"So läuft es jetzt im Westen" Unfreiwillige Schließung des Kanal 28

Nach 16 Jahren endete die Ära „Kanal 28“ Ende 2015, nachdem der Mietvertrag nicht verlängert wurde. Michaela Ranft erklärt die Hintergründe.

Unverständnis, Trauer, Zorn, ein Mann nimmt gar das Wort „Mafia“ in den Mund. Nach 16 Jahren endete die Ära des Cafés Kanal 28 zum Jahresende 2015 – und das nicht freiwillig. Die genauen Hintergründe sind nebulös. Doch offenbar führte ein unappetitlicher Cocktail aus handfestem Eigeninteresse und Machtanspruch zur Schließung des beliebten Ausflugslokals. 

© Lucas Böhme
Michaela Ranft ist fassungslos. Elf Jahre lang arbeitete sie mit Engagement und Leidenschaft als Gesellschafterin im Kanal 28, schob Wochenenddienste, stellte ihr Privatleben hinten an, erlebte alle Höhen und Täler des Gastronomenlebens, rauschende Feten, Hochzeiten und Firmenevents. Die Auftragsbücher füllten sich zuletzt bis weit ins Jahr 2016 hinein. Umso mächtiger der Paukenschlag kurz vor Weihnachten: Der Vorstand des Wabe e.V., Träger der Jugendhilfe mit Sitz im gleichen Haus und Vermieter des Lokals, verlängerte den Mietvertrag mit dem Café völlig überraschend nicht. Trotz stets beglichener Miete von über 4.000€ im Monat, wie Michaela Ranft betont, und vor allem trotz anderweitiger Versprechen: „Wir hatten Anfang September eine Zusage, dass man mit uns weiter arbeiten will, nachdem unser befristeter Mietvertrag ausgelaufen ist. Das haben wir schriftlich und es ist auch anderen Leuten gegenüber geäußert worden.“

Die schlechte Nachricht erreichte Ranft Mitte Dezember: Nachdem man sie mit einer endgültigen Entscheidung mehrfach vertröstete, fragte die Gastronomin selbst bei der Geschäftsleitung des Vereins nach und erfuhr hier, dass man es sich anders überlegt habe. „Man hat uns hingehalten, den versprochenen Vertrag nicht geschlossen, und dann hat man uns gesagt: ‚Wir wollen doch nicht.’“ Ranft und ihre sechs fest angestellten Mitarbeiter verloren wenige Tage vor Heiligabend ihre Jobs. „Es war schwer zu fassen. Man hat Versprechungen bekommen, man hat es sogar schriftlich, und dann stellt sich einer hin und sagt: Ist mir egal, was ich da versprochen habe. Dass da sechs Arbeitsplätze dranhängen, dass ihr keine Zeit habt, das Café ordentlich zu beräumen, dass ihr das Jahr 2016 voller Reservierungen habt, interessiert mich alles nicht. Das ist unglaublich, vor allem für einen Verein, der sich mit sozialer Arbeit rühmt. Das habe ich bis heute nicht verstanden und ich kann mir nur vorstellen, dass da persönliche Interessen rein spielen. Ansonsten tut man so etwas nicht.“

Stiller Krieg in der Nachbarschaft

© Lucas Böhme
Abseits einer direkten Verkehrsanbindung gelegen, wirkt der Flecken Erde am Kanal wie ein kleines Paralleluniversum inmitten der Großstadt, das mit seinen alten Fabrikhallen und Wohnwagen durchaus die Kulisse für einen Lokalkrimi hergeben könnte. Allerdings sind die Ereignisse bitterer Ernst: Schon seit langem haben sich die Spannungen in der Nachbarschaft angestaut, erzählt Ranft. Anlieger streiten um Wegerechte, Zufahrten und Rangierflächen. Liegt hier auch die Erklärung, warum ein Verein die Zusammenarbeit mit einem soliden Mieter nach so vielen Jahren ohne nachvollziehbare Gründe plötzlich beendet, sich selbst um seine Geldquelle bringt? Ranft äußert sich zurückhaltend: „Mit den Streitereien haben wir weniger zu tun, es spiegelt aber das Klima am Standort. Es ist wirklich eine schlechte Stimmung zwischen all den Nachbarn.

Das geht seit zwei Jahren und fällt auch in Veränderungen, die im Vorstand des Vereins stattgefunden haben. Deswegen kann man da eventuell Schlüsse auf einen Zusammenhang ziehen, wobei ich das weder belegen kann noch behaupten möchte. Aber es ist auffällig, dass da bestimmte Spannungen entstanden sind.“

Opfer der Gentrifizierung?

