Blick hinter die Kulissen Leipziger Baumwollspinnerei: Konservieren statt sanieren!

In der Firmenchronik der Leipziger Baumwollspinnerei heißt es: „Dort sieht und hört der Aufmerksame soviel, als er zu einem ganzen Roman braucht.“ Und tatsächlich könnte uns die Spinnerei einiges über ihren Werdegang „From Cotton to Culture“ erzählen. Da Wände zwar geduldige doch schweigsame Zeitgenossen sind, sprachen wir mit Bertram Schultze, dem Geschäftsführer der Spinnerei.

In der Firmenchronik der Leipziger Baumwollspinnerei heißt es: „Dort sieht und hört der Aufmerksame soviel, als er zu einem ganzen Roman braucht.“ Und tatsächlich könnte uns die Spinnerei einiges über ihren Werdegang „From Cotton to Culture“ erzählen. Da Wände zwar geduldige doch schweigsame Zeitgenossen sind, sprachen wir mit Bertram Schultze, dem Geschäftsführer der Spinnerei.

© Spinnerei Archiv
 

Vor knapp 130 Jahren kaufte die damalige Baumwollspinnerei Aktiengesellschaft ein Grundstück von rund 10 Hektar und schaffte es, bis 1907 und mit ca. 300.000 Spindeln zur größten Baumwollspinnerei des Kontinents zu werden. „Ich finde es beeindruckend, dass man damals schon so groß dachte und gleich ein Grundstück jener Größe kaufte. Man baute das Ganze damals ganzheitlich und inkludierte Kindergarten, Wohngebäude, Krankenhaus u.v.m. So entstand auf dem industriellen Gelände ein soziales Netzwerk“, erklärt der Geschäftsführer.

Industrie-Charme
© Bertram Schultze

 

Jahrzehnte später fällt dem aufmerksamen Besucher immer noch auf, dass der Industrie-Charme vergangener Kapitel der Spinnerei bestmöglich erhalten blieb. Noch immer führen Gleise durch den Innenhof, die Fassaden glänzen im kupferfarbenen Backstein und auch die Schornsteine ragen über Leipzigs Westen. „Uns ist nicht nur das Zeitgenössische wichtig, sondern auch die Geschichte der Fabrikstätte. Wir wollen den alten Geist bewahren: Konservieren statt sanieren“, sagt Bertram Schultze. 1993 begann dann die spannende Phase. Nicht genutzter Raum wurde frei vermietet, und ließ somit Platz für Kreativschaffende entstehen. 1994 zog auch Bertram Schultze in einen dieser Räume und konnte sich somit mit einer kleinen Werkstatt selbst verwirklichen.

Neo Rauch, Christiane Baumgartner und Co.: Hundertprozentige Hingabe

 

Unter den ersten Künstlern verbergen sich zudem namhafte Persönlichkeiten wie Neo Rauch und Christiane Baumgartner. „Es wurden fortan Leute reingelassen, die nicht das große Geld für horrende Mieten hatten, dennoch einen Raum zur Entfaltung brauchten.“ Bald stellte sich die Spinnerei als perfekter Ort für eine Symbiose von Kunst, Kultur, Arbeit und Leben heraus. Eine Mixtur aus den idealen Umständen der Einzelgebäude (Licht, Deckenhöhe, Ruhe, Raumgröße, etc.) und der hundertprozentigen Hingabe der Künstler katapultierte die Spinnerei schnell auch überregional und international in aller Munde. Neo Rauch gewann 2002 den Van-Gogh-Preis, die Neue Leipziger Schule sorgte für Furore, der britische Guardian ernannte die Spinnerei zu Deutschlands Reiseziel Nummer 1.

© Thomas Riese
„Vielseitig anstatt einseitig“

 

Von der Spindel zum Pinsel bietet die ehemalige Baumwollspinnerei heute Platz für eine Pension, 120 Ateliers, 11 Galerien, eine Bibliothek, ein Theater, viele Handwerksstätten, ein Arthouse-Kino, ein Sommerkino, einen Künstlerbedarf, ein Klavierhaus mit Konzertsaal und etliche weitere kreativ-genutzte Ecken und Winkel. Bertram Schultze unterstreicht: „Es ist alles sehr kleinteilig, dafür aber vielseitig anstatt einseitig. Zudem sind die Künstler Überzeugungstäter!“ Sollte man den alljährlichen Herbstrundgang der Spinnerei verpasst haben, lohnt es sich dennoch, sein Fahrrad in der Spinnereistraße zu parken. Die Ausstellungen sind immer noch offen zur Besichtigung: Dienstag bis Samstag kann man sich täglich von 11 bis18 Uhr jene Ausstellungen ansehen, und in einer etwa zweistündigen Führung den Puls der Spinnerei auf einem individuellen, intellektuellen und intimen Rundgang erleben.

„Wir müssen uns nicht mit Berlin vergleichen!“

 

Zwischen soviel Kunst und Kultur lässt sich am West- und Leipzig-Hype nicht vorbeisehen. „Die Spinnerei befand sich schon im Leipziger Westen, da wollte hier noch keiner sein. Bis heute ist unser Mietniveau raisonabel und stabil geblieben. Sicherlich geht es der Spinnerei auch um Profit, jedoch nicht ausschließlich um Profitmaximierung. Es gibt auch eine andere Form von Ertrag: Einen intellektuellen Ertrag, den wir auf jeden Fall erzielen. Auch der Leipzig-Hype geht an mir vorbei. Ich bin seit 20 Jahren in Leipzig und habe diese schon immer als spannende Stadt eingeschätzt – vom ersten Tag an. Die Potenziale lagen damals schon klar auf der Hand. Wir müssen uns nicht mit Berlin messen. Wir haben eine eigene Qualität.“

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