Interview: No Angels

I wanna be daylight… Diese vier Wörter genügen, um den meisten einen Ohrwurm zu verpassen, der sich ge­waschen hat. 20 Jahre sind mittlerweile vergangen, seit die Debütsingle „Daylight in Your Eyes“ von den No Angels die Charts eroberte. Bis heute gilt die Band als kommerziell erfolgreichste Girlgroup Kontinentaleuropas, die in diesem Jahr ihr Celebration-Album „20“ herausgebracht hat und mit dem Preis fürs Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Wir waren mit Jessica und Lucy von den No Angels im Gespräch, haben über ihr 20-jähriges Jubiläum, über Nostalgie und über die Bedeutung gesprochen, die die Band noch heute für viele Menschen hat.

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© Ben Wolf
v.l.n.r. Nadja, Sandy, Lucy, Jessica

Lucy und Jessica, wie kam es eigentlich dazu, dass die No Angels jetzt wieder am Start sind?

Jessica: Ich sag immer sehr gerne: Wir kamen dazu, wie die Jungfrau zum Kind. Das hat sich tatsächlich alles sehr organisch entwickelt. Wir hatten vorher als Band untereinander immer mal vereinzelt Kontakt. Und dann haben wir letztes Jahr zu viert angefangen, wieder zu schreiben und zu zoomen und uns zu sehen, und haben dann natürlich darüber geredet, was wir denn machen wollen. Weil es ja schon was Großes ist. Aber wir haben viel, viel kleiner gedacht und dann kam aus jeder Ecke eine Idee und irgendwann waren so vieleda, dass wir gesagt haben: Okay! Ey, da können wir doch was draus machen.

Glaubt ihr, dass das durch den Lockdown befeuert wurde, dass ihr dann zu viert gezoomt habt, weil es auf einmal alle gemacht haben und man zu Hause rumsaß. Oder wäre es wegen des Jubiläums ohnehin passiert?

Jessica: Kann man fast gar nicht so sagen. Hätte, hätte Fahrradkette.

Lucy: Das ist so passiert, wie es passiert ist: Organisch und irgendwie one thing at a time.

Jessica: Ich glaube aber auch, als unsere Songs und die allerersten Alben das erste Mal eigentlich so wirklich wieder auf den Streaming-Kanälen zu hören waren, dass das eine richtige Welle der Nostalgie ausgelöst hat. Und auch als Daylight dann in der neuen Version rauskam. Ich glaube, das hat tatsächlich Menschen noch mal zusammengeführt und hat tatsächlich irgendwie Licht gebracht. Da kommen Erinnerungen hoch und ich glaube, gerade weil sich viele in der Pandemie sehr isoliert und einsam gefühlt haben, haben diese ganzen Songs und gerade Daylight einen großen Impact gehabt.

Ist euer Comeback ein richtiges Comeback oder wart ihr eigentlich nie weg und habt nur pausiert?

Jessica: Weder das eine noch das andere. Also wir waren weg und keine von uns hätte sich erträumen lassen, dass wir hier heute wieder so in diesem Rahmen stehen. Wir feiern halt unser Jubiläum und das steht ganz groß oben drüber. Wir haben jetzt natürlich die Highlights im nächsten Jahr: einmal das Riesenkonzert, das Open-Air in der Berliner Wuhlheide und danach die Tour. Und dann werden wir mal gucken, wie unser Status ist. Dann werden wir mal schauen, wo wir stehen, was wir weiter machen wollen oder was wir auch nicht weiter machen wollen. Das steht alles noch in den Sternen. Aber ein richtiges Comeback, sodass wir sagen: Und jetzt werden noch zwei drei Alben gemacht und wir sind jetzt irgendwie noch drei, vier Jahre unterwegs – das gibt es nicht.

Lucy: Erstmal nicht!

Jessica: Erstmal nicht. Ja, wie gesagt: Wir schauen, was wir dann machen.

Also erstmal nur eine Geburtstagsfeier?

