Interview: Phillip Boa

Er ist sowas wie das Enfant Terrible der Musikindustrie, trotzdem ist er seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich im Musikbiz, stand mit Größen wie David Bowie, Nick Cave und Bob Dylan auf der Bühne. Am 23. März machen der Wahl-Londoner und seine Band „The Voodoo Club“ in Dresden Station. Vorab hat er mit uns über Lieblingsbücher, verbrannte Erde bei deutschen Plattenfirmen und den ständigen Drang nach Selbstoptimierung geschnackt.

Er ist sowas wie das Enfant Terrible der Musikindustrie, trotzdem ist er seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich im Musikbiz, stand mit Größen wie David Bowie, Nick Cave und Bob Dylan auf der Bühne. Am 23. März machen der Wahl-Londoner und seine Band „The Voodoo Club“ in Dresden Station. Vorab hat er mit uns über Lieblingsbücher, verbrannte Erde bei deutschen Plattenfirmen und den ständigen Drang nach Selbstoptimierung geschnackt.

Du hast lange auf Malta gelebt, pendelst gerade zwischen Dortmund und London. Was kommt als nächstes?

Das ist gerade noch aktuell, ich bin aber noch nicht sicher, ob ich nach dem harten Brexit da dann noch bleibe.

Wie fühlt sich das gerade an, dort zu leben?

Ich bin überzeugter Europäer und finde das absolut falsch, was da gerade passiert. Die Idee, Großbritannien aus der EU rauszuisolieren finde ich einfach grundsätzlich falsch. Diese Wahlen sind aus meiner Sicht auch nie im Leben korrekt abgelaufen, es heißt ja immer, das waren knapp über 50 Prozent. Die jüngere Generation ist aber eigentlich komplett gegen den Brexit. Alle, die ich so kenne, ebenfalls, auch alle Künstler. Die sind aber gar nicht alle zur Wahl gegangen und zum Teil wurden da auch einfach falsche Fakten kolportiert. Und jetzt geht es nicht mehr zurück. Das ist so eine typische Sturheit, die auf der einen Seite auch bewundernswert ist, eine Sache dann so konsequent auch durchzuziehen. Ich bin ja ein bisschen auch so. Aber sich gegen eine vernetzte, globalisierte Welt auszusprechen und damit eine Entscheidung zu treffen, die man nicht mehr zurücknehmen kann, das halte ich für ziemlich naiv.

Zwischen Dortmund und London könnte der Unterschied kaum größer sein. Was ist für dich das Beste oder auch am wenigsten Gute an beiden Städten?

Das steht mir nicht zu, darüber was zu sagen. Dortmund ist meine Heimatstadt. Das ist meine Homebase, unser Headquarter, wie wir in der Band sagen. Daran wird sich auch nie was ändern. Für mich als Künstler ist es aber auch wichtig, diesen Ort zu verlassen. Ich brauche die Vogelperspektive, ich möchte viel verreisen und die Welt sehen. Deswegen suche ich mir immer auch andere Lebensmittelpunkte, wo ich dann phasenweise wohne.

„Heute wird einfach jeder Scheiß zensiert“

Ist Freiheit nicht auch das Thema, das sich als der rote Faden so ein bisschen durch dein aktuelles Album zieht? Was bedeutet Freiheit für dich?

