"Damit macht man die Scheiße noch beschissener ..." Refugees Welcome über die aktuelle Asylsituation in Leipzig

Wir trafen uns diesen Monat mit Dennis und Peter vom Bündnis Refugees Welcome. Mit den beiden sprachen wir über die derzeitige Asylsituation in Leipzig.

© Carolin Schreier
Wir trafen uns diesen Monat mit Dennis und Peter vom Bündnis Refugees Welcome. Dieses existiert seit 2013 und entstand im Zusammenhang mit Schönefeld: Dort machte eine Flüchtlingsunterkunft auf, die massive Aufstände in Form von Fackelmärschen und Störungen von Informationsveranstaltungen nach sich zog. Leipzig wurde direkt mit dem Problem des Rechtsextremismus konfrontiert. Aus diesem Anlass veranstaltete Refugees Welcome mehrere Willkommensveranstaltungen und scheute nicht, den Alltagsrassismus zum Thema zu machen. Einen zweiten Schub bekam das Bündnis dann, als sich Legida ankündigte und im Januar das erste Mal demonstrierte. Mit den beiden sprachen wir über die derzeitige Asylsituation in Leipzig. 

„Menschen sollen in normalen Wohnungen, in normalen Nachbarschaften leben können“, damit Integration gelingt (OBM Jung). Also dezentral – wie sieht das in der Realität aus? 
P: Das Verfahren für dezentrale Unterbringung verläuft so, dass die Stadt einen Vermieter finden muss. Dann sollen Wohnungen in „normalen Nachbarschaften“ angemietet werden und Wohnhäuser, wo Menschen menschenwürdig untergebracht werden, aber auch den Kontakt zum gesamten Sozialbezugssystem haben sollen. Doch viele Vermieter haben damit Berührungsängste. Erst heute (7.8.2015) stand Folgendes in der LVZ: Es ging um ein Hostel im Süden Leipzigs. Dort sollten 10 Schlafplätze für Geflüchtete bereitgestellt werden. Alles war mit den Ämtern abgesprochen – als der Vermieter der Gesamtimmobilie das wohl mitbekommen hat, habe er darauf dem gesamten Hostel den Mietvertrag gekündigt. Dezentrale Unterbringung ist damit ein wunderbarer Ansatz, in der Realität aber rar: Das liegt an Hürden seitens der Stadtverwaltung, Bundesämtern als auch tatsächlich des täglichen Rassismus.

Wie kann man sich das Asylverfahren vorstellen?
P: Es läuft bundesweit so ab, dass wenn geflüchtete Menschen aufgegriffen werden, diese erst einmal in zentralen Sammelstellen untergebracht werden. Dort wird dann die Identität geklärt. Außerdem wird ein Fingerabdruckabgleich gemacht, wo in der Gesamteuropäischen Datenbank verglichen wird, ob die Menschen schon woanders versucht haben einzureisen. Dies würde dann das Dublin-2-Verfahren einläuten (Anm. d. Red.: Inhaltlich: Menschen, die in ein europäisches Land über andere europäische Länder einreisen, müssen den Asylantrag im ersten Einreiseland stellen). Damit hat sich Deutschland sehr aus der Verantwortung genommen – darüber geschieht auch ein Großteil der Abschiebung. Dann gibt es deutschlandweite Datenbanken – es ist so, dass Geflüchtete aus verschiedenen Staaten der Welt in bestimmte Bundesländer reinverteilt werden. Die offizielle Begründung ist, dass die dortigen Ämter für Migration und Flucht sich deswegen auf Hintergründe der Herkunftsländer spezialisieren können. Dann geht es in die zentralen Landesstellen, die sogenannten Erstaufnahmestellen – in Sachsen ist das Chemnitz. Theoretisch nicht länger als zwei Monate, praktisch oftmals viel länger. Nach Chemnitz zieht man dann in einzelne Flüchtlingsheime ein – mit Glück in einer dezentralen Unterbindung. 

