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Auf die Plätze, Pferdisch, Los!

Zwei Redakteure. Zwei Meinungen. Kein Wort zueinander – erst nach Fertigstellung der Artikel, wissen sie, was der jeweils andere über das Großevent des Monats, dem Pferderennen in Dresden Seidnitz, wirklich gedacht hat. Und ihr jetzt auch!

Zwei Redakteure. Zwei Meinungen. Kein Wort zueinander – erst nach Fertigstellung der Artikel, wissen sie, was der jeweils andere über das Großevent des Monats, dem Pferderennen in Dresden Seidnitz, wirklich gedacht hat. Und ihr jetzt auch! 

Ihre Sicht

Pferderennen: Eine antiquierte Veranstaltung organisiert für das reiche Establishment. Hier treffen sich Lacoste und Tommy Hilfiger, um über Marco Polo zu lästern oder den derzeitigen Aktienkurs bei einem Glas Champagner zu diskutieren.

Das ist der Eindruck, den die ersten „Normalos“ für ein paar Mark, 1990 aus dem Film Pretty Woman mitnehmen konnten. Und ich – auf dem Weg zur Pferderennbahn in Dresden Seidnitz. Und was gibt es Besseres, als mit einem Haufen Klischees in der Clutch zu einem Großevent zu gehen, um diese bei der Taschenkontrolle mit einem peinlich berührten „Upsi“ wieder abzugeben? Genau: Sie gegen ein Radler und Glückspiel einzutauschen. Denn ob Bourgeoisie oder Proletariat: Jeder weiß um die gute Mischung alkoholischer Getränke und Wettverluste.

Planlos in der Prärie?!

Nachdem wir uns also in der Programmübersicht schlau gemacht haben, wie die Einsätze funktionieren, ist das erste Geld auch schon aufs beste Pferd gesetzt. Denken wir. Noch in der Schlange der Wettannahmen höre ich mich bei den umstehenden Wettenden um. Aha. Auf die 2 setzen und die 4 total vergessen. Ok, ok. So weit, so gut. Achso, Sie sind auch zum ersten Mal da. Danke, dass Sie mir das nach dem Einsatz meiner Wette sagen. Tatsächlich kommen hier allerhand alte Hasen, wie auch komplette Neulinge zuammen. Hoffnungsvoll mag ich an dieser Stelle noch an Anfängerglück glauben. Es heißt ja auch, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Dieses „zuletzt“ ist nicht zuletzt heute. Dennoch fällt es hier wirklich schwer, sich nicht von der guten Stimmung mitreißen zu lassen, Leute jeden Alters sind vertreten – mal casual, mal schick; es ist für Kinderattraktionen, Essen und Getränke gesorgt und das Pferderennen treibt den Puls in Amplituden von himmelhochjauchzend zu zu Tode betrübt hin und her und bringt damit den nötigen Nervenkitzel mit.

Der Ablauf

 Über den Tag verteilt gibt es genügend Möglichkeiten, sein letztes Hemd zu verwetten. Es starten alle Stunde neue Kandidaten. Die Übersicht zu den Einsätzen wirkt auf den Leihen anfangs etwas verwirrend, ist von dem netten Personal oder umstehenden Mitstreitern (wenn es nicht auch gerade ihr erster Besuch ist) schnell zu verstehen. Bei einem Mindesteinsatz von 50 Cent kann man auch gerne mal einen, zwei, drei … Versuche wagen. Das Pferderennen findet ein Mal im Monat statt und ist definitiv einen Tag wert, ihn vor Ort mit Freunden oder Familie zu verbringen – und sei es nur, um auf das falsche Pferd zu setzen. Die Hoffestatmosphäre lässt einen bei gutem Wetter leicht über den ein oder anderen Verlust hinwegsehen – und wer anders als wir, mehr Glück im Spiel, als in der Liebe hat, ist hier definitiv besser aufgehoben, als hinter milchigen Glasscheiben vor dem Dattelautomat in dunkler Bahnhofsspelunke. Aber hey, vielleicht auch nur ein weiteres Klischee, von dem wir uns wie hier gern eines Besseren belehren lassen …

Seine Sicht

Entgegen jeder Erwartung waren deutlich weniger Leute mit Hut und Zigarre unterwegs als gedacht. Und doch ist die Rennbahn in Betrieb ein Ort, an dem die verschiedensten Bevölkerungsgruppen aufeinander treffen. Die Reichen und Schönen führen an solch einem Samstag gern mal ihren Benz oder Porsche aus, Großfamilien rücken mit der ganzen Mannschaft an, während manch ein Trunkenbold direkt von der letzten Fete zum Rennen tigert. Was auffällt: auf dem Gelände herrscht dauerhafte Fluktuation. Menschen kommen und gehen und vor allem die Wiese vor der Rennbahn füllt und leert sich mit Beginn und Ende eines Rennens. Anders im Innenhof: hier herrscht ein buntes Treiben, das an einen Jahrmarkt erinnert.

Bier statt Bonus

Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass fast ebenso viele Fress- wie Wettbuden vor Ort sind. Es gehört wohl zur Eigenheit im Pferderennen-Kult, dass wohin man auch sieht, das nächste Wettbüro nie weit entfernt ist. Damit wird aus dem Rennerlebnis ein Kreislauf aus Wetten, Bier, Rennen (fiebern), Wetten, Essen, Rennen, Wetten, Bier, Rennen. Die wiederkehrende Wahrscheinlichkeit, auf das richtige Pferd zu setzen, lässt immer wieder hoffen und führt die Belegschaft durch die Bank zurück an die Wettbüros. Für den Gewinn lohnt sich auch die Wartezeit in der Schlange vor den Wettbüros. Ob man die Wahrscheinlichkeitsrechnung verstanden hat oder nicht und egal, wie gut die Aussichten auf Gewinn sind: allein die Aussicht auf Gewinn reicht schon, um reinen Gewissens ein paar Scheine liegen zu lassen. Könnte ja doch der beste Gaul sein, den man gerade im Visier hat. Und wenn das stimmt, gibt’s ne dicke Rendite, wenn nicht, ein großes Bier.Die anschließenden Siegerehrungen der Gewinnerpferde interessieren sonderlich wenige der angereisten Sportsfreunde. Dabei wundert mich auch nicht, dass das Rennen mehr als Wettgaudi denn als eine Leistungsschau der schnellsten Pferde und der besten Jockeys (Reiter) verstanden wird. Nun gut, es muss ja nicht immer um den großen Sport gehen … Vielleicht geht es ja um die ausgefallen-kreativen Namen der Pferde? Oder vielleicht doch eher einfach nur um die Kohle … War das nicht bei jedem Sport so? Oder nur bei dem Sport, bei dem viele Leute zuschauen?

Wie dem auch sei: Wetten, Spielen und Bier trinken sind sowieso klassische Beschäftigungen fürs Wochenende, also warum nicht mal auf ‘ner Rennbahn bei Sonnenschein anstatt in der Spielothek im Automatenlicht? Ein bisschen Festivalfeeling zwischen all den Imbissbuden kommt auch noch auf, schlecht ist es hier auf keinen Fall! Und ob man nun voll und mit leeren Taschen oder heiter und mit vollen Taschen oder gar ohne Tasche nach Hause geht, ist dann auch egal.

Infos: Tagesticket: 8€ / ermäß. 6€ | Oskar Röder Straße 1 | 01237 Dresden | Nächste Termine 2018: 14. Juli, 2. September, 29. September, 20. Oktober, 21. November

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