"Lieber zehn Leute, die rumnörgeln, als 300, die total traurig sind." Moderat: Alte Ossis über Pop, Nörgler und das gute-Sound-Versprechen

Moderat ist die Electro-Supergroup bestehend aus dem Produzenten- und DJ-Duo Modeselektor Szary und Gernot sowie dem Apparat-Musiker Sascha. Im Interview spricht Szary über Streitereien im Studio, warum sie sich entschieden, Modeselektor und Apparat ruhen zu lassen und Leute, die gerne laut schreien.

© Flavien Prioreau
Moderat ist die Electro-Supergroup bestehend aus dem Produzenten- und DJ-Duo Modeselektor Szary und Gernot sowie dem Apparat-Musiker Sascha. Mit „III“ komplettiert Moderat seine Trilogie. Als die Band die Tourdaten veröffentlichte, waren die meisten Städte innerhalb von Minuten ausverkauft. Sie entschlossen sich, in größere Locations umzuziehen. Auch in Leipzig findet das Konzert aufgrund der riesigen Nachfrage nicht wie geplant im Werk 2 statt, sondern am 30. März 2016 im Haus Auensee. Im Interview spricht Szary über Streitereien im Studio, warum sie sich entschieden, Modeselektor und Apparat ruhen zu lassen und Leute, die gerne laut schreien. 

„III“ verspricht „Pop im modernsten Sinne“. Wie unterscheidet sich deiner Meinung nach der Pop im Jahr 2016 von früher?
Sagen wir es mal so: Es ist eine Weiterentwicklung von Pop. Man verwendet andere Technologien. Früher war ein Clubtrack ein reiner Clubtrack. Heute sind Sachen ja auch quer miteinander verbunden. Oft natürlich auch mit negativen Beispielen. Ich werde jetzt keine Namen nennen.

Schade.
Na gut (lacht), z.B. beim Thema Schlager. Wie oft ist einfach ein absolut schnuller 4/4-Techno-Beat zu hören? Das ist unglaublich. Ich hab mich jetzt nicht speziell damit beschäftigt, aber irgendwann greift es einen ja doch, dass man dieses Genre kurz mal vorgelegt bekommt. Dann guckt man, was in dieser Szenerie eigentlich los ist. Und man stellt fest: Alles klar, die arbeiten im Prinzip mit den gleichen Technologien oder den gleichen Attributen. In dem Fall mit dem 1995-Mitklatsch-Rhythmus (lacht). 

Aber ihr nennt eure Musik auch Pop. Viele sehen diesen Begriff eher als Beleidigung. 
Wir haben es jetzt nicht darauf angelegt. Ich würde es ja auch nicht als reine Technoplatte bezeichnen. Vielleicht ist es unser Begriff von Pop. Ohne jetzt den Menschen aufdrücken zu wollen: Das hier ist eine Pop-Platte und das ist jetzt der neue heiße Scheiß in der Popwelt … Letztendlich haben wir einen Überhang an Vocalsongs. Und da haben wir gemerkt, dass man schnell in ein Schema reinkommt. Ich meine, eine Rock-Platte ist es ja nicht. Und es ist auch keine Reggae-Platte. Was bleibt dann noch viel übrig? Es ist eine moderne Pop-Platte.

In Interviews ist oft zu lesen, dass ihr im Studio erst mal bis aufs Messer streitet und dann zusammenarbeitet – ist das nicht wahnsinnig anstrengend?
Es ist ja kein Streit, bei dem die Teller fliegen und ich mit dem Küchenholz vor der Tür auf die Jungs warte, sondern es ist eine Diskussion. Jeder vertritt halt Interessen und Sachen, die er gerne auf dem Album hören möchte oder auch nicht. Das wird dann schon bis aufs Messer verteidigt – im übertragenen Sinne. Aber solche Diskussionen sind auch wichtig. Stell dir mal vor, das wäre ultra harmonisch: ‚Hallo und guten Morgen. Mensch, wollen wir ein bisschen Musik machen? Oh ja, das klingt aber schön …’ Nee, das geht nicht. 

