Sven Regener (Element of Crime) im Interview

Endlich! Am 30. August spielen Element of Crime wieder in der Freilichtbühne Junge Garde auf – wir haben vorab mit Frontmann und Autor Sven Regener über Kunstfreiheit, den Echo und Bücher geschnackt.

Endlich! Am 30. August spielen Element of Crime wieder in der Freilichtbühne Junge Garde auf – wir haben vorab mit Frontmann und Autor Sven Regener über Kunstfreiheit, den Echo und Bücher geschnackt.

Als „Herr Lehmann“ 2001 erschienen ist, war ich 19 und irgendwie enttäuscht, weil ich das unbedingt lesen wollte und dann so gar nichts damit anfangen konnte. Nach einem neuen Versuch, ein paar Jahre später, bin ich nun Fan und lese sämtliche Bücher der Reihe in loser Folge alle paar Jahre immer wieder. Bist du selbst ein „Einmal-Leser“ oder gibt es Bücher, die dich über lange Zeit begleiten? Welche sind das und warum?

Meistens bin ich natürlich auch ein Einmal-Leser, aber manche Bücher sind so, dass man immer wieder etwas entdecken kann, dass man also nach jedem Lesen denkt, da sei noch mehr. Kem Nunns „Wellenjagd” ist so ein Buch, oder „Morbus Fonticuli” von Frank Schulz. Und die Romane und Kurzgeschichten von Franz Kafka natürlich. Das ist dann wie mit manchen Liedern, die man immer wieder hört.

Was unterscheidet den Autor Sven Regener vom Musiker Sven Regener?

Der eine ist allein, der andere Teil einer Band. Das ist schon mal ein Riesenunterschied. Ansonsten ist in der Musik natürlich alles anders als in der Literatur. Und umgekehrt. Man wüsste gar nicht, wo man anfangen sollte, wollte man da ins Detail gehen.

Du hast mal gesagt, dir sei völlig egal, was Leute in deine Texte hineininterpretieren, sobald sie veröffentlicht und damit quasi freigelassen sind. Trotzdem gibt es irgendwie eine Tendenz (nicht speziell bei euch, allgemein), dass vor allem Texte immer gern auf ihren Wahrheitsgehalt hinterfragt werden und angenommen wird, das und jenes müsse zumindest zur Hälfte tatsächlich so passiert sein. Ist es nicht total nervig, wenn da auf Krampf irgendwelche konkreten Wirklichkeitsbezüge gesucht werden? Was denkst du, macht es Leuten so schwer zu akzeptieren, dass manche Dinge nun mal nicht so passiert, sondern schlicht ausgedacht sind?

Das ist tatsächlich ein seltsames Spannungsfeld. Weil natürlich auch das Ausgedachte letzten Endes auf den Erfahrungen, den Phantasien, ganz allgemein der Vorstellungskraft eines konkreten Menschen, des Autors oder Songschreibers, basiert. Insofern ist der Verdacht, dass da etwas Realistisches und Autobiographisches noch im Allersurrealistischsten schlummert, nicht von der Hand zu weisen. Wir kennen das aus unseren Träumen: Da ist zwar ein Unterschied zwischen Trauminhalt und Traumbedeutung, aber eben auch ein Zusammenhang. Insofern kann das zwar nervig sein, wenn die Leute immer auch auf den Urheber eines Werkes starren und Zusammenhänge zwischen seinem Leben und dem Werk herstellen wollen, aber verurteilen sollte man das auch nicht. Es gehört dazu. Die Leute wollen ja gar nichts so sehr aus der Kunst auf das Leben schließen, sondern aus dem Leben auf die Kunst, das heißt, sie suchen eigentlich dabei die Kunstfigur in der richtigen Welt, das hat ja auch eine spannende Seite!

Du bist ein Meister der Schachtelsätze – ob als Gedankengang von deiner Figur Frank Lehmann oder in Musikstücken wie „Am Ende denk ich immer nur an dich“ kriegt man schnell das Gefühl, in so einen Sog zu geraten, verliert aber trotzdem nicht den Faden, weil der sich eben doch sehr rot und deutlich durch alles durchzieht. Ist das einfach nur ein Stilmittel, das du magst oder gibst du einem Punkt generell mehr Zeit, bevor du ihn irgendwo hinsetzt?

Ich glaube, dass die meisten Gedanken und Gefühle etwas komplizierter sind, als man denkt, und dass es sich dabei meist um Ketten von Gedanken, die sich gegenseitig hervorbringen, handelt, und bei den Gefühlen oft um eine seltsame Verklumpung widerstreitender Elemente. Manchmal ist es gut, kurz und knapp etwas zu umreißen, man sollte sich aber auch nicht scheuen, den ganzen langen Weg zu gehen, die große Hafenrundfahrt anzutreten gewissermaßen. Das lohnt sich und macht Spaß, sowohl in der Literatur wie auch in den Songtexten.

