Hilfe, ich finde keinen Kitaplatz! Leipziger Kita-Initiative: Wie ist die aktuelle Lage der Kita-Problematik?

Victoria Jankowicz gibt einen Rundumblick zur aktuellen Kitaplatz-Situation in Leipzig.

„Wir Eltern aus Leipzig wollen uns in Sachen Kinderbetreuung nicht länger übergehen lassen, denn es geht um unsere Kinder!“ Auf der verzweifelten Suche nach Krippen- und Kitaplätzen landen frustrierte Eltern in Leipzig häufig auf der Website der Leipziger Kita-Initiative. Ein Interessennetzwerk engagierter Bürger, die der desolaten Kinderbetreuungssituation in Leipzig den Kampf ansagen.

© Leipziger Kita-Initiative

2012, im Rahmen einer Kinderwagendemo der Grünen gegründet, macht sich die Leipziger Kita-Initiative seither für eine transparente Platzvergabe und eine Verbesserung der Kinderbetreuung stark. Unter den Demonstranten ist auch Victoria Jankowicz, die im Anschluss daran mit vielen weiteren Aktivisten die Bürgerinitiative ins Leben ruft und ab sofort parteiunabhängig koordiniert. „So fing alles an.“ Damals ging es den Initiatoren zunächst darum, dass die Stadt überhaupt erst mal Zahlen preisgibt und mitteilt, wie viele Kitplätze in Leipzig überhaupt fehlen. Victoria Jankowicz hatte damals den Eindruck, dass die Stadt auf schön Wetter macht und versucht, die Probleme bei der Kitaplatzvergabe runterzuspielen. „Die Landesebene fühlt sich nur für die Mindeststandards verantwortlich, der Ausbau sei Aufgabe der Kommune, während die Stadt über mangelnde finanzielle Unterstützung klagt.“

Indes sich Stadt und Land die Verantwortlichkeit  gegenseitig in die Schuhe schieben, nimmt die Initiative Kontakt mit Verantwortlichen auf, um sich fachlich in die Debatte einmischen zu können und widmet sich vor allem der Beratung von Eltern ohne Kitaplatz. „Wahrhaft ungünstig ist, von einer berufstätigen Frau mit Kind zu verlangen, zur Überbrückung einige Monate Arbeitslosengeld zu beziehen, nur weil die Stadt keinen Kitaplatz anbieten kann. Die Eltern, die auf uns zukamen, waren und sind frustriert. Daher ist Troubleshooting – Fehler suchen und Probleme lösen – angebracht.“ Anlaufstelle sind beispielsweise Elternräte, allerdings nur, sofern man sein Kind in einer Einrichtung unterbringen konnte. Die Gruppe von suchenden Eltern mit kleinen Kindern hatte ohne die Leipziger Kita-Initiative keine Lobby. Dabei hätte jedes Elternteil am liebsten so schnell wie möglich Planungssicherheit.

Kein Platz, kein Personal, kein Verwaldungsaufwand

© Leipziger Kita-Initiative
Besonders beunruhigend sind die Defizite an Krippenplätzen: „Rund 900 fehlen allein in Leipzig. Wobei das nur die offiziellen Zahlen sind.“, erklärt uns die Koordinatorin. „Der hohe Bedarf an Betreuungsplätzen für unter Dreijährige lässt sich unter anderem mit den steigenden, schwer planbaren Zuzügen erklären. Hinzu kommt der Trend, Kinder recht früh in Betreuungsstätten unterzubringen. „Grundsätzlich ist das ein sehr komplexes Thema, das sich nicht auf eine Ursache zurückführen lässt. Der Personalbedarf für die Krippe ist höher als in der Kita. Wir steuern auf einen Mangel an frühpädagogischen Fachkräften zu.“ Reine Krippen, wie sie zu Ostzeiten angeboten wurden, gibt es kaum. Das hat Vor- und Nachteile, erörtert Victoria Jankowicz: „Vor dem Hintergrund des akuten Platzmangels wäre es gut, wenn dort Plätze entstehen, wo sie dringend gebraucht werden. Ein Manko ist aber, dass die Kinder mit dem Sprung in die Kita einen erneuten Ortswechsel durchleben müssten. Eine Lösungsmöglichkeit bestehe darin, Einrichtungen dieser Art im Anschluss einfach mitwachsen und ausbauen zu lassen.“ Die Stadt bevorzuge allerdings effizientere Ansätze: Große Einrichtungen, durch die schnell und viele Plätze zur Verfügung gestellt werden können. Auf diese Weise erweiterte man das Betreuungsangebot für Kinder über 3 Jahren in den letzten Jahren, sodass es vereinzelt sogar freie Plätze geben soll. Das gilt allerdings nicht für familienreiche Viertel wie die Südvorstadt, Schleußig, Plagwitz und Lindenau, in denen nur noch wenig freie Bauflächen zur Verfügung stehen.

Einführung von Kinderläden, lautet ein Vorschlag, der sich vor allem für Stadtviertel eignet, in denen Baugrundstücke Mangelware sind: Kleine leerstehende Eckgeschäfte, denen zwar selten große Außengelände zur Verfügung stehen und die stattdessen in umliegende Parks ausweichen. Diese Form der Betreuung wird meist von freien Trägervereinen, oft Elterninitiativen getragen und ist in Hinblick auf den Platzmangel eine gute Alternative, die zeitnah umgesetzt werden kann. Grundsätzlich verfolgen solche Einrichtungen einen bedürfnisorientierteren Ansatz. Kinderläden haben ihre Wurzeln in der Studentenbewegung von ´68. Sie waren Selbsthilfe-Initiativen von linken akademischen Eltern, die mit den pädagogischen Konzepten der staatlichen und konfessionellen Kindergärten nicht einverstanden waren. Diese Bewegung lockte die einen und schockte die anderen, letzteres bis in die heutige Zeit hinein. Mittlerweile existiert in größeren Städten und Ballungsräumen Deutschlands eine erstaunlich hohe Anzahl von solchen Kinderläden als „alternatives Projekt“ innerhalb der öffentlichen Kleinkindererziehung. Die Stadt Leipzig unterstützt dieses Konzept bislang nicht, da sich der Verwaltungsaufwand für zu wenig betreute Kinder nicht rechnet.

