„Der Spaß steht im Vordergrund“ Anne und Freddy über ihr Projekt Musikzimmer Leipzig

Mit ihrem Musikzimmer am Bahnhof Plagwitz schaffen Anne und Freddy musikalische Begegnungen für Erwachsene – und dadurch noch einiges mehr.

Freddy und Anne bieten zusammen musikalische Begegnungen für Erwachsene im Musikzimmer Leipzig an. Das ist ein kleines Fachwerkhäuschen am Plagwitzer Bahnhof. Wir haben die beiden besucht, um über ihre Arbeit zu sprechen und ein paar Fragen zu stellen. Zuallererst einmal stellen sich die beiden vor:

Freddy: Also ich bin Frederic Zahn, man nennt mich Freddy. Ich bin eigentlich aus Köln. Ein Örtchen vor Köln. Da habe ich Abi gemacht und bin dann nach Leipzig gezogen. Hab zwei Jahre hier so ein bisschen Zeit genossen, war bei einem Gitarrenbauer. Dann habe ich das Studium in Potsdam gefunden: Musikpädagogik in Sozialer Arbeit. Ich habe das durchgezogen und bin dann wieder her. Es war mir eigentlich von vornherein klar, dass ich wieder nach Leipzig gehe. Und ich habe auch vorher schon in Plagwitz gewohnt.

Anne: Und ich bin Anne Venske. Ich komme ursprünglich aus Halle, habe dort mein Abi gemacht und alles. Ich bin dann nach Berlin gezogen, um Oboe zu studieren. Vier Jahre habe ich das auch und dann entschieden, dass ich das nach meinem Abschluss nicht hauptberuflich machen will. Ich habe mich auch schon neben dem Studium umgeschaut und Praktika gemacht, auch im sozialen Bereich. Dann bin ich auf den Studiengang in Potsdam gekommen und habe dort Freddy kennengelernt. Nach einem Jahr bin ich aber zurück nach Berlin und habe dort Elementare Musikpädagogik im Master studiert. Und wie es dann so kam, waren wir beide gleichzeitig fertig. Und so ging es nach Leipzig.

© Musikzimmer Leipzig

Kennt ihr ähnliche Projekte bereits aus Plagwitz oder aus Leipzig generell?

Freddy: Gar nicht. Das gibt es eigentlich deutschlandweit nicht in der Form, jedenfalls haben wir nichts gefunden.

Anne: Ich habe diesen Bereich, also elementares Musizieren mit Erwachsenen, in meiner Masterarbeit so ein bisschen thematisiert. Was gibt es da und was gibt es noch nicht? Und gibt es da vielleicht einen Mangel? In kleiner Form gibt es das schon. Aber von Anfang an in der Gemeinschaft zu musizieren, das gibt es noch nicht so richtig. In Leipzig gibt es viele Chöre – also gesungen wird viel. Wenn man aber mit Instrumenten musizieren will, ist es oft damit verbunden, dass man auch ein Instrument gelernt haben muss. Man kann jetzt nicht einfach sagen: Ich habe Lust Musik zu machen, ich gehe jetzt da hin, kann gleich in der Gruppe Musik machen, es macht sofort Spaß und ich habe dieses Gemeinschaftsgefühl – was Musik ja transportieren soll. Der Hauptgrund, warum Erwachsene anfangen ein Instrument zu lernen, ist der, dass sie in der Gruppe musizieren wollen. Da habe ich gemerkt, dass es für einen Erwachsenen gar nicht so einfach ist dahinzukommen. Mann muss eher erst mal ein Instrument ein paar Jahre üben und braucht Einzelunterricht. So viel Arbeit, bevor man dann das Vergnügen hat!

 

Ist das ein Ziel von euch, die Anstrengung dabei oder dieses Gefühl von Pflichtarbeit beim Musikmachen wegzubekommen?

