"Ich war nicht so eine gefallene Püppi. Ich war schon immer hier unten gewesen." Lana Lux liest aus „Kukolka“, am 4.10.2017 in der Clinkerlounge Backfabrik

Lana Lux liest aus ihrem Debut „Kukolka“, einem ebenso fesselnden wie erschreckenden Roman, der in einem kalten ukrainischen Kinderheim beginnt und ins genauso kalte Deutschland führt.

© Kat Kaufmann
Lana Lux liest aus ihrem Debut „Kukolka“, einem ebenso fesselnden wie erschreckenden Roman, der in einem kalten ukrainischen Kinderheim beginnt und ins genauso kalte Deutschland führt.

Einen aus der zeitgenössischen Kindheitsperspektive geschriebenen Roman zu lesen ist immer etwas ganz besonderes: Vieles erkennt man wieder, Düfte, das familiäre Abendbrot, das erste Playmobil, die Schule – was auch immer eine Generation an prägenden, kollektiven Erlebnissen erfahren hat. Der Klassiker dieses Sujets ist wohl nach wie vor Florian Illies „Generation Golf“.

In dieser Hinsicht ist Kukolka (ukrainisch für Püppchen) von Lana Lux etwas ganz anderes, denn es ist keine deutsche Mittelschichtskindheit, die sie beschreibt, auch wenn der Weg nach Deutschland führt. Mit der Hauptfigur, der anfangs siebenjährigen Samira, erlebt man den fünf Jahre andauernden, ganz am Anfang abenteuerlichen, später brutalen und horriblen Weg des ukrainischen Heimkindes, das unbedingt nach Deutschland möchte – denn dort scheint das Paradies zu sein. Ihre Freundin Marina, von einem deutschen Paar aus dem lieblosen und von Gewalt geprägtem Kinderheim herausadoptiert, versorgt sie per Post mit unglaublichen Gaben aus Deutschland: Berge von Süßigkeiten, eine echte Barbie, ein Jogginganzug von ungeahnter Weichheit. Es ist klar: Dort muss Samira auch hin.

„Mir war nämlich klar geworden, dass ich die einzige war, die das hier überleben konnte.“

© Aufbau Verlag
Sie haut also ab, und was sich anfangs noch wie ein wilder Abenteuerroman liest, wird zunehmend ein Horrortrip in die Kinderprostitution. Marina wird von ihrem Loverboy an die Freier verschachtert.

Deutschland wird hier von aussen als Verheißung beschrieben und von innen als Endstation für diejenigen, die für die Wohlstandsgesellschaft nichts Konsumware darstellen. Man wünscht sich für Marina ein happy end (und verrät das Romanende hier nicht) und fragt sich, wie viele Kinder in der Realität, vielleicht gleich hier um die Ecke, ohne dass man es mitbekommt, gerade jetzt so ein Martyrium durchmachen. Kein Buch für schwache Nerven, aber auch im Kontext der Flüchtlingsdebatte ein den Horizont erweiternder Beitrag: Wie ist es, mit nichts außer einem selbst in ein Land zu kommen, wo es anscheinend alles gibt, und hier auf Brutalität und Gewalt zu stoßen?

Trotz des harten Tobaks handelt es sich bei Kukolka dennoch nicht um einen reinen Schauerroman, denn die Autorin richtet ihre Protagonistin trotz aller Schmerzen und Unerträglichkeiten als ein widerstandsfähiges Exemplar der Gattung Mensch ein: „Mir war nämlich klar geworden, dass ich die einzige war, die das hier überleben konnte. Ich war nicht so eine gefallene Püppi. Ich war schon immer hier unten gewesen.“

Infos: Lana Lux: Kukolka, 375 Seiten, Aufbau Verlag, 22 Euro.

Lesung: 4.10.2017, 20 Uhr, Clinkerlounge der Backfabrik Saarbrücker Straße 36-38, 10405 Berlin, Eintritt: 8 Euro / 6 Euro (erm.)
Webseite des Veranstalters: www.buchboxberlin.de