Gibt es in der Stadt Leipzig viele dieser dezentralen Wohnungsangebote?
P: Das Problem an der städtischen Vergabe ist, dass sich die Stadt natürlich die günstigsten Angebote (auch beim zentralen Wohnen) raussucht, weshalb das in vielen Fällen in struktur- und kulturschwachen Regionen der Stadt ist: z.B.: Schönefeld, Thekla, Nord-Gohlis. Doch leider geht der Trend bundesweit generell Richtung zentrale Unterkünfte. Es wird gerade über spezielle Einrichtungen geredet, für Leute, die sofort abgeschoben werden sollen – tatsächlich auch über gesonderte Heime für Menschen aus den Balkanstaaten.

Wo genau seht ihr das Problem bei zentralen Unterbringungen?
D: Wenn man den Leuten, die sich auf die Flucht begeben haben, mit Massenunterkünften antwortet – ist das weitestgehend kontraproduktiv für Menschen, die gerade traumatische Sachen durchgemacht haben. Damit macht man, ehrlich gesagt, die Scheiße noch beschissener.
P: Man darf ja nicht vergessen, dass in zentralen Heimen die Menschen auf engstem Raum in kleinen Zimmern zusammengepfercht werden. Nicht selten wohnt dann mehr als eine Familie in einem Zimmer. Ganz abgesehen vom medizinischen Faktor bei jenem engen Zusammenleben. 

Wie schätzt ihr die Rolle des OBM Burkhard Jung in puncto Integration ein?
D: Stellvertretend ein Beispiel: Die Torgauer Straße. Dort befindet sich eine Massenunterkunft: abgedrängt im Gewerbegebiet, katastrophale Zustände. Schon seit längerem ist bekannt, welche Krankheiten da umgehen und welche menschenunwürdigen Zustände vor Ort sind. Die Stadt kommunizierte immer, dass das nur eine Übergangslösung sein und lieber dezentral untergebracht werden soll. Der letzte Stand ist jedoch, dass die Torgauer Straße wieder einfach nur saniert werden soll. Das kostet Unmengen an Geld und an der Situation wird sich nichts ändern. Der Standort bleibt abgeschottet! Ein inklusives Konzept kann dort einfach nicht aufgehen. 

Gibt es so etwas wie „Refugees United“, das Sommerfußballcamp für Kids aus geflüchteten Familien, zu selten?

© PK Fotografie
P: Ja. Leider. Aus den zentralen Unterbringungsformen haben die Geflüchteten kaum mit Menschen aus Deutschland Kontakt. Sie haben einen Sozialarbeiter für circa 50 Leute, Betreuer des Heimes und eine Security im Heim. Glücklicherweise gibt es da einige freiwillige Hilfsorganisationen, die sich zum Beispiel um die Rechtshilfe kümmern. Conne Island und Werk 2 beispielsweise verlangen für Geflüchtete oftmals kein Geld – dies schafft einfach Brücken und nimmt die Hürde, miteinander in Aktion zu treten. Zudem haben die meisten Geflüchteten keine Arbeitserlaubnis, das heißt, dass sie ihre Fähigkeiten für diese Gesellschaft gar nicht einsetzen können. Und das zerstört auch das Selbstbewusstsein. Die Menschen kommen meist sowieso schon aus dramatischen Erfahrungen heraus und werden hier ganz oft weiter traumatisiert. 

Ist der Alltagsrassismus in Leipzig greifbar?
P: Aus unserer privilegierten Position heraus ist er wahrscheinlich gar nicht so zu spüren, aber in Gesprächen mit Geflüchteten wird die enorme Präsenz – auch in der selbsternannten weltoffenen Stadt Leipzig – spürbar. 
D: Vielleicht auch nochmal ganz konkret die Aufforderung an die Leserschaft: Der Alltagsrassismus wird sich nicht alleine erledigen – in Deutschland! Erst recht nicht in Ostdeutschland – erst recht nicht in Sachsen! Es bedarf einfach einer breiten gesellschaftlichen Gegenbewegung: Auf Demos sowie auch mit konkreter Hilfe vor Ort. 

Zum Interview mit einem No Legida-Gründer über Nazis, Spießbürgertum und Menschlichkeit geht’s hier!