Ein "Wolken.Heim" für junge Dramatik? Tschüss, Baustelle! Schauspiel Leipzig eröffnet neue Spielstätte Diskothek

Entstanden in „Angst oder Liebe“: Das tiefgreifenden Spielzeitmotto wird demnächst auch in der neuen Spielstätte des Schauspiel Leipzig gelebt.

Am 16. November 2017 eröffnet Intendant Enrico Lübbe mit Elfriede Jelineks Drama „Wolken.Heim“ die neue Spielstätte des Schauspiel Leipzig. Die „Diskothek“ – so der Name des Aufführungsortes – ist im Gebäude des Schauspielhauses an der Bosestraße untergebracht, dort, wo bis vor einigen Jahren die Diskothek „Schauhaus“ gestanden hat. Noch ist das Haus für Besucher gesperrt, doch wir durften mal einen Blick wagen.

© Rolf Arnold

Baumaterialien und Metallzäune umgeben den Eingang. Mirko Holze, der hauseigene Leiter für bauliche Anlagen, erzählt enthusiastisch vom Umbau des Gebäudes. Eine Zwischendecke wurde komplett herausgenommen, mehrere Betonpfeiler entfernt. Jetzt beträgt die Deckenhöhe sieben Meter. Oben ist ein Gitterboden angebracht, der eine Armada an technischen Geräten beherbergen könnte. Als Ersatz für die Betonpfeiler wurden Stahlträger entlang der Wände verbaut, die das Gebäude wie ein Käfig stützen. Entstanden ist ein Multifunktionsraum mit rechteckiger Grundfläche. Er kann für jede Inszenierung komplett umgebaut werden. „Wir haben eine Rolltribüne. Sie besteht aus drei Teilen und wir können sie für jede Inszenierung umbauen. Als Arena oder in einer Geraden an der Wand entlang“, erklärt Mirko Holze. Überall laufen Bauarbeiter und Bühnentechniker herum und der schwarze Bühnenboden ist gemustert mit kalkweißen Sohlenabdrücken. Die Stahlträger sind schwarz lackiert und die Wände an vielen Stellen unverputzt. Die roten Ziegel erwecken den Eindruck, man sei in einer der Leipziger Stadtruinen. Eine mit viel Aufwand herausgeputzte Stadtruine. An einer Stelle des Raumes ist ein Lastenaufzug in den Boden eingelassen. Er dient dem Transport von Bühnenelementen. Auf die Frage, ob damit auch gespielt werden wird, lacht der Bauleiter vielversprechend.

Eine Bühne für junge Theaterschaffende

© Rolf Arnold
Die Diskothek soll ein Ort werden, an dem die Dramatik der Gegenwart Platz findet. Die Diskothek denkt von den TheaterautorInnen aus – so steht es zumindest im Programmheft. Dabei sollen nicht nur Uraufführungen deutscher Autorinnen und Autoren gezeigt werden. Inszenierungen fremdsprachiger Dramatiker sollen auf der neuen Bühne ebenso Platz finden wie innovative Ansätze bereits etablierter Texte – und natürlich Texte und Autoren, die sich zu etablieren versuchen. Das spiegelt sich auch in der Auswahl der Theaterschaffenden für die Spielzeit 2017/18 wider. Die meisten sind jung, haben studiert und den ein oder anderen Erfolg vorzuweisen, ihre Texte wurden an namenhaften Theatern aufgeführt oder haben schon einen Literaturpreis gewonnen. Ein wirklich unbeschriebenes Blatt ist nicht dabei. Jelineks „Wolken.Heim“ kann für das Debüt der Diskothek richtungsweisend dafür verstanden werden, welche Texte an dieser Bühne erwünscht sind. Elfriede Jelinek, die kürzlich beim Deutschen Theaterpreis DER FAUST mit dem Preis für ihr Lebenswerk geehrt wurde, hat mit diesem Text 1988 ihren Durchbruch als Theaterautorin gehabt. Die Wahl soll klar machen, dass es um Autoren- und Sprechtheater geht und um Stücke, die sich einmischen und die Verhältnisse der Gegenwart kommentieren. Ob es aber mit dem etablierten Regisseur Lübbe und der häufig inszenierten Nobelpreisträgerin Jelinek gelingt, den Vorhang für Nachwuchsautorinnen und –autoren zu öffnen, oder ob die bewährten Namen nicht besser auf der großen Bühne aufgehoben wären, das wird die laufende Spielzeit zeigen.

Ausblick

© Rolf Arnold
Die Diskothek ist jedenfalls einen Besuch wert, für die, die an Gegenwartsdramatik interessiert sind und einen Blick in die Regungen und Reaktionen der jüngsten Zeit nehmen wollen. Zu den ersten drei Premieren lädt das Theater passende Musiker ein, die nach der Aufführung in der Diskothek spielen. Das erste Konzert gibt die Amerikanerin Sophia Kennedy am 16. November – der Eintritt ist übrigens frei!

Nicht nur mit der neuen Bühne zeigt sich das Schauspiel Leipzig sensibel für die Gegenwart. Das Spielzeitmotto „Angst oder Liebe“ widmet sich den Problemen der Zeit und dem gesellschaftlichen Klima, das über Deutschland und Europa hereingebrochen ist. Neben einer Reihe von Wiederaufnahmen erfolgreicher Produktionen („89/90“, „Peer Gynt“, „Gott des Gemetzels“) lassen sich Stücke wie „König Ubu“ und Faßbinders „Angst essen Seele auf“ als Kommentare zum Zeitgeschehen lesen.

Ebenfalls im November beherbergt das Schauspiel Leipzig Aufführungen aus zwei Festivals. Die euro-scene lädt zum 27. Mal Tanz- und Sprechtheatergruppen aus ganz Europa nach Leipzig. Diesmal unter dem Thema „Ausgrabungen“ und mit einem starken Fokus auf die Rekonstruktion und Interpretation vergangener Tanzinszenierungen. Am 19. November wird auf der Großen Bühne des Schauspielhauses der Preis des VISIONALE LEIPZIG Medienfestivals verliehen. Die Einreichungen des Medienwettbewerbs können an diesem Tag im Schauspielhaus besichtigt werden. Außerdem wird am 3. November der Deutsche Theaterpreis DER FAUST im Schauspiel verliehen.