Ist es eigentlich anstrengender, mit EoC ein Konzert zu spielen oder 90 Minuten alleine eine Lesung zu rocken?

Ich finde beides nicht wirklich anstrengend, weil es Spaß macht. Aber die körperliche Erschöpfung hinterher ist ungefähr gleich. 

Wer heute künstlerisch was reißen will, geht erst mal nach Berlin. In „Wiener Straße“ inszenierst du Berlin als große Farce, nichts ist so wie es zunächst aussieht. Die berühmte Berliner Luft scheint hier vor allem eine heiße zu sein. Ist das so?

Nun ja, Wiener Straße spielt Anfang der 80er Jahre in Westberlin, Mauerstadt und so weiter, das war schon noch eine ganz eigene Welt und sagt über das heutige Berlin nicht sehr viel aus. Allerdings hatte Westberlin damals ja auch schon diesen Hype, Punkrock aus Westberlin war weltweit erfolgreich und das ganze Mauerstadt-Ding wurde ja bis zum Erbrechen ausgereizt. Es war aber wirklich auch sehr seltsam, das macht es so reizvoll, davon zu erzählen.

Du hast dich mal sehr deutlich von der Idee distanziert, Künstler als „Meinungsschleudern“ zu missbrauchen. Im Zuge des Echo-Dramas um Farid Bang und Kollegah hast du dich dann aber doch sehr klar positioniert, hast die Veranstaltung eher verlassen und im Nachgang deutlich gemacht, dass du das ganze Ding jetzt für „versaut“ hältst. Wann kommst du selber eben doch nicht dran vorbei, dich in deiner Rolle als Künstler mit einer klaren Meinung zu positionieren?

Nun bin ich ja beim Echo eher rausgeschlichen als daraus ein großes Ding zu machen, ich habe ja nicht unter Protest den Saal verlassen. Warum auch?! Es ist ja letztendlich auch nur Pipikram gewesen. Ich habe hinterher das Interview gegeben, weil ich ein paar Dinge geraderücken wollte, aber am Ende hat doch wieder Campino alles machen müssen. Das ist halt der Fluch, wenn man solche Preise bekommt, da muss man dann ran. Ich bin ja immer nur Zaungast und kann mich jederzeit in die Büsche schlagen. 

Im Zuge dieser Debatte haben die beiden Ausgezeichneten natürlich auch nochmal ordentlich Aufmerksamkeit bekommen und es wurde viel bagatellisiert, teilweise auch mit Kunstfreiheit argumentiert. So traurig das alles für diesen einst so wichtigen Musikpreis ist, wie wichtig oder hilfreich ist andererseits eine öffentliche Diskussion um die Wirkung von Musiktexten mit problematischen Inhalten? Ich könnte mir vorstellen, dass viele Eltern gar nicht wissen, was ihre Kids so hören und auch denen selbst gar nicht immer bewusst ist, was sie da konkret eigentlich abfeiern. 

Man sollte sich halt immer dafür interessieren und damit beschäftigen, was die eigenen Kinder so hören und was sie bewegt. Und das Argument der Kunstfreiheit sollte man auch nicht leichtfertig vom Tisch wischen. Und was die öffentliche Debatte betrifft: Um daran teilnehmen zu können, müsste man sich den ganzen Gangster-Rap-Kram dann erst mal gründlich anhören. Wer hat Lust darauf? Ich nicht. Ich bin kein Kunde für den Muckibuden-, Gewalt- und Sexkitsch, der da fabriziert wird. Aber wenn die eigenen Kinder auf sowas abfahren, dann bleibt einem nichts anderes übrig, dann muss man die seelischen Gummistiefel anziehen und da runtersteigen, das ist nunmal so. Andererseits: Kollegah und Farid Bang haben neulich Auschwitz besucht und da einen Kranz niedergelegt. Sollte man auch erwähnen. Das hätte ich ihnen nicht zugetraut. Man kann also immer noch was dazulernen.

In Dresden spielt ihr wieder in der Jungen Garde. Nach über 30 Jahren EoC und vielen Konzerten in Dresden hast du doch bestimmt eine persönliche Geschichte, die dich mit der Stadt verbindet und die du uns erzählen kannst.

Kurz nach der Wende waren wir das erste Mal da und spielten in einem Zelt zusammen mit Feeling B. Da wohnten wir dann in der Prager Straße in einem der Interhotels und unten im Restaurant spielte eine ungarische Band sehr wilde, seltsame Musik. Das ist jetzt ohne Pointe, aber ich denke gerne daran zurück.

ELEMENT OF CRIME LIVE am 30. August, Freilichtbühne Junge Garde, Karten ca. 45 €

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