Interview mit Jouanna Hassoun von MILES, der Berliner Hilfe für queere Flüchtlinge. Wie in Berlin LSBTI Flüchtlingen geholfen wird und warum sie unsere Unterstützung brauchen

Hätte sie nicht schon einen, nämlich den Verdienstorden des Landes Berlin, man müsste Jouanna Hassoun sofort einen verleihen. 2015 hat sie auf ehrenamtlicher Basis die medizinische Versorgung am Lageso aufgebaut, beim Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) in Schöneberg betreut sie queere Flüchtlinge.

© Andrea Hansen
Hätte sie nicht schon einen, nämlich den Verdienstorden des Landes Berlin, man müsste Jouanna Hassoun sofort einen verleihen. 2015 hat sie auf ehrenamtlicher Basis die medizinische Versorgung am Lageso aufgebaut, beim Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) in Schöneberg betreut sie LSBTI Flüchtlinge (Lesben, Schwule, Bi, Trans- und Intersexuelle). Dazu gehören psychosoziale Beratung, Beratung in Asylrechtsfragen, erste Hilfe in Krisensituationen, Vermittlung von traumatisierten Flüchtlingen an TherapeutInnen und vieles mehr. MILES wird zwar vom Senat unterstützt, aber bei weitem nicht ausreichend, sodass MILES jetzt einen Spendenaufruf gestartet hat. Wofür die Spenden benötigt werden, haben wir nachgefragt.

Damit wir erst einmal einen Eindruck von eurer Aufgabe bekommen, wie viele Menschen kommen pro Monat in eure Beratung?

Das ist schwer zu sagen, meist sind es zwischen 10 und 15 Neuanfragen in der Woche – und: wir sagen niemandem ab. Es kann sein, dass jemand mal auf eine Betreuung warten muss, und wir haben mit der offenen Sprechstunde am Montag jetzt eine Zwischenlösung. Da gibt es dann statt der 50 Minuten Beratung wie sonst maximal 15 Minuten. Dadurch versuchen wir die Wartezeiten zu verringern, in den 15 Minuten können wir gucken, wo ist jetzt Bedarf und was ist wirklich akut, etwa Abschiebung, da können wir dann sofort handeln.

Wie geht es den Menschen, wenn sie bei euch ankommen?

Wir haben 40 bis 50 Prozent, die komplex traumatisiert wurden, in ihrem Heimatland, auf der Flucht oder auch hier in Berlin. Das sind Kriegstraumata oder Traumata aus sexuellen Übergriffen oder beides. Wir haben große Schwierigkeiten, zu passenden Therapeuten zu vermitteln. Viele der Therapeuten und Therapeutinnen sind selbst homo- oder transphob, da können wir natürlich niemanden mit gutem Gewissen vermitteln. Und die Wartezeiten sind superlang, gerade arabischsprachige TherapeutInnen gibt es sehr wenige. So haben wir jetzt Wartezeiten von bis zu mindestens drei Monaten. Und wenn jemand suizidgefähredet ist, ist das sehr lang.

Ihr seid weiter auf Spendengelder angewiesen, wofür genau?

Oft sind das ganz einfache Dinge, zum Beispiel eine Person in Fürstenwalde, die gern einen Deutschkurs machen möchte, aber das Lageso übernimmt nicht die Fahrtkosten. Und wenn jemand 120 Euro im Monat bekommt, kann man dafür nicht ein Monatsticket Berlin Brandenburg bezahlen. Aber wir wollen ja die Integration, wir wollen ja gerade nicht, dass die Leute nur in den Unterkünften sitzen und nichts machen. Unser Notfalltopf ist dafür da, in so einem Fall wenigstens die Fahrkarte bezahlen. Ein anderes Beispiel: Eine Person meldet sich aus Regensburg bei uns, sie wird von anderen in ihrer Unterkunft gepeinigt, sieht keinen Ausweg mehr uns unternimt einen Suizidversuch. Wir waren dann einen Tag damit beschäftigt, von Berlin aus irgendwie zu helfen und eine Lösung zu finden. Denn das dortige Amt wollte sie in eine andere Unterkunft stecken, aber zusammen mit ihren Peinigern! Für mich, und ich spreche fließend deutsch, war es wahnsinnig schwer, für diese Person Hilfe zu erreichen, ich wurde auf den Ämtern nur immer weiter verschoben. Letztlich war es dann ein ehrenamtlicher queer-Support in Regensburg, der helfen konnte, also auch dort wieder kein Unterstützung von bürokratischer Seite. Um auf diese Weise schnell helfen zu können, brauchen wir finanzielle Mittel, und dafür sind die Spenden. Wir bekommen vom Senat eine Finanzierung für unsere Beratungsprojekte, nicht aber dafür, dass wir jemanden privat unterbringen, eine Fahrrkarte bezahlen oder schnell einspringen, wie jetzt in dem Fall in Regensburg.

