Die Autorin des Comicbands "Bergstraße 68" spricht über Verdrängung und das tintenblau-khaki-farbene Berlin Machtlos im Museum | Tina Brenneisen im Interview

In dem kleinen Comicband „Bergstraße 68“ behandeln die Berliner Comicautorin Tina Brenneisen und die Illustratorin Veronica Solomon eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste Thema in der Hauptstadt: das Verschwinden von auch für weniger einkommensstarke Menschen bezahlbarem Wohnraum. Ein Interview über Verdrängung – und das tintenblau-khaki-farbene Berlin.

© Parallelalle
In dem kleinen Comicband „Bergstraße 68“ behandeln die Berliner Comicautorin Tina Brenneisen und die Illustratorin Veronica Solomon eines der wichtigsten, vielleicht das wichtigste Thema in der Hauptstadt: das Verschwinden von auch für weniger einkommensstarke Menschen bezahlbarem Wohnraum.

So bekommt die kleine Tilda eines Abends am Rande mit, dass der Vermieter andere Pläne für das große, alte Haus hat, in dem sie mit ihrer Familie wohnt. Doch wie erklärt man einem Kind, dass es sein Zuhause verlieren wird?

Wir haben der Autorin ein paar Fragen zum Buch gestellt. Im Interview spricht Brenneisen, 1977 in Dresden geboren und seit 2013 Betreiberin ihres eigenen Comic-/Graphic-Novel-Verlags Parallelalle, über Verdrängung und ihr tintenblau-khaki-farbenes Berlin …

Was hat den Anstoß für die Erzählung gegeben?

Entstanden ist die Geschichte bereits vor zehn Jahren, als ich selbst noch in der Bergstraße 68 in Mitte wohnte. Schon damals war das Heraussanieren von Mietern kein Einzelfall. Die 68 war das letzte unsanierte Haus in der Straße, ein schönes lebendiges Soziotop aus lauter Andreas Dresen-Figuren. Bis das Haus verkauft wurde und der neue Besitzer es innerhalb eines Jahres mit Drohungen, Schikanen und einstweiligen Verfügungen schaffte, alle Mieter zum Auszug „zu bewegen“. Im vergangenen Jahr, als das Thema in Berlin erneut hochkochte und ich feststellte, es war politisch immer noch nichts zum Schutz der Mieter geschehen, habe ich entschieden, es nochmals vercomicen zu lassen.   

Wie erlebst du – ganz konkret und jenseits der Bigger-Picture-Diskussionen – das Thema Verdrängung?

Mit Sorge und mit Ohnmacht. In der Comicbranche arbeiten viele Franzosen. Wenn sie nach Berlin kommen, weil sie sich eine Existenz in Paris nicht länger leisten können, berichten sie, Paris sei, was das Leben und die Kunst betreffe, zum Museum erstarrt. Das, fürchte ich, passiert langfristig auch mit Berlin.

In der Geschichte gewährt Fantasie Trost und Aufschub, schafft aber keine neue Realität. Ist der Zug abgefahren?

Ja, so hab ich es wahrgenommen. Als einzelner Mieter, selbst als Hausgemeinschaft, waren wir machtlos. Diese Art von Veränderungen lassen sich weder aufhalten noch rückgängig machen, einst bestehende Soziotope und Freiheiten nicht künstlich wiederbeleben. Es ist wichtig zu begreifen, dass Verdrängung ein politisches Problem ist und deshalb auch nur politisch gelöst werden kann.

„Bergstraße 68“ ist klar in Berlin verortet. Du stammst aus Dresden. Könnte sich die Geschichte dort auch so zutragen oder wie gestaltet sich die Situation im Vergleich zu Berlin?

Das wäre eher unwahrscheinlich. Die Stadt ist zu klein und weniger begehrt, als dass der Wohnungsmarkt zu einem derart heiß umkämpften Spekulationsmarkt werden könnte, der so krude Methoden hervorbringt, wie ich sie hier in Berlin erlebt habe. Aber mit steigenden Mieten und Wohnungsknappheit haben auch die Dresdner zu kämpfen. Das Phänomen betrifft also nicht nur Berlin.   

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Veronica Solomon – warum wolltest du die Geschichte nicht allein umsetzen (wie du es bisher mit PoinT gemacht hast)?

Veronica habe ich während eines Vortrags an der Filmuniversität Babelsberg kennengelernt. Sie ist Trickfilmerin. Ich hatte schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, ein Gemeinschaftsprojekt zu machen und ich selbst war im letzten Jahr sehr stark mit einem anderen Buchprojekt beschäftigt, hätte also auch keine Zeit gehabt, es selbst zu zeichnen. Veronicas Arbeiten mag und schätze ich sehr. Ich war unglaublich froh, dass sie Zeit gefunden hat, die Geschichte zu illustrieren. Ich hoffe, es gibt in Zukunft noch mehr Möglichkeiten zur Zusammenarbeit.    

Ihr habt euch für eine monochrome Optik entschieden – aus pragmatischen Gründen oder was steht hinter der Entscheidung?

Ja, sowohl als auch. Es ist ein bisschen eine ungewöhnliche Farbkombination, gerade für Kinder. Aber wir fanden, das Tintenblau-Khaki passt gut zur Berlin-Atmosphäre und auch zur Rohheit des Themas. Und ja, es stimmt, eine spartanische Kolorierung ist weniger zeitaufwendig, holt aber meist mehr an Expressivität heraus als Vollkolorierung.

In deinem Verlag Parallelallee hast du bislang ausschließlich eigene Werke veröffentlicht. Nun kommt mit einem Buch von Billy Rubin ein weiterer Autor. Wie möchtest du Parallelallee entwickeln?

Langfristig möchte ich gern ein kleines Programm aufstellen, in dem ich besonders Bücher unterbringe, die parallel zum Marktgängigen Geschichten erzählen. Da ich aber aus dem Osten stamme, also kein soziales und finanzielles Kapital mitbringe, hängt alles von der Comiczeichnerin ab, die momentan den Verlag noch querfinanzieren muss.    

Was ist dein nächstes eigenes Projekt?

Gerade eben laufen die Vorbereitungen zur Veröffentlichung der graphic novel „Das Licht, das Schatten leert“, meine bisher umfangreichste und schwierigste Arbeit, die jetzt im September in der Edition Moderne erscheinen wird. Der Comic wurde 2017 mit der höchstdotierten deutschen Comicauszeichnung, dem Berthold-Leibinger-Preis, prämiert und hat mich die letzten fünf Jahre beschäftigt. Im Hintergrund arbeite ich aber bereits an einem neuen Band: „True Stories“.

Bergstraße 68

Tina Brenneisen und Veronica Solomon

56 Seiten, zweifarbig, Klappenbroschur

www.parallelallee.de

© Tina Brenneisen