicht, was die Lösung wäre.
Wir kriegen ja auch mit, um wie viel Geld es bei den Olympischen Spielen wieder geht. Wie will man das denn nochmal alles rückgängig machen? Will man das Rad zurückdrehen? Ich ertappe mich ja auch selber dabei, dass ich nicht nachts um 3:30 Uhr aufstehe, um mir einen Marco Koch und das 200m-Brustrennen anzuschauen. Aber wenn Michael Phelps seine 22. Goldmedaille gewinnen könnte, dann stelle ich mir schon den Wecker. Das ist doch Irrsinn. Wir wollen ja solche Leute sehen!
Man muss das ganze System infrage stellen. Da gibt es kein Grundvertrauen mehr. Es ist einfach eine unglaubliche Doppelmoral in der gesamten Gesellschaft überhaupt.
Ich finde es gut, dass es Aktivisten wie Robert Harting gibt, der offen sagt, dass es ihn ankotzt, dass so viele dopen und dass der Fisch vom Kopf her stinkt und korrupt ist. Ich finde es sehr gut, dass es Menschen gibt, die noch Ideale haben, es ändert nur nichts. Ich hoffe, dass es das Prinzip gibt: Steter Tropfen höhlt den Stein … aber allein mein Glaube daran fehlt. Da kann man auf die FIFA gucken, aufs IOC oder auf die Internationale Handballföderation – es ist überall gleich. Der Mensch an sich ist ein Egoist und denkt am Ende an sich und wie er sich bereichern kann. Ideale haben meist die Leute an der Basis wie die Nachwuchstrainer, die sich ehrenamtlich engagieren. 

Kretzsche über Fußball versus Handball, Unister, SC DHfK und RB Leipzig

© GEPApictures / RB Leipzig
 

Fußball ist noch mal eine ganz andere Nummer als alle anderen Sportarten. Wie schaut man als Handballer auf die finanziellen Möglichkeiten, Gehälter usw.?
Ich habe überhaupt keinen Neid auf Fußballer. Was mich am Fußball allgemein stört ist, dass denen der Rest der Sportwelt völlig egal ist. Ich glaube, dass Fußball eine ganz andere soziale Verantwortung haben könnte. Und ähnlich wie Barcelona oder andere Vereine, auch andere Abteilungen gründen könnte. Die würden ja nur einen Bruchteil von dem ausgeben, was sie im Fußball investieren, z.B. für den Olympischen Sport. Ich habe schon oft mit Fußballmanagern zusammengesessen und gesagt, dass sie eine Profimannschaft in der Handballabteilung aufbauen könnten – das kostet die noch nicht mal das Jahresgehalt eines Fußballspielers. Oder dass sie ihrer Verantwortung dem Breitensport gegenüber gerecht werden können.
Ich gucke wirklich nicht mit Neid auf die Gehälter. Auch wenn es verrückt ist, für einen Paul Pogba 110 Millionen Euro zu bezahlen. Das ist Wahnsinn – das steht natürlich in keiner Relation zum normalen Leben. Aber was ist schon normal? Es steht ja auch in keiner Relation, was ich verdiene und was eine Krankenschwester bekommt. 

Kann man denn mittlerweile mit Handball gut Geld verdienen?
Ich finde schon. Auf jeden Fall kann man es als Sprungbrett benutzen, irgendwann beruflich Fuß zu fassen. Man kann während der Zeit entspannt ein Studium finanzieren oder durch die Kontakte des Handballvereins eine Berufsausbildung bekommen. Das Gehalt wird niemals reichen, um danach ausgesorgt zu haben. Aber der Spieler hat eine tolle Basis, um sich in den zehn Jahren, in denen er spielt, etwas aufzubauen.

Haben sich die Spielergehälter arg verändert?
Im Ausland schon. Ich glaube auch, dass da die Spirale immer weiter nach oben geht. Die Spieler zehn Jahre vor mir haben die Hälfte von dem verdient, was ich bekam und die Spieler jetzt verdienen das doppelte als ich damals. Natürlich entwickeln sich Gehälter. Aber auch da reden wir über die Spitzenspieler. Und die sollen das auch verdienen. Das sind die Spieler, von denen unsere Liga lebt, das sind die Aushängespieler, die die Fans in die Halle bringen. 