Das habe ich so tatsächlich nie gesagt, wird mir aber immer irgendwie mit angedichtet. Eigentlich ist das eine Interpretation, die von Journalisten gemacht wurde, nicht von mir. Ich kann das auch nicht völlig abstreiten, aber es war nicht unbedingt meine Intention, dass das jetzt das zentrale Thema ist. So denke ich nicht über meine Songs nach. Ich schreib die einfach und jeder füllt sich das und kann das interpretieren, wie er möchte. Vielleicht ist das auch eher so das Ding, zumindest unterschwellig. Eigentlich geht es vor allem um „Earthly Powers“, das ist ein berühmtes Buch von dem britischen Autor Anthony Burgess, und eins meiner Lieblingsbücher. In Deutschland ist das als „Fürst der Phantome“ bekannt. Der Schriftsteller hat wie ich lange auf Malta gelebt und ist dort sehr zensiert worden. Das war in den Sechzigern, also vor meiner Zeit, aber er hatte da ein Haus gekauft, weil er nach Malta auswandern wollte und wurde da nur zensiert. Sein Haus ist dann über 35 Jahre hinweg konfisziert worden und vergammelt. Wenn ich jetzt dieses Buch lese, dessen Story über etwa ein Jahrhundert geht, dann fühle ich, dass diese Zeit des Zensierens wieder kommt. Dass die Menschen sich gegenseitig so fürchterlich beobachten und auf jeden kleinen Fehler gucken. Das ist echt schwierig gerade, ich bin ja kein Philiosoph und kann mich in den Songs irgendwie besser ausdrücken (lacht). Aber ich fühle da schon so einen Verlust von Frieden und Freiheit. Meine Haltung war und ist immer, möglichst viel zu tun, was ich will. Das geht natürlich nicht immer, das ist mit dem Grundgesetz auch nicht vereinbar, aber du weißt, was ich meine. In den 80ern und 90ern, also als ich jung war, konnte ich noch viel mehr machen, was ich wollte. Heute wird einfach jeder Scheiß zensiert, ohne dass das irgendwer bemerkt. Alles wird verboten. Ich als Nichtraucher finde es zum Beispiel auch schon völlig falsch, das Rauchen zu verbieten. Verbote sind in meinen Augen einfach der falsche Weg. Immer mehr wird verboten, wenn auch oft aus guten Gründen, aber die Welt wird dadurch immer enger. Ich bin aber auch kein Pessimist. Die Zeiten gerade sind auch unheimlich interessant, man tendiert natürlich schnell dazu, das gleich alles komplett schlecht zu reden. Aber ich seh da auch viel Gutes.

Was denn zum Beispiel?

Ich mag das Internet. Ich mag es, banale Dinge zu tun. Als Filmfan jederzeit alle meine Filme aus dem Netz holen zu können und die auf den Fernseher zu beamen. Ich lebe auch gerne in dieser Zeit, ich bin kein Nostalgiker, der eigentlich am liebsten wieder in die 80er zurück will (lacht). Das zentrale Thema des Albums ist glaube ich einfach der Konflikt. 

Du meinst das Spannungsfeld zwischen unbegrenzter Verfügbarkeit und gleichzeitig der Kehrseite davon. 

Der dunklen Seite, genau (lacht). Der Konflikt ist wirklich interessant. Auch die Figuren, die meistens fiktiv sind in meinen Songs, leben in dieser Welt, die teilweise irgendwo auch eine Parallelwelt ist. Ich bin auch viel beeinflusst von einem meiner Lieblingsschriftsteller, Thomas Pynchon, vor allem von seinen alten Büchern, aber auch den neueren Werken. Der lebt tatsächlich auch noch, die meisten Schriftsteller, die ich lese, sind schon gestorben (lacht). Er hat ein sehr modernes Buch geschrieben, „Bleeding Edge“, davon ist das ganze Album auf jeden Fall sehr beeinflusst.

Du liest viel! Bist du ein Einmal-Leser oder liest du Bücher auch mehrfach?

Ich lese auch Bücher mehrfach. „Earthly Powers“ allein habe ich mindestens fünf Mal gelesen und kann da immer noch eine Menge rausziehen und lernen. Es ist ein Stück Geschichte, aber auch ein bisschen absurd und wunderschön. Aber es ist vielleicht auch ein bisschen seltsam für die meisten Menschen.

Und wie ist es beim Lesen mit der Digitalisierung? Bist du eher der haptische Typ oder holst du auch schon mal den E-Reader raus?

Das habe ich mal versucht, aber nee. Ich mag immer noch lieber Bücher. Beim Lesen bin ich noch konservativer als bei der Musik, da darf es durchaus auch schon mal Spotify oder sowas sein. Aber beim Lesen bin ich nach einem kurzen Probierlauf wieder zum Physischen zurückgekehrt. Meine Bücher stehen auch alle irgendwo bei mir rum und überall steht eine kleine Widmung drin, von mir selbst, wann ich die gelesen habe, und da möchte ich erstmal bleiben.