Freddy: Ja, völlig weg! Das darf überhaupt nicht mit Leistungsdruck oder mit Leistung in Verbindung stehen. Jeder soll direkt mitmachen können und den Spaß dabei empfinden, soll sich gut fühlen. Dabei passiert halt trotzdem etwas: Man lernt trotzdem zu singen, zu trommeln, aber es liegt nicht der Fokus darauf. Es heißt nicht: „Ich will jetzt wissen, wie man trommelt“, sondern: „Ich will jetzt erst mal einfach trommeln!“ Da ist nicht so wichtig wie, ob die Technik richtig ist oder so. Aber wenn man ein, zwei Leute dabei hat, die es richtig machen, lernt man sie trotzdem.

 

Glaubt ihr, dass es Erwachsenen schwerer fällt als Kindern, weil sie viel Anspruch an sich haben und nicht albern werden?

Anne: Ja, Erwachsene wollen oft gleich alles richtig machen und verstehen. Und deswegen lohnt es sich, auch ein bisschen dagegenzugehen, das Gefühl zu geben, dass sie nichts falsch machen nichts falsch und dass alles okay ist. Und wenn es nicht auf Anhieb klappt, dann macht man es halt nochmal. Oder langsamer und nächste Woche nochmal. Wir wollen auch nicht, dass der Zwang entsteht, zu Hause zu üben. Wer das möchte, kann das machen, weil er Lust dazu hat oder sich verbessern will. Das ist ja bei vielen drin, bei mir selbst auch ganz extrem, und das ist ja auch völlig okay. Aber im Musikzimmer kommt der Druck nicht von außen, nicht von uns. Wir arbeiten daran, dass sich diese Entspanntheit überträgt.

Freddy: Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der die Leute einfach machen, ohne darüber nachzudenken. Deshalb auch dieses Begegnungsstättending. Man macht nicht jedes Mal eineinhalb Stunden straffes Programm. Man trinkt jetzt auch mal einen Kaffee. Man spricht auch darüber und macht ein längeres Begrüßungsprogramm. Vielleicht findet sich dann auch eine Gruppe, die kommt, um sich jede Woche zu sehen und sich zu unterhalten. Und zwischendrin machen wir dann ein Angebot.  

 

Für mich klingt das wie ein Sportverein: nicht nur versuchen besser zu werden, sondern Leute treffen und gemeinsam etwas unternehmen.

© Musikzimmer Leipzig
Anne: Ja genau, eigentlich steht der Spaß im Vordergrund – und das Gruppengefühl. Man geht hin, hat in der Gruppe Spaß und macht was Schönes zusammen. Es geht auch um erfüllte Lebenszeit. Die Zeit, die man hat, auch sinnvoll zu nutzen oder das Gefühl zu haben, man nutzt sie gut. Das wollen wir. Das hat eine Ähnlichkeit zu Vereinen, wo Leute regelmäßig hingehen und die Leute kennen. Es ist uns auch wichtig, dass irgendwann so eine Gruppe entsteht, die sich untereinander kennt, die sich auch über diese Kurse hinaus freundschaftlich verbindet. Klar, am Anfang, wenn sich die Leute noch nicht kennen, ist es ein bisschen schwieriger, über seinen Schatten zu springen. Wenn man mit der Stimme arbeitet, ist es ja oft mit Scham und Hemmungen verbunden. Je besser sich die Leute aber kennen und je öfter man das, desto entspannter wird es. In meinem Studium hatten wir auch eine Gruppe von Erwachsenen, mit denen wir so eine Art Früherziehung gemacht haben, also Elementare Musikpädagogik. Da hat sich das ganz schön entwickelt. Das war keine riesige Gruppe, vielleicht sieben Leute. Ein paar kannten sich schon, die anderen nicht. Wir haben das fast ein Jahr gemacht. Da hat sich das richtig schön entwickelt. Die haben sich dann umarmt bevor es losging und sind nach unserem Kurs einen Kaffee trinken gegangen. Alle hatten sich was zu erzählen. 