Einer eurer Großsponsoren ist bzw. war Unister. Seit dem Tod Thomas Wagners und den Insolvenzen fragen sich viele, wie es für den DHfK weitergeht.
Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich erst einmal nicht davon aus, dass wir noch etwas vom Sponsorengeld sehen werden. Ich lasse mich da lieber positiv überraschen als in ein negatives Loch zu fallen, wenn es nicht passiert. 

Wie macht ihr das jetzt? Ihr hattet schließlich mit dem Budget geplant.
Ja sicher. Als erstes wenden wir uns an bestehende Sponsoren, ob jemand bereit ist, eine Lücke zu füllen und seinen Einsatz zu erhöhen. Dadurch haben sie die Chance, ein Goldsponsor zu werden und mehr Visibilität auf dem Trikot zu erhalten. Und ansonsten machen wir unseren Job wie bisher auch: Wir versuchen einfach immer wieder neue Sponsoren zu akquirieren, was schwer ist – aber das machen wir ja sowieso, ob es nun Unister gibt oder nicht. Man muss immer sehen, dass man sich weiterentwickelt und den Etat auf breitere Füße stellt. 

Droht euch eine Situation wie dem HSV Hamburg, dem mitten in der vergangenen Saison die Lizenz entzogen wurde?
Nein. Als Sponsor ist vor ein paar Monaten die Allianz hinzugekommen. Und das war dann am Ende genau die Etaterhöhung, die jetzt der Wegfall von Unister bedeutet. Wir haben nichts dazugewonnen, da Unister, so wie es jetzt gerade aussieht, wegfallen wird. Es gibt also keine signifikante Etaterhöhung. Das ist schade. Wenn wir Sprünge nach vorne machen wollen, war das jetzt aber ein Schritt zurück. 

Welche Chancen hat die Mannschaft in der kommenden Saison? Welchen Platz traust du dem SC DHfK zu? 
Prinzipiell bin ich ein optimistischer Typ. Und ich vertraue zu 100 % meinem Trainer Christian Prokop. Der ist für mich sowieso der wichtigste Mann. Der ist der Ansprechpartner Nummer eins, wenn es darum geht, wie es in der Mannschaft läuft. Wir stehen auch in einem guten Kontakt.
Ich glaube, dass wir auf einem Weg sind, wo wir uns in der Liga allmählich etablieren. Um mehr geht’s doch gar nicht. Auch dieses Jahr wollen wir den Abstieg schnell hinter uns lassen. Man darf nicht vergessen, dass das letzte Jahr eine Saison war, in der alles lief. Es war eine überdurchschnittliche, herausragende Saison eines Aufsteigers überhaupt. Und man kann natürlich nicht davon ausgehen, dass es wieder so läuft. Wir hatten ein paar Abgänge, ein paar Zugänge – gerade auf den wichtigen Positionen. Trotz allem glaube ich, dass wir das Potenzial haben, diese Liga zu halten.
Jeder erzählt immer etwas vom schweren zweiten Jahr … Also mal ganz ehrlich: Wer hat denn das mit dem schweren zweiten Jahr erfunden? Die, die aufgestiegen sind, sind meistens wieder abgestiegen. Wer ist denn da überhaupt mal in der Liga dringeblieben? Wer kann denn erfahrungsgemäß berichten, dass das ein ganz schweres zweites Jahr wird? (lacht) Die letzten, die das geschafft haben, waren die Füchse Berlin und der BHC. Woher dieser Satz kommt … also von den Aufsteigern, die abgestiegen sind, bestimmt nicht (lacht). Deswegen sind wir eigentlich so eine Art Pioniere. Wir haben ja nun mal die Chance, ein zweites Jahr nach dem Aufstieg zu spielen. Ich glaube, dass wir neue Reize gesetzt haben und dass wir eben nicht Gefahr laufen, uns auf dem letzten Jahr auszuruhen. Vergangenes Jahr haben wir es ganz easy geschafft – da müssen wir es dieses Jahr noch besser schaffen.
Wir haben neue Leute geholt, die heiß und gut sind. Mit Andreas Rojewski haben wir z.B. einen guten Routinier, Ich denke schon, dass wir in der Liga eine gute Rolle spielen werden – allerdings mit großer Sicherheit im unteren Mittelfeld. Das wird von der ersten Sekunde an wieder ein Kampf um jeden Punkt. Als ominöses Ziel wird von allen erwartet, dass 20 Punkte zum Klassenverbleib reichen. Diese markante Marke wollen wir so schnell wie möglich erreichen. Die Mannschaft ist eine gute Truppe. 