Betreuungsschlüssel? Reisbrettrechnung …

© Leipziger Kita-Initiative
Oft ist es nicht einfach, alle Interessen von Stadt, freien Trägern und Eltern unter einen Hut zu bekommen. Das betrifft auch die Verbesserung des Kitaportals, das eine koordiniertere Platzvergabe gewährleisten soll und für das sich die Initiative unentwegt einsetzt. „Das Portal kann nur funktionieren, wenn alle gleichwertig daran mitwirken.“ Eine Errungenschaft, betont Victoria Jankowicz, seien die vielen Bauanstrengungen. Zwar könne die Kommunikation zwischen den Ämtern vor allem in Bezug auf Bauprozesse noch beschleunigt werden, grundsätzlich findet aber wesentlich mehr Austausch als 2012 statt.

Neben der Betreuung und Beratung von suchenden Eltern und Eltern ohne Kitaplatz in Leipzig setzt sich die Initiative für die Kitaqualität ein. „Die sieht momentan schlecht aus.“ Aktuell liegt der Schlüssel im Kindergartenbereich bei 1:12 und in der Krippe bei 1:5. Festgesetzt wird dieser Schlüssel auf Landesebene durch die regierenden Parteien. „Ein Schlüssel von 1:12 bedeutet aber nicht, dass eine Erzieherin maximal 12 Kinder betreuen darf. Das Problem: Viele Erzieher haben lediglich Teilzeitstellen. Berechnet wird aber vereinfach gesagt die Gesamtanzahl aller Kinder beziehungsweise deren sehr unterschiedliche Betreuungsstunden durch die Gesamtanzahl der theoretischen Vollzeitkräfte. Hinzu kommen Urlaubs- und Krankentage der Fachkräfte, die die Situation – gerade in den Herbst- und Wintermonaten – verschärfen und die nicht mit eingerechnet sind. Es handelt sich beim Personalschlüssel insofern um eine Reisbrettberechnung, die mit der Betreuungsrealität nicht viel gemein hat! In der Praxis erleben wir Gruppengrößen von 15 bis 18 Kindern und zwar legal.“ Die Anhänger der Leipziger Kita-Initiative fordern hingegen eine Fachkraft-Kind-Relation, die auch Vor- und Nachbereitungszeiten mit einberechnet. „Ein tatsächliches Verhältnis zwischen Erzieherinnen und Kindern von 1 zu 10 im Ü3-Bereich wäre erstrebenswert, denn am Ende leiden Kinder und Pädagogen gleichermaßen unter diesen Arbeitsbedingungen“. Bildungsauftrag, Betreuung und Interaktion lassen sich mit der Masse an Kindern und in der vorgegeben Zeit nicht wie gewünscht vereinbaren. Die Folge: Pädagogen scheiden früher aus dem Berufsleben aus oder wandern ganz ab.

Irgendwann wieder zum Essenziellen: dem Umgang mit den Kindern

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Kein Wunder also, dass sich besonders Betreuer auf Landesebene für einen verbesserten Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen einsetzen. Ziel des neuen sachsenweiten Graswurzelbündnisses „Die bessere Kita“, in dem neben freien Trägern Gewerkschaften wie verdi, GEW Sachsen und Elternvertretern auch die Leipziger Kita-Initiative vertreten ist: Aktionen von anderen Initiativen zu gemeinsamen vereinen, um Forderungen und Lösungsansätze bis zur Haushaltsplanung 2018 vorlegen zu können. Eine breite Basis also, die sich in Hinblick auf die Landtagswahl 2019 formatiert.

Das Gespräch mit Koordinatorin Victoria Jankowicz verdeutlicht: Erziehung ist und bleibt ein schwieriges Geschäft. Während die Vergabe von Kitaplätzen bislang nach einem Kriterienkatalog erfolgte, der u.a. Arbeitstätigkeit der Eltern und soziale Umstände berücksichtigte, orientiert sich die Vergabe derzeit größtenteils daran, wer es sich leisten kann, einen Platz vor Gericht einzuklagen und wer nicht. Rund 70 dieser Fälle gibt es aktuell in Leipzig. Wie fair oder ansatzweise gleich ein solches Verfahren ist, sei dahingestellt. Die Vergabe, der Personalschlüssel, der Ausbau, die Bezahlung und Ausbildung der Pädagogen und die Qualitätsverbesserung – alles hängt am Ende miteinander zusammen. „Unsere Arbeit ist wie ein Zahnrad: Um alles so hinzubekommen, wie es wünschenswert wäre, müssten wir an so vielen Stellen gleichzeitig schrauben.“ „Irgendwann“, so hofft Victoria Jankowicz, „können wir dann auf unser eigentliches Anliegen zu sprechen kommen: Den Umgang mit unseren Kindern.“

Die Leipziger-Kita Initiative berät verzweifelte Eltern, gibt Tipps und Hinweise, via E-Mail, Facebook. Kontaktadressen erhaltet ihr u.a. auf der Homepage leipziger-kita-initiative.com