Von der Konzerthalle in die Polizeistation
Wie war die Tour bisher? Wie waren die Konzerte?
Maria Aljochina: Intensiv. Das Publikum war super. Wir haben einen sehr anstrengenden Zeitplan. Wir fahren jeden Tag mit dem Bus, manchmal fünf oder sechs Stunden. Aber wenn du dann zur Konzerthalle kommst und die wartenden Leute siehst – das ist jedes Mal wundervoll. Abgesehen von den Konzerten hatten wir auch ein paar Abenteuer in der Schweiz. Es war recht lustig. Die Polizei hat uns festgenommen, weil wir Graffiti gesprüht haben. Sie wussten nicht, wer wir sind und warum wir das gemacht haben. Aber nach ein paar Stunden, die wir in der Polizeistation verbringen mussten, haben sie verstanden, dass das Graffiti eine politische Geste war.
Ist die Sache jetzt geklärt?
Maria: Sie haben uns einen Bußzettel geschrieben – 100 Franken für jede von uns. Es ist so abgefuckt und wahrscheinlich wird noch mehr auf uns zukommen.
Taso Pletner: Schlimm war auch, wie ich in der Polizeistation behandelt wurde. Die Polizistin hat meine ganzen Klamotten weggenommen, sogar die Unterwäsche. Sie hat mich dazu gezwungen, illegalerweise.
Eure Tour ist eine Anti-Krieg-Tour. Könnt ihr uns ein bisschen mehr über die Message der Tour erzählen?
Maria: Unsere Message ist “Riot”. Es geht um meine und unsere Geschichte, die Geschichte von Pussy Riot. Wir erzählen die Geschichte von der ersten Aktion bis zu meinem letzten Tag im Gefängnis, mit Zusätzen auf Grund der aktuellen Lage, also dem Krieg in der Ukraine. Für die Tour haben wir sogar extra einen Anti-Krieg-Song geschrieben. Wir hoffen, dass wir mit unseren Konzerten die Leute dazu inspirieren können, ihre eigenen Aktionen und Proteste zu machen. Die Leute müssen die europäischen Politiker:innen dazu bringen, dass Europa ein komplettes Verbot auf russisches Gas und Öl legt. Denn nur, wenn dem Krieg die Geldquellen genommen werden, wird er aufhören. Außerdem wollen wir eine Brücke schaffen zwischen unabhängigen russischen Künstler:innen und Aktivist:innen sowie Politiker:innen aus Russland – und Europa. Letztendlich haben wir nämlich alle dasselbe Ziel: Putin stoppen.
Pussy Riot: Ein feministisches Kollektiv
Ihr wollt die Leute motivieren und informieren – Einfluss nehmen auf ihre Meinungen und Handlungen. Was denkt ihr: Wie machtvoll kann Kunst sein?
Diana: Ich denke, unsere Videos und Dokumentationen, die wir beim Konzert zeigen, können sehr beeindruckend sein.
Maria: Ich bin der Meinung, dass Kunst die Welt verändern kann. In totalitären Staaten wie Russland sehen wir das beste Beispiel: Russland verfolgt Künstler:innen mit kritischen Köpfen und Aktionen. Die Leute in den Machtpositionen merken, dass Kunst etwas verändern kann – und deswegen werden sie bestraft. Vor zehn, zwölf Jahren hatten wir in Russland noch mehr kreative Freiheit. Die Veränderung begann; Leute waren auf den Straßen. Da haben die Machthabenden realisiert, wie viel Einfluss Kunst hat und haben begonnen, noch härter zu bestrafen. Und seit der Krieg begonnen hat, haben viele wichtige Musiker:innen, Künstler:innen oder Film- und Theatermacher:innen beschlossen, nach Europa zu gehen – um Geld für die Ukraine zu sammeln. Dabei sind das nicht nur Leute der Opposition. Manche von ihnen haben sich lange sehr “vorbildlich” verhalten, aber mittlerweile realisiert, dass sie dem russischen Regime nicht mehr dienen können. Denn dieses Regime ist faschistisch.
Abgesehen von eurem Kampf gegen den Krieg – was sind drei Dinge, die ihr in der Welt verändern wollt?
Diana: Ein Thema ist Feminismus. In Russland haben wir zum Beispiel ein großes Problem, was häusliche Gewalt angeht. Und auch der Krieg gegen die Ukraine ist ein Krieg der Männer. Wir als Pussy Riot versuchen immer, uns für Frauenrechte einzusetzen.
Maria: Ich sehe auch den Feminismus auf Platz eins innerhalb unseres Kampfes. Wir sind ein feministisches Kollektiv und teilweise sogar eine feministische Bewegung. Und wenn wir uns die Welt anschauen, dann sehen wir, dass nicht nur Russland sich in einer schlimmen Situation befindet.