 

War das die Erfahrung, nach der du dann gesagt hast, dass du mit Erwachsenen arbeiten willst? Oder war es überhaupt eine Entscheidung, mit Erwachsenen zu arbeiten und nicht mit Kindern?

Freddy: Vielleicht war es beides. Wir haben beide viel mit Kindern gearbeitet. Ich war in der Grundschule, Anne hat Früherziehung in der KiTa gemacht. Das hat auch auf jeden Fall was für sich, aber das was Anne mit den Erwachsenen erlebt hat, war so positiv. Wir haben gesehen: Da fehlt es an Angeboten. Natürlich ist es auch ein anderes Anleiten, natürlich ist die Arbeit mit Kindern oft anstrengender. Das war aber nicht der Hauptgrund.

Anne: Ich hatte auch ganz viele total schöne Erlebnisse in den Kindergruppen. Was ich aber schwierig fand, war immer, so eine ganze Gruppe zusammenzuhalten und zu betreuen, zu unterhalten. Ich hatte oft das Gefühl hatte, einzelne Kinder gehen schnell unter. Man versucht, die ganze Gruppe irgendwie durch die Stunde zu hieven und alle mitzunehmen. Es hatte so ein bisschen was von Alleinunterhalter. Und es war für mich dann manchmal oberflächlich, weil ich weniger auf einzelne Kinder eingehen konnte. Das war so ein Punkt, an dem ich gesagt habe: Gerade kann ich mir das nicht vorstellen, das hauptberuflich zu machen. Bevor ich angefangen habe in der KiTa zu arbeiten, wollte ich eigentlich was mit Senioren machen. Das hat sich dann so entwickelt. Diese Erwachsenengruppe im Studium ist dann so ein bisschen als Kompromiss entstanden.

Freddy: Man muss ja auch noch beachten, dass die Kinder in der Schule sind und du sie wirklich unterhalten musst. Erwachsene kommen zu dir, die Struktur ist anders.

 

Wenn ich daran zurückdenke, wer bei uns früher Musikinstrumente gelernt hat … Die wenigstens haben das freiwillig gemacht. Die Eltern haben etwa gesagt: „Wenn ihr das nicht macht, schalte ich euch das Internet ab.“

Freddy: Das ist heftig, ja.

Anne: Das war auch etwas, womit ich ein riesiges Problem hatte. Ich hatte mehrere Blockflötengruppen in meiner KiTa. Drei Kinder kamen zu mir, ich habe eine halbe Stunde mit ihnen Blockflöte gemacht, dann kamen die nächsten Kinder. Vor allen Dingen ein Junge hatte nie Lust. Ich musste ihn auch immer abholen. Er hat gerade gespielt, es war nachmittags und er war im Sandkasten. Hätte ich das entscheiden können, hätte ich gesagt: „Okay, spiel. Du musst nicht zu mir in den dunklen Raum kommen und Blockflöte üben.“ Was habe ich davon, was hat der Junge davon, was hat die Mutter davon? Niemand hat etwas davon, wenn der arme Junge gezwungen und aus dem Sandkasten gezogen wird. 

Welche Altersgruppe sprecht ihr an?

Anne: Wir wollten es schon durchmischt machen. Als ich das Bild mit den musizierenden Leuten gemalt habe, habe ich schon überlegt: Wie decke ich möglichst viele Sachen ab, wie fühlen sich möglichst viele angesprochen? Wir sagen ja auch, es ist für Erwachsene, aber wir legen keine Altersgrenze fest. Wir sagen nicht: ab 18. Wir sagen auch nicht bis 99. Wir sagen erwachsen und wer sich da zugehörig fühlt, der kann sich anmelden.

© Musikzimmer Leipzig
 

Und wenn jemand, der 16 ist, zu euch kommt?

