Ein pessimistisches Orchester Leipziger Musiker im Fokus: 108 Fahrenheit

Der Frontmann von 108 Fahrenheit ist kein Unbekannter. Mit uns sprach Kai Niemann über sein neues Projekt und seine musikalische Vergangenheit.

108 Fahrenheit stehen live mit bis zu 15 Musikern auf der Bühne, einer sticht heraus: Sänger, Mastermind und Leipziger Musik-Urgestein Kai Niemann. Seit Jahren mischt er nicht nur die lokale, sondern auch die nationale Musikszene auf. Nun ist er mit neuem Projekt und großem Ziel zurück: das Erschaffen eines Sounds, den es so in der deutschsprachigen Musikbranche noch nicht gegeben hat.

© Silke Kurtz
„Kaum jemand traut sich noch mit 15 Mann auf die Bühne“, erklärt die sonore Stimme Niemanns am anderen Ende der Leitung. „Durch die vielen akustischen Instrumente entsteht ein fast orchestraler Sound und ich wüsste niemanden, der auf Deutsch solche Musik macht. Das Wichtigste ist für uns, dass sich Text und Musik gegenseitig verstärken und dass es am Ende glaubhaft und authentisch ist.
Thematisch kreist das Debütalbum „Mein Herz“ um Liebe („Das können Musiker einfach nicht ausklammern. Warum auch?“), moderne Gesellschaftsmuster („Facebook-Likes sind zu einem Gradmesser für persönliches Glück geworden.“) und ein bisschen Ökologie. „Ich bin großer Verehrer von Sea Shepherd und spiele immer wieder mit dem Gedanken, mich mal zu bewerben, um auf einem Boot mitzufahren. Ich bin allerdings nicht ganz seefest. Ich verstehe nicht, warum die Menschen Umweltschutz nicht ernst nehmen. Das wird irgendwann ein Thema sein, wenn es zu spät ist. Wie die Menschen eben sind. Da bin ich grundpessimistisch.“

© Janet Schade
Mit „Im Osten“ feierte Niemann 2001 einen nationalen Chart-Erfolg, 2009 veröffentlichte er den Song „Wir sind das Volk“, welcher oft missverstanden und mittlerweile außerhalb seines ursprünglichen Kontextes von PEGIDA und Co. missbraucht wird. Auf allen Internetkanälen und Streaming-Plattformen soll er nun nicht mehr verfügbar sein. Was durch den Song doch noch wirtschaftlich umgesetzt wird, spendet Niemann an ein Flüchtlingsprojekt. „Dann sollen die Rechten halt die Flüchtlinge bezahlen. Das ist doch eine gute Sache.“
Auch deshalb wurde es Zeit, den Künstlernamen „Niemann“ abzulegen. „Ich mache mittlerweile andere Musik und es sind andere Leute dabei. Ich mag das Wort Fahrenheit und 1, 0 und 8 sind die Glückszahlen eines guten Freundes. Außerdem sind das umgerechnet 42 Grad Celsius, der Punkt, an dem Fieber anfängt, brenzlig zu werden. Und man erscheint überall als Erstes, wenn man eine 1 vorne hat“, erklärt er lachend.

Nachdenklich wird Niemann, wenn er an die Veränderungen in der Musikszene denkt. „Ich habe noch den Zenit der großen Plattenfirmen miterlebt. Musiker waren eigentlich nur Melkmaschinen, während sich die Leute von den Plattenfirmen die besten Hotelzimmer genommen, sich Nutten aufs Zimmer bestellt und gekokst haben. Als dann keine CDs mehr verkauft wurden, ging’s bergab. Ich habe damals tatsächlich Autogramme auf kopierte CDs gegeben, das würde ich inzwischen nicht mehr machen. Jetzt hat man dafür sehr viele Möglichkeiten, sich selbst zu vermarkten.“ Für Bands und Newcomer sei Facebook deshalb eine gute Sache, Niemann steht dem Netzwerk dennoch kritisch gegenüber, wie auch das Video zu „Schweigend mit dir stehen“ zeigt. „Ein Klick ist schnell gemacht, mit der Realität hat das aber nichts zu tun. Das ist mir alles zu leicht.“ Leichte musikalische Kost gibt es von 108 Fahrenheit nicht, dafür möchte ein sehr reflektierter Frontmann sorgen.

Infos: Am 18. März 2016 erscheint das Debütalbum „Mein Herz“, am 29. März 2016 spielen 108 Fahrenheit in der Moritzbastei.