Ihr könnt mit der Musik des jeweils anderen nicht wirklich was anfangen. Wie funktioniert das zwischen euch?
Es ist nicht so, dass der eine ausschließlich nur Clubmusik hört und der andere nur Reggae oder Rückwärtsgitarren. Da gibt es schon Schnittmengen, die sind einfach heutzutage sowieso in der Musik übergreifend. Früher gab es klare Camps. Da konnte sich das Hip-Hop-Camp niemals vorstellen, irgendwas mit Techno zu machen. Letztendlich geht es auch um Ästhetiken, die man sich aus dem einen Musikstil nimmt und sich bei dem anderem Musikstil vorstellt. Es ist die Kombination. Und letztendlich hören wir drei auch zu 30 Prozent die gleiche Musik. Aber die Schwerpunkte liegen bei anderen Sachen. Aber, es funktioniert.

Einige sind überrascht, dass ihr schon nach 2 ½ Jahren das nächste Album nachlegt habt. 
Eigentlich, rein vom Produktionszeitraum her, hatten wir die „II“ schneller fertig als die „III“. Aber die gefühlte Zeit ging natürlich total schnell. Wir waren gerade mal mit der Tour von „II“ fertig und dann waren wir schon wieder im Studio. Wir haben die Epoche der anderen Projekte eigentlich übersprungen. Sprich: Wir sind nicht zu unseren Projekten zurückgekehrt. Das haben wir normalerweise getan.
Darüber haben wir auch lange gesprochen, weil es natürlich auch gefährlich sein kann. Aber wir sind jetzt erstmal bis 2017 mit Moderat auf Tour. 

Wieso habt ihr euch entschieden, mit Moderat erst mal weiterzumachen und eure anderen Projekte ruhen zu lassen?

© Flavien Prioreau
Es gibt zwei Gründe. Zum einen brauchen wir mehr Songs. Wir wollten einfach mehr zum Livespielen. Und zum anderen waren wir in Moderat wirklich gut drin. Die Tour war echt intensiv und hat uns sehr viel Freude bereitet (lacht). Man kann fast sagen: Wir waren euphorisiert. Sodass wir uns entschieden haben, dieses Projekt richtig nach vorne zu bringen.

Das scheint eine gute Entscheidung gewesen zu sein. Die meisten Konzerte sind ausverkauft. Aber es gab heftige Fanreaktionen wegen der Verlegung vieler Konzerte in größere Locations.
Es sind ein paar Leute, die laut schreien. Das kann man denen auch nicht übel nehmen. Einige Leute mosern, dass wir in eine Location gehen, wo der Sound kacke sei.
Ich kann den Menschen nur sagen: Wir wären ja schön blöd, wenn wir ausgerechnet am Sound nicht arbeiten würden. Wir haben eine sehr gute technische Crew, die sich natürlich nicht in eine Location setzt, wo ein scheiß Soundsystem hängt. Wir bringen auch unser Zeug mit. Also es wird schon alles gut klingen.
Die Nachfrage war sehr groß. Das sieht natürlich von außen aus, als ob wir nur mehr Tickets verkaufen und mehr Geld generieren wollten. Das ist gar nicht so erheblich mehr. Wir wollten einfach mehr Leute erreichen. Die Produktion wird größer, die Produktion wird teurer. Das Wichtigste ist, dass wir in die Qualität reinbuttern. Und ja, wir garantieren mit unserem Namen … (lacht). Kennt man doch … 

Stimmt, vom Babybrei. 
Genau. Dafür stehe ich mit meinem Namen (lacht).
Weißte: Lieber zehn Leute, die rumnörgeln, als 300, die total traurig sind. Es ist nämlich wirklich ätzend, wenn ein Konzert ausverkauft ist und man nicht hin kann. Wir können auch nicht in einer Stadt noch mal spielen, weil wir so einen strengen Tourplan haben. 365 Tage – na ja, man will ja auch noch ein normales Leben zwischendrin führen können und nicht das ganze Jahr auf Tour sein. Der Erdball ist dann doch recht groß. Wir werden z.B. auch die Leute in Mexiko beglücken. Wir sind eigentlich überall …

Könnt ihr das eigentlich fassen?
Na, als alte Ossis … Wer hätte das gedacht? (lacht). Die Popularität ist global betrachtet dann doch wirklich überdurchschnittlich gut. Man glaubt gar nicht, wie viele Leute das erreicht und wir sozusagen einen gewissen Nagel auf dem Kopf getroffen haben.