Kiezreport Zu Besuch im afrikanischen Viertel

Im Wedding gibt es einen gemütlichen Ort, an dem die Welt noch in Ordnung ist. Das Afrikanische Viertel eignet sich wunderbar für entspannte Streifzüge am Wochenende.

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Die Sonne scheint an diesem Samstag, Kinder spielen auf der Straße, in dem Café an der Ecke balanciert die Bedienung ein Tablett mit Kaffee und Säften zwischen den Tischen hindurch und von den Balkons ertönt hier und da Musik oder Geplauder. Typisch für Berlin, könnte man meinen. Und doch ist hier, im Afrikanischen Viertel im Bezirk Wedding, einiges anders. Das wird schon bei einem Blick auf die Straßennamen deutlich. In wenigen Schritten geht es hier von Togo über Kamerun bis nach Sansibar. Und zwischendrin bildet die Afrikanische Straße das Herzstück des Kiezes. Eingerahmt von der Müllerstraße auf der einen und der Seestraße auf der anderen Seite hat sich im Norden Weddings ein ganz besonderer Kiez entwickelt. 

Noch vor hundert Jahren wäre der bunte Mix aus Kulturen, Sprachen und einzigartigen Geschäftsideen an diesem Ort undenkbar gewesen. Damals plante Carl Hagenbeck, der sich mit seinem Hamburger Tierpark bereits einen Namen als Zoodirektor gemacht hatte, eine ganz ähnliche Anlage im heutigen Kiez. Aber nicht nur Tiere aus den ehemaligen deutschen Kolonien, darunter Kamerun, Sansibar und Togo sollten hier ausgestellt werden, auch Menschen vom afrikanischen Kontinent, so der damalige Plan, sollten hier vorgeführt werden. 

Schwierige Historie

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Der Beginn des ersten Weltkriegs verhinderte die Umsetzung seiner Pläne, die heute völlig absurd wirken; doch die zu diesem Zwecke bereits benannten Straßen behielten ihre Namen – auch weit über das Ende der deutschen Kolonialherrschaft hinaus.

Heute erinnert nicht mehr viel an die Weltmachtsfantasien des deutschen Kaiserreichs und den Ursprung des Kiezes.Nur einige der hier zu lesenden (Straßen-) Namen sorgen heute für Kontroversen, eine Umbenennung wird debattiert: Gustav Nachtigal, Franz Adolf Lüderitz und Carl Peters, die sich Teile des Kontinents militärisch und mit Zwangsverträgen aneigneten. Auch über diese Geschichte des Viertels informieren heute Stadtführer, mit denen es einmal quer durch den Kiez geht. Dass sich heute viele Menschen mit afrikanischen Vorfahren im Viertel niederlassen, konterkariert die Pläne des Kaiserreichs auf die wohl schönste Art und Weise. Der Zuzug begann wie zufällig, schnell sprach sich die hier entstehende afrikanische Community rum und lockte immer mehr Menschen in den Kiez. Das wirkt sich auch auf das Bild des Viertels aus. In der Afrikanischen Straße reihen sich Afroshops an Cafés und Kulturzentren.

Heute ein Kiez zum Wohlfühlen

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Von der guten Atmosphäre, die im Kiez herrscht, lassen sich auch andere Berliner anstecken. Immer mehr von ihnen kommen ins Afrikanische Viertel, um hier zu wohnen, zu arbeiten oder einfach das Lebensgefühl zu genießen. Am südlichen Ende, der Seestraße, eröffneten in den vergangenen Jahren zahlreiche Bars, in denen sich abends Studenten treffen. Tagsüber findet man außergewöhnliche SecondHand-Läden, wie das „FRACK du lac“ in der Kameruner Straße oder Café-Bars, wie das „Fredericks“. 