Diana: Genau. Wenn man sich zum Beispiel USA oder Polen anguckt – es ist lächerlich, wie weit dort in die Vergangenheit zurückgegangen wird.
Maria: Ja, wir entwickeln uns zurück. Das hängt auch damit zusammen, dass Leute vergessen, was sie haben und aufhören, weiter zu kämpfen. Ich denke, unsere Konzerte und Performances können den Menschen eben dieses Bewusstsein zurückholen. Nämlich, was daraus wird, wenn man die Freiheit, die man hat, verliert. Russland kann überall passieren – es ist kein einzigartiges Land.
„Menschenrechte sind wichtiger als Geld“
Ihr setzt euch auch viel für die politischen Gefangenen in Russland ein. Könnt ihr dazu noch mehr erzählen?
Maria: Genau, ein wichtiges Thema für uns sind die aktuellen politischen Gefangenen in Russland, also die Leute, die hinter Gitter sind, weil sie sich gegen Putin und/oder den Krieg eingesetzt haben. Wir als Pussy Riot zeigen ihre Bilder auf der Bühne und sprechen über sie, wenn wir die Gelegenheit dazu haben. Ich bin der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dass die Leute in Europa von diesen Menschen hören. Denn die Leute in Russland sind nicht nur leise – sie protestieren.
Taso: Jeden Tag gibt es in Russland einen neuen Kriminalfall. Und Europa bekommt davon nichts mit. Unsere Message ist klar: Der Krieg ist nicht so weit weg, wie man hier vielleicht denkt.
Diana: Die russische Propaganda funktioniert gut, hier und in Russland. Viele Leute denken, dass fast alle Russ:innen das Putin-Regime unterstützen. Aber das ist nicht wahr; die Leute protestieren.
In welcher Position und Rolle seht ihr Deutschland, im Bezug auf Russland und den Krieg?
Maria: Ich bin der Meinung, dass innerhalb Europas die Meinungen und Handlungen Deutschlands am wichtigsten sind. Wenn ihr aufhört, Öl und Gas aus Russland zu kaufen, werden es alle tun. Ich denke, dass es wichtig ist, dass Deutschland versteht: Menschenrechte sind wichtiger als Geld – rettet die Ukraine.
Viele der Pussy Riot-Mitglieder mussten aufgrund ihres Aktivismus einiges durchstehen. Zum Beispiel warst du, Maria, im Gefängnis für zwei Jahre und ein Jahr im Hausarrest. Wie findet ihr die Energie, immer weiter zu kämpfen?
Maria: Ich nehme mich selbst da nicht so wichtig, denke ich. Jede Situation kann etwas Absurdes, Interessantes oder Lustiges an sich haben. Zum Beispiel die Situation in der Schweiz – sie zeigt, wie Russland Europa aufkauft und -isst. Ich denke nicht so viel über mich selbst, sondern eher darüber, wie ich helfen kann.
Diana: Jeden Tag sterben Menschen in der Ukraine. Da ist so viel Trauer in mir. Ich denke, wir probieren nicht so viel über uns nachzudenken, sondern mehr über die Menschen in der Ukraine.
Davon, wie man Pussy Riot wird
Was kommt zuerst für euch: Musik/Kunst oder Politik?
Maria: Es gehört für mich immer zusammen. Kunst ist immer politisch. Selbst wenn du es selbst nicht so formulieren würdest, ist es politisch. Politik bestimmt unser ganzes Leben.
Diana: Meinst du die Show? Die ist beides. Ein Pussy Riot-Abend ist mehr ein Theaterevent und nicht zu hundert Prozent ein Konzert. Es geht nicht nur um Songs, sondern auch um politische Performance.
Taso: Ich denke, moderne Kunst gehört in einen Kontext. Politik und Kunst sollten einhergehen, denn gute Kunst braucht einen Kontext. Moderne Kunst ist im Hier und Jetzt, also politisch.
In verschiedenen Interviews habe ich mitbekommen, wie Pussy Riot-Mitglieder meinten: “Jede:r kann Pussy Riot sein.“ Was meint ihr damit?
Maria: Jede:r kann eine eigene Aktion oder einen Protest als Pussy Riot machen. Pussy Riot ist eine Bewegung, bei der man einfach teilnehmen kann – solange man dieselben Werte teilt.
Diana: Pussy Riot ist ein horizontales System. Es gibt nicht viel Hierarchie. Zum Beispiel können andere Bands, einzelne Menschen oder Organisationen eigene Aktionen machen – als Teil der Pussy Riot-Bewegung.
Pussy Riot kommt nach Leipzig. Am 09.09.2022 im Täubchenthal. Beginn ab 20 Uhr.
Tickets gibt es hier: www.tixforgigs.com