Jessica: Jawoll! Über zwei Jahre! (lacht)

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Ihr habt 16 Celebration-Versionen auf eurem neuen Album und vier neue Songs. Einer davon heißt „We keep the spirit alive“ – welchen Spirit haltet ihr am Leben?

Jessica: Im Text sind überall Sätze aus verschiedenen Songs gestreut. Nicht nur im Mittelteil, auch in den Versen und der Bridge ist von jedem Song, der uns wichtig ist, etwas mit eingebaut. Das ist eigentlich ein Song, den wir an die Fans singen, der aber auch irgendwie wieder zurückkommt.

Lucy: Ich meine: 20 Jahre! Dieses Gefühl von Zusammen­gehörigkeit, von Freundschaft, von Musikleben und Musik­­lieben, das wir vor 20 Jahren so vielen Menschen geschenkt haben. Das ist es.

Jessica: Dadurch, dass wir heute durch Social Media engeren Kontakt mit den Fans haben können, wurde immer klarer, dass wir damals sehr viel bedeutet haben für manche Entwicklungen. Dass wir sehr viel bedeutet haben für Leute, die kein Zuhause in der Musik oder bei Künstlern gefunden haben, und die sich mit uns identifizieren konnten. Weil wir so unterschiedlich gewesen sind. Es war divers, es ist queer, das ist irgendwie alles, was da so zusammenspielt. Und das steht auch so für uns.

Wieso habt ihr euch dazu entschieden, nicht einfach 20-mal den Spirit sprichwörtlich alive zu keepen, sondern auch neue Songs zu bringen?

Lucy: Weil es natürlich die Reise gibt, und es gibt das Jetzt. Die Reise war natürlich klar, es war nur nicht so ganz klar, wie wir das jetzt beschreiben wollen und können. Und da wollten wir natürlich ein bisschen erst mal fremdschnuppern. Sprich: Uns ein paar Songs schicken lassen. Aktuelle Songs von unterschiedlichen Songwritern, die uns heute beschreiben – den Neuanfang und die Ewigkeit, in der wir uns befinden. Also wir befinden uns in einer Ewigkeit, was unsere Verbindung angeht, das ist etwas, das es einfach für immer geben wird, egal wo man ist, egal, was man macht.

Was glaubt ihr denn, wer eure Fans heute sind? Sind das die ganzen Millennials von früher oder sind auch neue dazu gekommen?

Lucy: Das ist schwer zu identifizieren. Ich glaube, es kommen auch immer wieder neue Leute dazu, die etwas in uns, in der Musik sehen. Es sind auf jeden Fall sehr viele Menschen, die damals von uns, entweder über die Musik oder über uns als Personen, […] vielleicht [auch] […] im Leben [weiter] gebracht worden sind und etwas für sich gefunden haben, was ihnen guttut. Durch unsere Diversität, durch unsere Unterschiede haben viele Menschen auch einen Weg für sich gefunden. Und ich glaube, diese Menschen sind heute immer noch da. Die waren vielleicht nicht die größten Musikfans, aber sie waren Menschenfans und es hat mit denen was gemacht, dass wir da waren und dass wir so waren, wie wir waren. Und es gibt auch Menschen, die heute tatsächlich mittlerweile Fans von uns und No Angels geworden sind.

Jessica: Für die war es früher vielleicht so ein guilty pleasure. Die haben gesagt: Nee, nee wir hören Grunge oder so was. Aber ganz heimlich fanden sie es dann doch gut. (beide lachen)

Lucy: Und das haben wir tatsächlich bei der Popkultur-Preisverleihung gespürt, dass es heute sogar diese gewisse Coolheit gibt, dass die No Angels jetzt mal da gewürdigt worden sind. Wir kennen das eine, nämlich als diese Retortenband bezeichnet zu werden und auch von vielen Künstlern, die sich ernster als uns genommen haben, mit einem Schmunzeln angeschaut zu werden. Und heute ist es einfach anders. Denn heute kann man anders über diese Zeit reflektieren.

