"Darum geht es beim Boxen: Ihr müsst euch selber kennen lernen." Im Isigym Boxstall bei General Freund

Von außen Old-School-Boxstall – von innen auch. Hier wird mit viel Herz für große sportliche Erfolge sowie Integration geboxt. Und Freizeitboxer entwickeln einen sagenhaften Ruhepuls.

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Von außen Old-School-Boxstall – von innen auch. Hier wird mit viel Herz für große sportliche Erfolge sowie Integration geboxt. Und Freizeitboxer entwickeln einen sagenhaften Ruhepuls.

Draußen lärmt die Potsdamer Straße an diesem frühen Sommerabend. Drinnen, im Boxsportverein Isigym e.V., herrscht eine entspannte und hochkonzentrierte Ruhe. Die ist zumindest bemerkenswert, warten hier doch ungefähr 40 Jungs und ein Mädchen im Teenageralter aufs Training. Die meisten sind hier aus dem Kiez, der den Ruf „sozial problematisch“ hat. Normalerweise sind es sieben Mädchen, wie ich später erfahre. Ich bin hier so reingestolpert – den Laden fand ich schon immer interessant. Er sieht ein bisschen gefährlich aus; unprätentiöse, alte Boxerschule, passt gut in diesen Teil der Potsdamer Straße. Durch die geöffnete Tür sieht man die Halle mit riesigen Sandsäcken und den Boxring auf einer Empore. Hier geht’s offensichtlich nicht um Body-Lifestyle, hier geht’s um „voll auf die Zwölf“. Als ich beim Vorbeilaufen mal wieder reinschiele,grinst mich derTyp an, der gerade vor der Tür sitzt und in Ruhe ein Käffchen trinkt:

„Komm rein!“ Es ist Izzet Mafratoglu, Vorsitzender, Trainer und Chef des Ganzen. Beiläufig frage ich, wer denn hier so trainiert, denn den blitzschnellen 20-jährigen Amateurprofis, die sich im Ring beharken, setze ich meine etwas älteren Knochen nicht aus. Dass hier bei den Freizeitboxern alles und jeder dabei ist, egal ob 18 oder wirklich 88, Mann oder Frau, ist später noch zu erfahren. Aber Izzet kommt gleich auf das, was ihm das Wichtigste zu sein scheint: „Wir machen hier ‘ne Menge Integration, viel Integration, das ist doch wichtig für die Kinder“. Ich finde ihn gleich wahnsinnig sympathisch, er hat so ein Zwinkern drauf und innerlich gratuliere ich den Kids, die den Weg hierher gefunden haben.

Gewinnen, verlieren 

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Ich bin eingeladen, zuzuschauen – es ist 19 Uhr und das Jugendtraining geht los. Zum Aufwärmen gibt es klassisches Seilspringen und Dribbeln mit Tennisbällen – das leuchtet ein, denn es schult die Reaktionsfähigkeit. Nach dem Aufwärmen: Versammlung um Izzet, der eine Rede hält. Ein bisschen wie Udo Lindenberg, sing-sang, locker, entspannt, aber mit Aussage: „Boxen heißt nicht Leute verprügeln, Boxen heißt fürs Leben lernen“. Das klingt für mich zwar wie ein Spruch aus dem Boxer-Kalender, aber die volle Aufmerksamkeit von 40 Jungs und einem Mädchen beweist: Die hören ihm genau zu. „Gewinnen, verlieren. Gewinnen, verlieren. So lernt ihr euch selber kennen. Darum geht es beim Boxen: Ihr müsst euch selber kennen lernen. Ihr müsst trainieren und ihr müsst gut in der Schule sein. Und von wem ich draußen Schlechtes höre, der hat schlechte Karten bei mir.“

So geht es noch etwas weiter, und ich bin perplex: Alles so verdammt Rocky und sein Trainer – Klischee, aber es funktioniert. Ich kriege tatsächlich eine Gänsehaut, so beeindruckt bin ich von der etwas-wollen-Atmosphäre, die die Gruppe ausstrahlt. Später wird mir einer von den Freizeitboxern, der mit 55 Jahren mit dem Training angefangen hat, etwas erklären: „Das Boxen macht dich ruhig; ganz aufmerksam, du kriegst alles mit, aber du bist viel ruhiger. Früher ist mir bei vielen Gelegenheiten gleich der Blutdruck hochgegangen. Heute, nach einem Jahr Boxen, hab ich einen sagenhaften Ruhepuls.“

Wie ein rollendes Gewitter 

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Bevor das Jugendtraining richtig beginnt, muss einer gehen. „Wer quatscht, fliegt raus“, sagt Izzmet, „morgen kannst du wieder kommen“. Die anderen verteilen sich an den Boxsäcken, es folgen 40 Minuten verschiedene Techniken. Der Sound, den die rund 30 Boxsäcke jetzt erzeugen, klingt, als stünde man in einem rollenden Gewitter; die Luft vibriert. Zum Schluss gibt es noch eine Runde Qual, Liegestützen und Ähnliches. Izzmet gibt jetzt den Rumbrüller, aber wenn man genau hinschaut, sieht man, er muss aufpassen, nicht loszulachen. „Im Training bin ich General, aber anschließend sind wir Freunde“.Bei Isigym kommen die Trainierenden aus so vielen Nationen, dass Izzet sie gar nicht alle aufzählen kann. Und anscheinend hat hier auch jeder einen Spitznamen.

Der mit dem sagenhaften Ruhepuls heißt der Kommissar. Und Kobra, ungefähr 16, erklärt mir, dass er heute nicht voll mittrainiert habe, weil Ramadan ist und das dann zu anstrengend ist, aber er will die Technik frisch halten. „Na klar!“ antwortet er auf die Frage, ob er auch Amateurkämpfe bestreiten will. Denn auch wenn Integration ein wichtiges Thema ist, geht’s ums Boxen. Isigym ist einer von zwei Bundesstützpunkten sowie Olympiastützpunkt. Der Boxstall ist einer der erfolgreichsten des Landes, im letzten Jahr Deutscher Vereinsmeister. 

Außer Atem, aber strahlend 

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Nach dem Jugendtraining starten die Freizeitboxer, auch hier Männer und Frauen gemischt. Eine der Frauen erzählt: „Die ersten drei Monate sind die Hölle, aber dann bleibst du dabei“. Völlig außer Atem, aber strahlend.

Zum Isigym-Team gehört auch Plamen Hristo. Nachdem er zwei Jungs auf bulgarisch verabschiedet hat, erzählt er mir, er sei hier in der Gegend aufgewachsen, deswegen sei er heute auch ein bisschen der Außenminister des Vereins – weil er hier jeden kennt. Zur Not auch die von der Nachhilfeschule gegenüber. „Ich weiß wie schwer das hier für Jugendliche sein kann.“ Schöneberg sei ja Berlins Homokiez, erwähne ich. ob hier denn auch Schwule trainieren? „Natürlich!“, sagt er schon fast empört. Und er meint noch, selbst wenn man ihm ein Haus in Zehlendorf schenken würde, würde er hierbleiben. 

Infos: www.boxverein-berlin.de Potsdamer Straße 152, 10783 Schöneberg