Wechselnde künstlerisch-grafische Gestaltungen in den kommenden Jahren Hans Haacke bespielt den Bauzaun für das Museum des 20. Jahrhunderts

Der Bauzaun des von Herzog & de Meuron entworfenen Museums des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum wird in den kommenden Jahren mit wechselnden künstlerisch-grafischen Gestaltungen bespielt. Mit dem Werk „Wir (alle) sind das Volk“ des Künstlers Hans Haacke setzt die Nationalgalerie als Auftakt der „Kunst am Bauzaun“ ein Zeichen für eine offene, kulturell vielfältige und tolerante Gesellschaft.

© Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Photothek / Thomas Köhler / Hans Haacke / VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Der Bauzaun des von Herzog & de Meuron entworfenen Museums des 20. Jahrhunderts am Berliner Kulturforum wird in den kommenden Jahren mit wechselnden künstlerisch-grafischen Gestaltungen bespielt. Mit dem Werk „Wir (alle) sind das Volk“ des Künstlers Hans Haacke setzt die Nationalgalerie als Auftakt der „Kunst am Bauzaun“ ein Zeichen für eine offene, kulturell vielfältige und tolerante Gesellschaft.

„Kunst am Bauzaun“ wird dabei stets einen Bezug zum Sammlungsschwerpunkt des Neubaus haben: das 20. Jahrhundert aus künstlerischer Perspektive. „Wir möchten damit sichtbar und erfahrbar machen, dass hier ein neuer gesellschaftlicher Ort, ein Ort der Kunst entsteht, der den Anspruch hat, sich mit der Stadtgesellschaft zu verknüpfen“, erläutert Joachim Jäger, kommissarischer Direktor der Nationalgalerie das Konzept.

Hans Haackes Arbeit „Wir (alle) sind das Volk“ ist von Mai bis Oktober 2021 entlang der Baustelle als Kunstprojekt im öffentlichen Raum zu sehen. Das in 12 Sprachen, unter anderem auf Arabisch, Farsi, Russisch und Türkisch verfasste Statement verweist auf die weltbekannte Parole der friedlichen Revolution in der DDR 1989, die jedoch seither auch von rechtsextremer Seite umgedeutet wurde. Haacke erweitert sie durch den Zusatz eines eingeklammerten „alle“, die Übersetzung in viele Sprachen und die flankierenden Regenbogenfarben im Sinne einer Anerkennung von kultureller Vielfalt und diverser Lebensformen über ethnische und staatliche Grenzen hinweg. Der Künstler versteht sein oft als Reihe gezeigtes „Wir (alle) sind das Volk“-Plakat auch als „Sprachensäule“, deren schwarze Basis und weißes Kapitell auf rassistische Diskriminierungen verweisen.

Die Konzeptidee zu „Wir (alle) sind das Volk“ begann 2003 für die Nikolaikirche in Leipzig und war 2017 Teil der documenta 14 in Kassel und Athen. Wie in vielen seiner Arbeiten greift Haacke vertraute Signale, Elementen oder Farben, aus Kulturgeschichte oder Werbesprache auf. Die Sprachauswahl der jeweiligen Ausgabe orientiert sich an der Zusammensetzung der Migrant*innen und Geflüchteten in der lokalen Bevölkerung. Die Sprachen der neuesten Berliner Bauzaun-Version sind: Arabisch, Bulgarisch, Deutsch, Englisch, Farsi (Dari), Französisch, Kroatisch, Polnisch, Russisch, Rumänisch, Tigrinya (Sprache in Äthiopien/Eritrea), Türkisch. Für Berlin ergänzte Haacke die documenta-Version durch eine aktuelle New Yorker Variante in Reaktion auf die „Black Lives Matter“-Bewe-gung.

Der Begriff „Volk“ hat im gesamten 20. Jahrhundert in Deutschland eine zwiespältige und oft unheilvolle Rolle gespielt. Das eingeklammerte „(ALLE)“ verunsichert und lädt ein, aus dem angebotenen Statement eigene Schlüsse zu ziehen. Denn ohne Punkt, Ausrufe- oder Fragezeichen bleibt die Aussage bewusst offen: Wer sind ‚wir‘? Wer sind ‚alle‘? Hans Haacke erklärt dazu: „Wir (alle) sind das Volk bekräftigt unsere Verbundenheit mit allen Migranten und Flüchtlingen, die gegenwärtig in vielen Ländern der Welt virulentem Fremdenhass, Rassismus und lebensbedrohenden Religionskonflikten ausgesetzt sind.“ Seit 2003 wurde die Intervention weltweit in unterschiedlichen Städten – etwa in Berlin, Bratislava, Brüssel, Chemnitz, Dresden, Gent, Halle (Saale), Leipzig, Kopenhagen, Madrid, New York, München, Ramallah und Zürich –  gezeigt, jeweils ortsspezifisch angepasst, montiert an Fassaden von Kulturinstitutionen oder an Stadtmöbeln wie Bushaltestellen oder Telefonzellen.  

Der 1936 in Köln geborene, seit über fünf Jahrzehnten in New York lebende Hans Haacke gilt als konsequenter politisch-kritischer Künstler. Hans Haacke beschäftigt sich vielfach mit der visuellen Repräsentierbarkeit nationaler Identität, in Berlin sehr eindrucksvoll zu sehen bei seiner Installation „Der Bevölkerung“ (1999/2000) aus Leuchtbuchstaben in Wahlkreis-Erde in einem Innenhof des Reichstagsgebäudes, eine sich ständig wandelnde Aktualisierung zu der Inschrift „Dem deutschen Volke“ von 1915 am Eingangsportal. 1993 erhielt Haacke zusammen mit Nam June Paik den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig für den Deutschen Pavillon. Im Herbst dieses Jahres bekommt er, Pandemie-bedingt um ein Jahr verschoben, den Kaiserring der Stadt Goslar verliehen, einen der wichtigsten Kunstpreise im deutschsprachigen Raum. In der Sammlung der Nationalgalerie befinden sich drei frühe Arbeiten Hans Haackes, so genannte „Realzeitsysteme“, kleine modellhafte Skulpturen: „Les Couloirs de Marienbad“ (1962), „Beengter Fluß“ (1965) sowie „Kondensationswürfel“ (1963/65).