Kolumne vom Quatsch Comedy Club Thomas Hermanns probiert dekonstruierte Birne Helene

Thomas Hermanns weigert sich standhaft, jeden Trend der Streetfood-Cuisine mitzumachen. Aber ob er Wirsing-Cupcakes und Biobeeren aus Buthan widerstehen könnte?

© Harry Schnitger
Ich liebe gutes Essen und ich liebe innovative Restaurants, aber in Berlin treibt die Hipster-Gastronomie manchmal doch die merkwürdigsten Blüten. Meine Eltern wären völlig verstört, säßen sie mal an einem jener Tische, bei dem keine Speisekarte ausliegt, sondern entweder die deffnitiv im Ursprung nicht deutschsprachige Bedienung eine Minute lang tapfer die verschiedenen organischen, Slow Food, veganen, brandenburgisch-nachhaltigen, verrückten aus-dem- Urlaub-des-Kochs-mitgebrachten oder einfach nur völlig unbekannten Gerichte aufsagen wie den neuesten Kochkatechismus.

Oder man muss die Gerichte auf der unvermeidlichen Schiefertafel die immer mit Kreide geschriebenen krakeligen Angebote mühsam entziffern muss.

Gerade bei der Aufbockung der berüchtigt reizlosen brandenburgischen Küche zur „Haute Cuisine“ (wie viele Zubereitungsformen des eher faden Havelzanders kann es geben, bevor man doch endlich wieder zur Dorade darf …) gibt es immer wieder Probleme, die durch die Worte „Klee-Schaum“ oder „Hirse-Fond“ nicht besser werden. 

Kürbisse, die mehr Flugmeilen haben als Franz Walter Steinmeier

Dafür werden oft trotz aller Ökobilanz bestimmte Spezialitäten aus der ganzen Welt eingeflogen – ich habe Kürbisse gesehen, die mehr Flugmeilen hatten als Franz Walter Steinmeier. Verdient wird meist am Alkohol (die Weinkarten liegen immer aus!), und so ist der Trend zum „Feinschmeckerbier“ in den karg dekorierten In-Buden mit den unbequemen Holzbänken ja schon jetzt nicht mehr aufzuhalten. „Bier hat jetzt auch einen Jahrgang!“ wird einem stolz vom kroatischen Teilzeit-DJ/Kellner erklärt, und bevor wir die Hanglage der Gerste und die steinzeithafte Bedeutung des Malzes diskutieren, bestelle ich einfach mal statt Champagner oder Crémant ein billiges Glas deutschen Sekt und verwirre manche der internationalen Servierfachkräfte. 

Bioschwein, gestreichelt, massiert, ehemals neben Kobe ansässig

Apropos Steinzeit: Paleo-Food steht immer noch als Trend hoch auf der Hipsterliste und damit der Verdacht, dass der Verzehr von Essen, „das so ist wie vor 1000 Jahren“, irgendwie besser wäre (weil, klar Du, without the convenient Zutaten and the artificial Zusatzstoffe) als das von heute. Ob wir dann aber auch bei den Frauen- und Schwulenrechten wieder 1000 Jahre früher ansetzen müssen – auch dieser Scherz prallt an der tätowierten Mützenkellnerin gnadenlos ab.

Überhaupt lässt der Humor in der Szenegastronomie zu wünschen übrig: Meine Lieblingsscherzfragen wie „Gibt es hier auch Birne Helene?“ oder „Ich liebe ja Zigeunerschnitzel …“ bringen diese Lokale offenkundig in Bedrängnis. Außer, der Koch ist schon drei Schritte voraus und hat die Birne Helene natürlich schon DEKONSTRUIERT – dann geht alles. Auf das dekonstruierte Jägerschnitzel mit einem Pilz, einem winzigen Stück Bioschwein (gestreichelt, massiert, ehemals neben Kobe ansässig), zwei Tannenzweigen und ein paar Beeren, gelegt wie die Noten zum „Jäger aus Kurpfalz“ auf Linien aus brandenburgischem Essig, warte ich allerdings noch. 

Brackige Barbecuesoße aus dem Süden Amerikas

Der allerneueste Gastrotrend ist natürlich Street Food oder wie ich gerne sage „Grill auf Robben-und-Wientjes-Laster-Essen“. Hier dominiert dann das sogenannte Soul Food, und die unvermeidbaren Burger (Biohack aus Beelitz) brutzeln auf Steinzeitsteinkohle aber mit verrückten internationalen Soßen. Ach was sag ich Soßen – Relishes, Chutneys und Supersenfen aus alle Orten der Welt. Ich habe sowieso oft das Gefühl, dass eine Landschaft, wenn sie gastronomisch gar nichts hermacht, einfach Senf produziert. Senf geht immer bei Street Food.

Oder auch wahlweise brackige Barbecuesoße aus dem Süden Amerikas für die Herren und ein leichtes japanisches Soshu-Sorbet für die Dame. Nun gut: Am Ende des Tages schmeckt vieles gut, was merkwürdig klingt, aber der vegane Tennessee Burger und das organische Lüchener Lychee-Risotto müssen trotzdem bei mir erst noch ihre Daseinsberechtigung erarbeiten.

Zum Schluss hier noch 10 Berliner Mega-Food- Trends, die ich voraussehe: 

BIO-ĆEVAPČIĆI MIT KUMIN UND KRESSE 

METTWURST-SASHIMI 

HARIBO HOT CAKES (IRONISCH) 

ALBATROS MIT ARGENTINISCHEM ABSINTH-ANIS 

WIRSING-CUPCAKES 

BIOBEEREN AUS BUTHAN 

POLARBÄR À LA PLANCHA 

KRESSECOCKTAILS 

BUDDHISTENSCHNITZEL 

CRYSTAL METH SORBET 

Guten Appetit!

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