„Ich bin aus so ziemlich jeder Plattenfirma in Deutschland rausgeflogen“

Du giltst als Jemand, der sein Ding durchzieht und sich von Vorschriften der Musikindustrie gänzlich unbeeindruckt zeigt. Was muss man haben, um sich so eine Haltung leisten zu können? Kann man sich das als Newcomer heute noch erlauben?

Das ist eine wirklich sehr interessante Frage. Ich glaube, dass das immernoch geht. Auf jeden Fall. Wenn man das richtig macht, dann kann man auch über die Live-Geschichten und so schon noch sehr gut davon leben, Spotify hin oder her. Die meisten Bands oder Interpreten machen aus meiner Sicht den Fehler, sich von Plattenfirmen diktieren zu lassen, was sie zu tun haben. Da wird dann so ganz dezent vorgeschrieben, welchen Produzenten man zu nehmen hat oder es kommen so Ansagen wie: „Du kannst das Album schreiben, aber für die Singles suchen wir dir bitte einen Texter, der die Texte schreibt“. Wenn das zu mir Jemand sagen würde, dann wär das für mich das letzte Wort, was ich jemals von denen gehört hätte. Und das habe ich auch früher immer so gehandhabt. Trotzdem habe ich irgendwie überlebt. Man muss das lernen, die Kunst des Nein-Sagens. Man muss an sich glauben und einfach weiter kämpfen. Plattenfirmen haben heute auch gar nicht mehr den Einfluss und die Bedeutung, die sie früher hatten, deswegen braucht man die gar nicht mehr unbedingt. Früher musste man sich da schon prosituieren, um sehr erfolgreich zu sein. Heute ist der Grad der Prostitution in meinen Augen um mindestens ein Zehnfaches höher. Ich glaube nicht, dass ich in der heutigen Zeit noch Musiker sein wollte oder könnte, wenn ich heute noch ganz am Anfang stünde. Oft sind aber die Künstler auch selbst Schuld weil die sich so sehr von der Musikindustrie beeinflussen lassen. Ich hab mir das damals immer angehört, was die zu sagen hatten und sobald ich da raus war, hatte ich das direkt wieder vergessen, weil es mich gar nicht interessiert hat. Ich war da so ein bisschen der Robin Hood, ich hab das Geld gerne genommen aber damit dann am Ende gemacht was ich wollte. Deswegen bin ich auch so ziemlich aus jeder Plattenfirma, die es in Deutschland gibt, rausgeflogen (lacht).

Ist diese Prostitution, von der du sprichst, generell ein Problem unserer Zeit, die von Selbstdarstellung und -optimierung geprägt ist, auch außerhalb des Musikgeschäfts?

Absolut. Ich würde sogar sagen, dass die relativ intelligente Musikszene, also die, die auch Kunst machen wollen und nicht nur Geld verdienen, die ist immer ein paar Schritte schneller als die Gesellschaft und beeinflusst sie. Wenn ich etwa an Mode denke und Film bis hin zu politischen Entscheidungen, da hat immer – und ist heute vielleicht nicht mehr so- die Musik vorgegeben, was cool war und dann später in den Mainstream einfloss. Wenn ich heute sehe, wie man sich prostituieren muss, um als Musiker erfolgreich zu sein, dann ist das absolut symbolhaft für unsere Gesellschaft.

Im März spielst du mit dem Voodooclub in Dresden – ich habe in einem Interview gelesen, dass du ein Erinnerungssammler bist. Hast du eine für Dresden?

Keine konkrete. Ich kann aber sagen, dass ich jedes Jahr wieder mitbekomme, wie positiv Städte wie Dresden oder Leipzig -ich nenne da jetzt bewusst beide, weil ich das sehr subjektiv so empfunden habe- sich entwickelt haben. Dresden hat ein bisschen zu Unrecht ein schlechtes Image hier und da. Das kann ich so gar nicht bestätigen. Ich nehme von überall was mit, vor allem in meinem Gedächtnisspeicher.

Termine: 23. März 2019//Reithalle Straße E

 

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