Anne: Wir würden ihm klarmachen, dass er vielleicht der jüngste ist, aber wenn er damit kein Problem hat, dann kann er natürlich mitmachen! Jeder, der sich da irgendwie zugehörig fühlt, kann mitmachen. Das war eigentlich unser Hauptanliegen. Im Idealfall, in unserem Kopf, ist es schon sehr durchmischt. So durchmischt wie möglich! Ich glaube, das macht die Sache am interessantesten, weil auch alle voneinander profitieren können. Das stelle ich mir am spannendsten vor. Deswegen habe ich das so ein bisschen provokativ gemacht, dass eben die älteste auch wirklich am Schlagzeug sitzt. Das ist auch inspiriert von einer aus der Erwachsenengruppe – sie kam immer mit dem Rollator und wollte E-Gitarre lernen.

 

Ihr wollt ja auch Bandprojekte starten. Macht ihr da selbst Angebote, was es für Genres gibt, was für Stile gespielt werden oder wollt ihr, dass die Leute das selbst mitbringen?

Freddy: Ja, wir haben die Idee, dass jeder Teilnehmer Ideen einbringen kann. Sagen wir, jeder denkt sich drei Sachen aus, die er sich vorstellen könnte. Und dann wird eine Auswahl geschaffen, so dass von jedem etwas dabei ist.

 

Macht ihr es dann so, dass ihr Songs covert oder versucht ihr von Anfang an selbst Musik zu schreiben?

Freddy: Das kommt darauf an, was die Leute mitbringen. Es kann ja auch sein, dass jemand noch gar nichts kann. Dann schauen wir, dass man mit zwei Akkorden in den Rhythmus kommt oder auf der Gitarre nur mit einer Saite spielt, sodass irgendwas entsteht. Und dann kann man natürlich anfangen, einfache Sachen zu covern. So Klassiker: Guns’N’Roses – „Knocking on Heavens Door“ zum Beispiel. Das habe ich mit Kindern auch gemacht, sowas kann ich mir gut vorstellen. Aber der Gedanke ist, dass die Ideen von den Leuten kommen. Ich will ihnen nichts aufzwingen, was sie nicht wollen. 

 

Kommen wir noch zu den harten Fakten: Welche Mitgliedschaften kann man bei euch erwerben, was sind die Preise und Bezahlmöglichkeiten?

Freddy: Es gibt immer die kostenlose Schnupperstunde, d.h. es kann immer jemand vorbeikommen, vielleicht auch zwei Mal. Dann gibt es eine Schnuppermitgliedschaft für vier Wochen, jeweils ein Angebot pro Woche, das kostet 40€. Dann gibt es die Hauptmitgliedschaft, eine einfache Mitgliedschaft, ausgemacht für drei Monate, da bezahlt man zwischen 50 und 70€. Die erweiterte Mitgliedschaft (zwei Angebote in der Woche und darüber hinaus, insofern der Platz da und es nicht ausgebucht ist, einen Raum für sich nutzen) kostet zwischen 70 und 90€. Man kann sich bei uns anmelden und fragen: Kann ich Donnerstag um 13 Uhr in den Raum Schlagzeug spielen? – Dann bauen wir das Schlagzeug auf und du kannst eine Stunde spielen. Wir bieten auch Hilfe an: Wir sind da, wir können helfen.

Anne: Ach ja, und wer sich noch im Dezember anmeldet, kriegt 20€ Rabatt! 

Freddy: Außerdem haben wir am 13. Januar von 11 bis 16 Uhr einen Infotag. Da sind wir da und wir haben einige Sachen vorbereitet, die wir spontan anleiten können. Wir machen vielleicht selber Musik, wir spielen ja Klezmer. Wir schauen dann, wer ist da. Vielleicht quatscht man auch nur. Es gibt Sekt, es gibt Kekse. Diesmal gibt es eine Heizung. 

Musikzimmer Leipzig

Engertstr. 38, 04229 Leipzig

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