Wer ist Titelanwärter in der Liga?
Flensburg, Kiel, Rhein-Neckar Löwen. Ich glaube, dass kein anderer mitmischen wird. Es könnte natürlich wie jedes Jahr eine Überraschungsmannschaft geben – im negativen wie im positiven Sinn. Da sind in erster Linie die Füchse, Melsungen und der SC Magdeburg zu nennen. Aber ich glaube, dass die Meisterschaft unter den drei erstgenannten ausgemacht wird. Das finde ich auch nicht schlimm. Die drei haben ja auch den größten Etat. Die ökonomischen Verhältnisse bestimmen am Ende natürlich auch in unserer Liga, wer wo landet. Im Handball ist das nun mal so: Wenn sich ein Verein eine gewisse Qualität an Spielern kaufen kann, die nun mal ihren Preis haben, dann garantieren dir diese Spieler auch einen Tabellenplatz – zumindest ein Niveau, was sie nicht unterschreiten.
Wir müssen mit unserem Budget ganz anders rangehen. Man muss viel mehr auf Emotionalität setzen als die Jungs, die individuelle Fähigkeiten haben. Man kann aber durch überragende Emotionalität ein Niveau erreichen, was man im Normalfall nicht erreichen kann. Das war unsere Philosophie letztes Jahr: Die Jungs haben in jedem Spiel gebrannt und sind dadurch so was von über sich hinausgewachsen – das war nicht zu erwarten. 

© Presse / Dirty Games

Hat sich mit dem Aufstieg RB Leipzigs in die 1. Bundesliga die Sponsorensuche für euch erschwert? 
Ich denke schon, dass sich nun Mittelständler überlegen, ob sie beim DHfK im Jahr 5.000 Euro bezahlen oder ob sie sich dafür einen Tisch im VIP-Raum bei RB kaufen. Die Überlegung ist: Nützt das Netzwerk beim Handball mehr als beim Fußball, wo ganz Leipzig im VIP-Raum vertreten ist. Das sagt uns keiner offensiv, aber natürlich merkt man das. Ich kann mich allerdings nicht beklagen, weil wir unseren Etat jedes Jahr angehoben haben und weil die Leute, die bei uns sind, auch treu bleiben. Dass nun ein Sponsor sagt, dass er ab jetzt zu RB geht, ist uns in der Form noch nicht passiert. 

Beeinflusst der Erfolg der Fußballer euch als Handballer in der Stadt?
In der Medienwirksamkeit auf jeden Fall. Es wird sich im nächsten Jahr natürlich noch mehr um RB Leipzig drehen – na klar fallen da alle anderen Sportarten ab. Und so, wie es jetzt ausschaut, müssen die auch nur das Stadionlicht anmachen und das Stadion ist voll. Der Hype ist groß und der ist auch berechtigt groß. Man hat hier in Leipzig ein sporthungriges Publikum. Das haben wir glücklicherweise selber erlebt, als wir letztes Jahr einen Zuschauerschnitt von knapp 4.000 erreichten. Das hätten wir vor zwei Jahren auch nicht gedacht. Es gibt eine immense Sportbegeisterung und natürlich ist RB Leipzig in der 1. Bundesliga die absolute Nummer eins und das Highlight überhaupt. Das interessiert mich persönlich ja auch. Wenn jetzt die Bayern und Dortmund kommen, möchte ich auch ins Stadion gehen und ein schönes Fußballspiel sehen. Das kann ich ja alles nachvollziehen. Man muss halt sehen, wie man die Leute dahinter abholt, die dem DHfK jahrelang die Treue gehalten haben. Das ist bei uns eine ganz andere Herangehensweise als bei RB. Da ist es Business. Wir stellen die Leute gegenseitig vor und wir bieten ihnen die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Es kommen auch mal die Spieler in den VIP-Raum und setzen sich mit an den Tisch. Das ist einfach eine andere Hausnummer. 

