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„Wir sind fünf unglaubliche Dickköpfe“ – Die Band Claire im Interview

Die Elektropop-Band Claire haben ihr zweites Album „Tides“ vorgelegt. Wir sprachen mit Frontfrau Josie über den Erwartungsdrucks zur zweiten Platte.

Nachdem es längere Zeit still um sie war, meldete sich die Elektropop-Band Claire Anfang April mit ihrem zweiten Album „Tides“ zurück. Vor ihrem Tour-Start sprachen wir mit Frontfrau Josie über Unveränderliches, die Wahl des richtigen Aufputschmittels und Urlaub, der keiner ist.

 

In den letzten Jahren war es ruhiger um euch. Wie ist es, jetzt wieder unterwegs zu sein?

Sehr schön! Wir haben lange am Album gearbeitet und wenn es soweit ist, dass man die Arbeit von eineinhalb Jahren endlich anderen zeigen kann, tut das doch sehr gut. Wobei ich sagen muss: Diese letzten Wochen davor sind furchtbar. Die Warterei frisst einen auf, weil man natürlich möchte, dass die Leute endlich zu hören bekommen, woran man so hart gearbeitet hat – und ganz besonders, wenn man so lange nichts von sich hat hören lassen, wie wir. Deswegen spielt da gerade auch ganz viel Nervosität mit rein, denn wir klingen definitiv auch ein bisschen anders als auf dem ersten Album. Ich bin einfach nur gespannt und froh, dass jetzt wieder was passiert, denn ohne Austausch mit Menschen macht Musikmachen nur halb so viel Spaß. 

Das zweite Album soll ja besonders schwierig sein. Man ist weniger losgelöst von allem, Erwartungsdruck kommt dazu … Wie war das für euch? 

Tatsächlich habe ich auch schon von anderen Künstlern mitbekommen, dass das zweite Album unglaublich schwierig ist … Ich dachte, da sei nichts dran, davon könne man sich bestimmt lösen, aber … (lacht) Ganz ehrlich, wir hatten unglaublichen Druck, den wir uns einfach selber gemacht haben. Es war schwer, das hinter sich zu lassen. Aber letzten Endes macht man sich den Druck wirklich nur selber. Das Label hat keinen Stress gemacht und auch das Management war entspannt. Es hieß, wir freuen uns einfach, wenn endlich mal wieder was Neues kommt. Ich glaube, als uns bewusst wurde, dass wir aufhören müssen, selber solche Erwartungshaltungen zu haben, wie dieses Album werden muss, ist dann auch der Knoten geplatzt.

Was lief denn bei „Tides“ gänzlich anders als beim Erstlingswerk? Zur letzten Albumproduktion habe ich etwas von Matratzen im Studio und Schichtdiensten gelesen … Ließ sich das diesmal vermeiden? 

Daran hat sich nicht geändert (lacht). Für die letzten Wochen sind wir – auch weil es in München recht schwierig und teuer ist, ein Studio zu bekommen – aufs Land gezogen und gegen Ende des Albums war es dann auch so, dass man nicht nachts noch eine Stunde bis nach München fahren wollte. Also haben wir uns in einem kleinen Bauernhof eingemietet und einfach ein wenig Band„urlaub“ gemacht. Es war definitiv kein Urlaub, aber es war sehr schön dort … Also diese Phase zum Ende des Albums, in der man nicht mehr aus dem Studio rauskommt, hat sich tatsächlich nicht geändert. Es gibt immer Kleinigkeiten, die man ändern möchte und natürlich hat man einen ganz anderen Perfektionismus. Auch wenn es sonst kaum jemandem mehr auffallen würde – man selbst kann dann auch nicht loslassen. Heißt also, die letzten paar Wochen sind immer mit Nachtsessions verbunden. 

„Wir waren jung, durften Musik machen,
Sturm und Drang-mäßig nach vorne preschen“

Und musikalisch?

Wir haben sehr viel mehr mit analogen, alten Synthesizern gearbeitet, was anders ist, weil das Ergebnis feststeht. Man spielt einmal etwas ein, nimmt es auf und kann es nicht mehr am Computer verändern. Das war auf jeden Fall etwas Neues. Es hat vieles schwerer gemacht, weil mal die Line vom Synthesizer nicht mit den Vocals passte und dann musste alles nochmal komplett neu aufgenommen werden … Das dauert natürlich auch immer seine Zeit, aber dafür macht es unglaublich viel Spaß und dadurch, dass diese alten Geräte auch Fehler haben, die man gar nicht nachkonstruieren kann, gibt es den Songs auch eine gewisse Wärme.

