Gereifte Storytelling-Kunst | Zartschmelzender Schwermut | Kratziger Panik-Rock | Britpop mit Kante 4 x neue Musik aus Berlin: Jungstötter, Gemma Ray, Kowsky, Pictures

Wie jeden Monat haben wir auch diesmal wieder Release-Listen und Blogs durchforstet, um die spannendsten neuen Platten aus und zu Berlin zusammenstellen. Dies sind unsere Highlights Februar …

Wie jeden Monat haben wir auch diesmal wieder Release-Listen und Blogs durchforstet, um die spannendsten neuen Platten aus und zu Berlin zusammenstellen. Dies sind unsere Highlights Februar … 

Jungstötter – Love Is

© Bianca Phan
Fabian Alstötter alias Jungstötter bewegt sich wie Tony Hadley und pendelt stimmlich irgendwo zwischen den tiefenentspannten Melancholic-Vibes der Herren Nick Cave und Scott Walker. Es ist schon erstaunlich wie selbstbewusst und markant der einstige Sizarr-Frontmann auch die Rolle des eigenständigen Sound-Aushängeschilds mit Leben ausfüllt. Auf seinem Debütalbum „Love Is“ gestaltet der frische Wahlberliner Jungstötter ein aufwühlendes Klanggemälde, das ohne viel Tamtam in klassischen Farben erstrahlt. Ein zirpender Jazz-Besen, der Sound eines Eckbar-Pianos und wahlweise von Shoegaze- oder Swing-Vibes angetriebene Gitarren bilden die Basis auf der sich die voluminöse Stimme des Hauptprotagonisten in alle Richtungen entfaltet. In einer Welt, in der das Bunte als neues Schwarz durchgeht, trägt Fabian Alstötter am liebsten grau. Aus dem jungen Sänger von einst ist ein gereifter Storyteller geworden – eine Entwicklung, die man im Auge behalten sollte. 

Gemma Ray – Psychogeology

© Alessandra Leimer
Gemma Ray war schon fast überall auf der Welt. Und auf jeder ihrer Reisen hat die gebürtige Britin mit Wohnsitz in Berlin Stimmungsfragmente und Bilder in ihrem Kopf abgespeichert. Diese wandelt sie auf ihrem achten Studioalbum „Psychogeology“ in erhebende Sounds um, die sich umgarnt von Rays sonorem Organ nur schwer einfangen lassen. Songs wie das Seventies-Pop-Juwel „Blossom Crawls“, das von zarten Akustigitarren getragene „In Colour“ und das mit lieblichen ABBA-Referenzen angereicherte „Dreaming Is Easy“ sind nichts für standardverliebte Schubladendenker. Viel Freude hingegen werden Hörer haben, bei denen nicht nur die klassischen Schwermutsklänge der Singer/Songwriter-Branche, sondern auch pointierte Ausflügen aus den Bereichen Country, Welt- und Kammermusik hoch im Kurs stehen. 

Kowsky – Blinder Fleck

© Caren Pauli
Mit dem quäkenden Rotzorgan des jungen Udo Lindenberg und dem Gespür für kantige Rock-meets-Pop-Momente gesegnet, zieht Marcus Ziegenrücker alias Kowsky dieser Tage durch die Straßen Berlins und predigt die Unsterblichkeit eines Genres, das eine Prise Schwung gerade so richtig nötig hat. Mit seinem Debütalbum „Blinder Fleck“ beweist Kowsky, dass es der hiesigen Rock-Community um die Zeit nach Udo Lindenberg und Co nicht bange sein muss. Kowsky hievt die urbane Sound-Essenz der Sixties und Seventies auf ein neues, nach allen Seiten ausschlagendes Level. Die Lapsteelgitarre im Anschlag und den Rock-Olymp vor Augen macht sich der „Panikpreis“-Gewinner auf die Reise. Kratzige Rock-Hymnen, langlebige Pop-Harmonien, tiefgründige Lyrik, verfeinert mit viel Witz und Charme: Kowsky hat auf seinem Debütalbum alles am Start, was es braucht, um in der deutschsprachigen Handmade-Szene nachhaltige Spuren zu hinterlassen. 

Pictures – Hysteria

© David Diwiak
Mit „umarmendem Singer/Songwriter-Rock – getränkt in blood, sweat und tears“ (Pressewisch) katapultierten sich Pictures im Sommer 2017 ins Business-Rampenlicht. Knapp zwei Jahre später folgt mit „Hysteria“ nun das zweite Kapitel des Hauptstadt-Kollektivs um Aushängeschild und Frontmann Maze Exler. Vom leichten Übersee-Vibe des Vorgängers weitestgehend befreit, zeichnen die neuen Songs ein musikalisches Dreieck zwischen London, Liverpool und Manchester. Angetrieben von Exlers markanter Stimme reiben sich die zwischen Euphorie und Melancholie hin und her pendelnden Songs an den einstigen Glanztagen der Gebrüder Gallagher. Vom bloßen Tribute-Treiben sind die Pictures aber weit entfernt. Trotz der nur allzu offensichtlichen Referenzen gelingt es dem Quartett spielend leicht, eine eigene Klang-Aura aufzubauen. Und mit der im Schlepptau zieht die Band jeden eingefleischten Britpop-Fan sofort in ihren Bann.