Im Afrikanischen Viertel lebt es sich gut, so der Eindruck. Das bestätigen auch Barbara und Alessandro, die an der Ecke Seestraße/Togostraße vor zwei Jahren den „Neontoaster“ eröffneten und für italienisches Flair in der Gegend sorgen. Sie selber wohnen um die Ecke in der Togostraße und wählten den Kiez als Standort für ihr vegan-vegetarisches Bio-Gasthaus ganz bewusst – und nicht nur wegen des für Berliner Verhältnisse geringen Mietpreises. „Wir haben den Laden einfach gefunden. Und wir lieben das Afrikanische Viertel. Hier herrscht ein ganz besonderes Lebensgefühl, wir haben uns sofort wohl gefühlt.“ 

Die beiden Wahl-Weddinger geben dann auch gleich ein paar Tipps mit auf den Weg, was man im Kiez noch gesehen haben muss. Die „Nussbreite“ nebenan zum Beispiel, die Bar mit Wohnzimmeratmosphäre, in der sich jeden Abend Studenten, Künstler und Musiker treffen. Oder der liebevoll eingerichtete Atelier-Laden „Mabellevie“ in der Togostraße 6. Die Schwestern Elisa und Josephine Brückner verkaufen die im angrenzenden Atelier von Elisa restaurierten Möbel und schaffen fantasievolle Unikate, von der zum Kunstwerk umfunktionierten Fliese bis zum individuell gefertigten Kinderstuhl. Auch die beiden lieben die unaufgeregte Stimmung im Kiez: „Wirklich Schönes und Einzigartiges kann nur da verwirklicht werden, wo es noch den Freiraum dafür gibt.“

Alles, was man braucht

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Das Afrikanische Viertel ist noch übersichtlicher als andere Kieze in Berlin – im positiven Sinn. „In Friedrichshain weiß man ja oft gar nicht, wohin man gucken soll, so groß ist dort das Angebot“, so Elisa und Josephine. Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht über jeden neuen Laden, jedes aufregende Konzept, das es in den Wedding verschlägt, freuen. Ganz im Gegenteil, erst im April hat sich zum Beispiel im Nachbarraum der Künstler Ivooo einquartiert, der hier ein klassisches Fotostudio mit der Präsentation seiner Kunstwerke, wechselnder Ausstellungen und handgemachter Seifen kombiniert. Am Wochenende bieten alle drei übrigens ihre Produkte auf dem immer bekannter werdenden, einmal im Monat stattfindenden Weddingmarkt an. 

Weiter geht’s, rechts rein in die Kameruner Straße. Hier sind viele Läden, die afrikanische Produkte anbieten, einer der bekanntesten unter ihnen ist der „Africa Market – Monsieur Ebeny“. Sein Besitzer, der gebürtige Kameruner Badake Ebeny, verkauft hier seit vielen Jahren Lebensmittel  aus seinem Heimatland. Darunter Koch-Bananen, Yams-Wurzeln und Fufu-Pulver. Dazu kommen viele kleine afrikanische Restaurants im Viertel. So auch das „Bantou Village“, nur einige Häuser entfernt vom „Africa Market“, wo ausschließlich afrikanische Spezialitäten serviert werden. 

Wer von Kultur und Kulinarik erstmal genug hat, erreicht in wenigen Gehminuten die grüne Lunge des Viertels, den Volkspark Rehberge. Auch das ist das Afrikanische Viertel: Selbst zu später Stunde zieht es nach Ruhe suchende Berliner in den Park. Jogger drehen hier neben den stets belegten Tennisplätzen ihre Runden, auf den Wiesen genießen Jung und Alt die letzten Sonnenstrahlen und vom Fußballplatz ertönen die bekannten Anfeuerungsrufe. 

Vielseitige Oase Rehberge

Neben Sportanlagen, darunter auch der Trainingsplatz des BSC Rehberge, beherbergt der rund 70 Hektar große Park aber auch noch den Plötzensee, an dessen Strandbad es im Sommer nicht nur zahlreiche Weddinger zieht. 

Außerdem kommen Cineasten auf ihre Kosten. Biegt man von der Petersallee links in den Volkspark, erreicht man schnell das Freiluftkino Rehberge, in der die aktuelle Saison im vollen Gange ist. Auf knapp 1.500 Plätzen können Besucher hier unter dem Sternenhimmel Filme sehen. Irgendwann geht es dann zurück in Richtung Müllerstraße, zurück in das bekannte, trubelige Weddinger Alltagsgeschehen. 

Text: Katja Reichgardt

Infos: Eine gute Gelegenheit, den Kiez und seine Bewohner kennenzulernen, bietet das Kulturfestival „2 Tage Wedding“ (siehe Seite 12).

Der nächste Weddingmarkt ist am 11.9., 11–18 Uhr, Am Nordufer, zwischen Torf- und Samoastraße, Eintritt frei.