Was sind denn die Wünsche der LSBTI, die hier ankommen?

© LSVD MILES
Sie möchten in Sicherheit leben, hier akzeptiert werden so wie sie sind und möchten sich integrieren, die deutsche Sprache lernen, Arbeit finden, ein Teil der Gesellschaft werden.

Wie reagiert die Berliner LSBTI-Szene?

Wir haben eine unglaublich große Hilfbereitschaft durch die Community erfahren. Die war überwältigend, um das mal ganz klar zu sagen. Ohne diese Unterstützung hätten wir unsere Arbeit gar nicht machen können. In diesen Krisenzeiten, als es auch die queere Unterkunft nicht gab, hätten wir die Leute sonst gar nicht unterbringen können. Es gab aber auch die Gegenbwegung, Stichwort schwule AFD-ler, die sagten, wir müssen uns vor den bösen Flüchtlingen schützen. Da wurde Homophobie gegen Rassismus ausgespielt. Wir sagen, keine Chance für Homophobie, keine Chance für Rassismus. Wenn zum Beispiel ein homophober Flüchtling gewalttätig wird, werden wir das nicht totschweigen. Wir gehen dagegen vor, zeigen das an oder unterstützen das Opfer bei der Anzeige. Aber alle Flüchtlinge in einen Topf zu werfen, zu sagen, alle Flüchtlinge sind homophob, kann nicht der Weg sein.

Habt ihr auch noch Bedarf an Ehrenamtlern, also Leuten, die persönlich helfen möchten?

Aber ja. Wer persönlich helfen möchte, kann sich auf unserer Seite informieren oder zu einem unserer Infoabende kommen, da wird das Patenschaftsprojekt, das Ehrenamtprojekt vorgestellt. Dann kann man sich immer noch entscheiden, möchte ich da mitmachen oder wie möchte ich mich einbringen. Einige übernehmen eine Patenschaft, andere helfen bei Veranstaltungen, das ist vollkommen unterschiedlich. Ganz wichtig ist auch das Thema Wohnung. Wenn jemand eine Wohnung, ein Zimmer untervermieten kann, zu einem humanen Preis, sodass das Lageso das übernehmen kann, ist das für uns extrem hilfreich.

Mal doof gefragt: Sind die Ehrenamtler alle LSBTI?

Der größte Teil ja, aber nicht nur, wir haben auch Bi- und Heterosexuelle, die sich engagieren. Wir haben zum Beispiel eine unglaublich tolles Ehepaar, deren Kinder schon aus dem Haus sind, die sich um drei Flüchtlinge von uns kümmern. Die sind quasi schon wie Mama und Papa. Die sind immer so mein Goldschatz, mein Leuchtturm.

Wie umfangreich ist eine Patenschaft?

Das hängt immer davon ab, wieviel der Pate tun möchte oder kann. Das kann von jeden Tag eine Stunde bis ein Treffen alle zwei Wochen gehen.

Und das wird von euch auch begleitet?

Ja, wir haben eine Ehrenamtler-Supervision, wir haben einen Stammtisch, meine Kollegin ist Ansprechpartnerin, es ist also nicht unbegleitet. Das ist auch wichtig, denn wir wollen beide Seiten schützen, die Flüchtlinge und EhrenamtlerInnen. EhrenamtlerInnen müssen deshalb auch ein erweitertes Führungszeugnis haben, denn wir wollen ausschließen, dass da irgendwelche anderen Absichten hinter stecken.

Letzte Frage an dich als Integrationsexperin. Wie ist deine Prognose allgemein? Das Thema Integration wird ja momentan sehr intensiv diskutiert.

Ich bin optimistisch. Ich bin der Meinung, mit Bildung, gesellschaftlichem Zusammenhalt, Arbeit gegen Rassismus und Homophobie erreichen wir mehr als wenn wir alle nur in unseren Schubladen denken und nach uns die Sintflut. Es ist beides: Aufgabe und Chance. 

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