Was fühlt sich heute anders an als vor 20 Jahren, für euch persönlich aber auch als Band?

Lucy: Die Wahrnehmung. Die Wahrnehmung für das Umfeld, dafür, wie Musik funktioniert, wie das zusammengehalten wird, wie wir uns zusammenhalten können, müssen. Also ich empfinde das als den ganz großen Unterschied.

Jessica: Ja, das stimmt schon. Ich habe die Chance, dadurch, dass ich in der Musikredaktion im Radio arbeite, das einfach auch mal von der anderen Seite zu sehen; also diese ganze Maschinerie. Klar wussten wir damals, dass da ganz viel im Hintergrund läuft, aber ich wusste gar nicht so genau, wer was hinten macht und wie viel Arbeit dahintersteckt, und ich habe einen ganz neuen Respekt dafür entwickeln können. Und man hat natürlich Erfahrungen gesammelt in den 20 Jahren. Ich kann das auch alles ein bisschen mehr genießen.

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Ihr seid ja nächstes Jahr im September mit einem Konzert in Leipzig …

Lucy: Jess hat Heimspiel! (lacht)

Tatsächlich geht meine Frage auch in diese Richtung. Wie ist das so für dich Jessica, vor Heimpublikum aufzutreten?

Jessica: Ich freue mich so mega! Vor allem, weil ich das Haus Auensee auch so geil finde. Da sind schon so viele tolle Leute aufgetreten und dass wir auch da sein werden, ist einfach supertoll, und ich kann gar nicht alle einladen, die ich gerne einladen möchte … sonst verkaufen wir kein Ticket (lacht). Das wird ganz, ganz großartig. Wir müssen mal gucken, wie das ist bei der Tour mit Vorband. Da hätte ich natürlich direkt eine Wunschband für Leipzig.

Lucy: Wer?

Jessica: KLAN. ich find die einfach großartig.

Lucy: Ohhh … Ja, schauen wir mal, vielleicht lässt sich da was machen?!

Wärt ihr denn auch bereit für die riesengroße Karriere, wenn sie sich noch mal ergeben sollte?

Lucy: Ich glaube, das erste Ziel ist erst einmal, überhaupt zu sehen, dass wir auf Tour gehen. Wir haben immer den Fehler gemacht, dass wir fünf Jahre weiter­gedacht haben, und jeder hat sich so eingegrenzt in diesen Gedanken und das, haben wir gesagt, können wir jetzt nicht machen. Denn wir müssen erst mal gucken, dass wir überhaupt auf die Bühne kommen.

Jessica: Also das Hauptthema ist, dass wir feiern, und auch unbedingt mit unserer Engel-Community feiern wollen. Weil wir die so, so lange nicht mehr gesehen haben und nicht mehr zusammen gesungen und nicht mehr zusammen gefeiert haben. Und dann werden die Karten neu gemischt, und wir gucken, wo wir stehen, und wir gucken, was wir machen.

Gibt es etwas, das ihr gerne noch mal erreichen würdet?

Jessica: Wir haben gerade unseren Preis fürs Lebens­werk bekommen und ich glaube, jetzt haben wiralles. (beide lachen) Oder Lucy, willst du noch was anderes? Willst du noch nen Oscar oder so? Oder nen Grammy vielleicht?

Lucy: Ich glaube, wir können da bleiben, wo wir glücklich sind. Und das ist bei unseren Leuten, bei unserer Community. Die wollen wir erweitern und einfach auf die Bühne gehen. Das ist tatsächlich etwas, das ich erreichen möchte.

Jessica: Ja, das ist wirklich ein großer Wunsch von uns, endlich zusammen auf der Bühne zu stehen.

Übrigens: Am 27.9.2022 geben die No Angels ein Konzert im Haus Auensee | www.haus-auensee-leipzig.de

Tickets bekommt hier HIER