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Trotzdem versucht Ranft, sich ihren Reim auf das Geschehene zu machen. „Ich kann mir nur vorstellen: Das Haus und das Grundstück ist jetzt natürlich ein attraktiver Standort. Nun ist endlich der Kanaldurchstich gemacht worden, die Radstrecke und das Naherholungsgebiet zum Hafen werden ausgebaut. Der Hafen ist teilweise auch schon erschlossen insofern, als da Immobilien vermietet wurden oder zumindest Bauland, soviel ich weiß. Damit wird der Standort natürlich sehr begehrt.“ Dennoch urteilt die Leipzigerin nüchtern: „So geht es im Leben. Da sind wir nicht die erste Stadt, die das trifft, nicht die einzige Stadt und auch nicht das erste Viertel. Das ist auch in Ordnung, das ist der Lauf der Dinge. Stadtteile entwickeln und verändern sich. Das passiert überall auf der Welt. Trotzdem finde ich die Art und Weise, wie mit Leuten umgegangen wird, nicht in Ordnung. Es wurde von Seiten des Vereinsvorstands zum Beispiel kritisiert, dass das Umfeld so wenig ansprechend ist. Dass da diese zwei Wagen stehen, wo Leute drin wohnen. Als wir unsere Schließung bekanntgegeben haben, gab es dutzende Reaktionen von Gästen: ‚Gerade das wollen wir, gerade das ist es, was Leipzig bunt und aufregend macht, gebohnerte Gehwege können wir doch überall haben‘.“ Ranft hat auch eine bestimmte Person als treibende Kraft im Verdacht, deren Namen sie nicht öffentlich nennen möchte. 

Zufällig treffen wir vor Ort auch ein Mitglied des Wabe e.V., das sich nur anonym äußern will. Es erzählt, dass der Vorstand die Mitglieder über die Nichtverlängerung des Mietvertrags für den Kanal 28 im Unwissen ließ, und geht entsprechend hart ins Gericht: „Ich bin menschlich unglaublich enttäuscht. Man sollte zu seinem Wort stehen. Und wenn man das revidieren muss, hat man eine Informationspflicht. Das ist menschlich eine ganz, ganz schwache Leistung. Und das zeigt für mich auch, dass diese Leute keinerlei Rückgrat und Ehrlichkeit besitzen.“

Eisiges Klima

Die Kommunikation mit dem Verein geht laut Ranft inzwischen gegen null, findet allenfalls per Mail und ohne jede Höflichkeit statt. „Das Verhältnis hat keine Grundlage. Es ist keine Gesprächsbasis da, wo man ansetzen kann. Man hat alle Fristen verstreichen lassen. Wir haben lange genug auf unseren Mietvertrag gewartet, man hat uns nicht die Dokumente ausgehändigt, die wir gern wollten. Unsere Gegenvorschläge wurden komplett ignoriert, auch, wie man es verträglich gestalten kann. Auf diese E-Mail habe ich nicht einmal eine Empfangsbestätigung bekommen, geschweige denn eine Reaktion.“ Einziger Trost: „Dass wir soviel Zuspruch bekommen haben, dass Gäste sagen, wir waren gerne bei euch, ihr gehört zu Leipzig, ihr werdet uns fehlen. Wie ein guter Stammgast, wie ein guter Freund. Natürlich ist es nur eine ideelle Aufmunterung, aber es hilft zu wissen, wir haben nicht alles falsch gemacht, im Gegenteil.“

Die Ära Kanal 28 ist vorbei

© Lucas Böhme
Für Ranft wird sich die Betriebsabwicklung noch bis ins Frühjahr hinziehen. Momentan geht es um Schadensbegrenzung, doch ein fünfstelliges Minus in der Bilanz dürfte am Ende sicher sein. Die Mutter eines kleinen Kindes hofft dank ihrer Qualifikation und Auslandserfahrung auf einen persönlichen Neubeginn ab April, prüft außerdem derzeit rechtliche Schritte gegen den Verein, um wenigstens einen finanziellen Ausgleich zu erzielen. „Die Freude, die mir die Arbeit hier gemacht hat, wird es sowieso nicht aufwiegen können.“ Denn egal wie es ausgeht: Die Ära des Kanals 28 ist vorbei. Noch während wir uns unterhalten, kommen Leute und wollen ins Café, müssen sich über die Schließung aufklären lassen. Auf ihr ungläubiges Kopfschütteln entgegnet Ranft sarkastisch: „So läuft es jetzt im Westen.“ Man wünscht so sehr, sie möge Unrecht haben. 

Anmerkung: Eine Anfrage an den Vorstand des Wabe e.V. mit Bitte um eine Stellungnahme blieb unbeantwortet.