Wird das auch von dir erwartet?
Ich bin fast nie im VIP-Raum, außer es kommen mal Gäste von mir von außerhalb. Ich gehe lieber mal gemütlich mit den Leuten essen, anstatt Small Talk zu führen. Das ist vielleicht nicht das, was alle von mir erwarten, aber ich bin ja auch nicht auf der Welt, um zu sein, wie es alle erwarten. Es ist schließlich auch mein Leben und da habe ich so gewisse Vorlieben und Sachen, die ich gar nicht mag. Es gibt Dinge, die muss ich machen – das gehört dazu, um erfolgreich zu sein. Aber das muss jetzt nicht Überhand nehmen, so dass ein Stück Lebensqualität eingebüßt wird, und es mir nicht mehr gut geht. Das soll jetzt aber auch nicht bedeuten, dass der Besuch im VIP-Raum der Verlust an Lebensqualität ist (lacht).  

Wie ist deine Sicht auf RB Leipzig?
Zwiegespalten. Wenn man Stadtpatriot und sportinteressiert ist und in Leipzig lebt, ist das toll, einen Fußball-Erstligisten zu haben. Es ist jetzt kein Verein, von dem ich mir morgen ein Trikot kaufe und in dem schlafen werde. Ich bin aber auch schon jahrelang Fan von Union Berlin. Aber ich gehe ins Stadion, um guten Fußball zu sehen und weil ich es toll für Leipzig finde. Ich bin keiner, der dem Ganzen Kommerz vorwirft, weil ich dafür das Business zu gut kenne und selbst an einer Front stehe, wo Kommerz wichtig ist. Ich muss selber schauen, wie ich den Spagat zwischen Kommerz und Authentizität hinkriege und mich nicht verkaufe. Ich weiß, wie schwierig das ist. 

© Florian Pappert

Du wurdest neulich erst wieder als Kandidat genannt für den Job des Bundestrainers der Handball-Frauen.
(schmunzelt) Die Frauen bewegen sich momentan ganz klar unter ‚ferner liefen’ und unter dem Radar der Männer. Nun denken sich die Verantwortlichen: Jetzt kommt eine WM nach Deutschland 2017 und das muss irgendwie gepusht werden, wir brauchen volle Hallen. Was macht man da? (Zeigt auf sich) 
So, da haben wir doch einen. Ich bin ja nicht doof. Die fragen mich bestimmt nicht, weil ich so ein außerordentlicher Trainer bin. Ich weiß doch ganz genau, worum es geht. Das ist ja Quatsch. Wenn ich gefragt werde, ob ich helfen kann, mache ich das meistens auch ohne finanziellen Hintergrund, wenn ich die Sache gut finde. Aber wenn ich merke, dass mich Leute nur mal kurz ausnutzen wollen, ist das nicht so meins.

Und eine Sache steht und fällt auch oft mit den Personen, mit denen ich arbeite, wie z.B. in Leipzig mit SC DHfK-Geschäftsführer Karsten Günther. Ohne ihn würde es den DHfK und Erstligahandball hier gar nicht geben – und auch mich würde es hier nicht geben. Wenn ich sehe, was es alles für Querelen in anderen Vereinen gibt, wer gegen wen schießt und Intrigen schmiedet … Das existiert beim SC DHfK nicht, weil es Karsten gibt.

Du sagtest, dass du das erste Jahr Bundesliga auf jeden Fall durchziehst. Danach wolltest du sehen, ob es neue Herausforderungen gibt. Und?
Was Besseres ist mir noch nicht passiert. Das erste Jahr Bundesliga hat viel Spaß gemacht. Es war ein geiles Jahr. Und ich glaube, dass es hier noch das eine oder andere für mich zu tun gibt. Außerdem, ganz egoistisch gesagt, finde ich die Stadt schon lässig. Es gibt nicht viele Orte, an denen ich lieber wäre als hier. Das Ausland wäre vielleicht irgendwann noch mal eine Option, aber da müssten meine Kinder auch älter sein. Es kommen einige Angebote. Aber die Prämisse heute ist nicht mehr, wie viel ich verdienen kann, sondern ob ich mich da wohler fühle und ob es mein Leben besser machen würde. 

Lesetipp: „Dirty Games“

Die Doku beschreibt die Machenschaften rund um das System Weltsport. Themen u.a. sind: die Fußball-WM 2014 in Rio und 2022 in Katar, Olympia 2016, Wettbetrug und manipulierte Kämpfe im Boxsport und Spiele in der NBA sowie Verstrickungen von Regierungen und Demontage von Whistleblower. Sportjournalist und Regisseur der Doku Benjamin Best spricht mit uns über die dreckige Seite des Sports.