Und wir haben beim zweiten Album an manchen Songs auch mit einem externen Produzenten zusammengearbeitet. Beim ersten Album hatten wir tatsächlich Schiss davor. Da war die Angst einfach da, zu sehr verfälscht zu werden. Jetzt haben wir uns getraut, für ein paar Songs Dave McCracken mit ins Boot zu holen. Und das war definitiv auch eine ganz neue Erfahrung. Wir haben es mit unterschiedlichen Leuten probiert. Mit vielen hat es einfach nicht funktioniert. Es muss dann auch einfach Klicken, wenn man zusammen in einem Raum sitzt, sonst macht es keinen Sinn an Songs zu arbeiten … und bei Dave war das der Fall.

Hört man die Zusammenarbeit heraus oder hat er euren Sound übernommen?

Er hat sich tatsächlich super in den Claire-Sound eingefunden. Anstatt seine Persönlichkeit mit reinzubringen, hat er uns beim Musik machen zugeschaut und das aus uns rausgeholt, was wir selber noch nicht geschafft hatten. Oder uns Kniffe gezeigt, womit wir wiederum unsere Stärken neu gefunden haben. Für mich persönlich macht auch genau das einen guten Produzenten aus. Der nicht sich selbst verwirklicht, sondern den Vibe der Band aufgreift und dem Ganzen noch das gewisse Etwas mitgibt.

Was macht denn das Album aus, was war euch wichtig? 

Wir sind diesmal bei dem Album sehr viel intimer. Das erste Album beschreibt viel diese Euphorie, die wir zu diesem Zeitpunkt hatten – wir waren jung, durften Musik machen, Sturm-und-Drang-mäßig nach vorne preschen und alle Möglichkeiten wahrnehmen … Das ist auch schon wieder fünf Jahre her und ich glaube, wir sind alle älter und auch bedachter geworden. Textlich ist das jetzige Album melancholischer, nachdenklicher und behandelt auch viele Themen, die uns beschäftigt und über die wir privat gesprochen haben: Freunde, Beziehung, Dinge untereinander. 

Welche Songs sind deine Favoriten?

Ich mag die ruhigen Songs sehr gern: „No Way to Save It“ und „Come Close“… Aber auch „Friendly Fire“ mag ich unglaublich, weil er für mich stark diesen ganzen Albumprozess, den wir durchgemacht haben irgendwie auf den Punkt bringt: sich eben nicht von seinen eigenen Erwartungen zu sehr lenken zu lassen. Den haben wir damals geschrieben, als wir darüber gesprochen haben und es hat dieses Album stark begleitet.

Auf eurer Tour spielt ihr 13 Konzerte in 16 Tagen. Wie gedenkt ihr das durchzuhalten?

(lacht) Gute Frage. Also ich bin tatsächlich recht strikt mit mir auf Tour. Ich trinke keinen Alkohol, gehe früh schlafen und schaue, dass ich regelmäßig Sport mache. Man muss auf jeden Fall auf sich achten, kommt aber auch irgendwie in so einen Trott und ist unglaublich leistungsfähig, wenn man auf Tour geht. Da ist kein Platz für Müdigkeit und man vergisst auch, was für eine körperliche Belastung das eigentlich ist… 

Aber zeitig schlafen und Sport machen wird schwierig, denn eure Konzerte starten ja erst abends und dann geht es auch noch quer durch die Republik …

… Aber wir haben das unglaubliche Glück, dass wir mit einem Nightliner fahren dürfen. Das ist auf jeden Fall einer der Benefits, sonst wäre das definitiv nicht durchzuhalten. Und ich mach dann tatsächlich auch immer Yoga in den Locations, aber ansonsten … Gut, die Jungs können auf jeden Fall nicht ohne ihre Zigaretten, aber – ah, doch! Wie konnte ich das vergessen? Ohne Kaffee geht natürlich gar nichts! Und ich glaube, für die meisten ist auch noch das Feierabendbier recht wichtig. Ein gutes Feierabendbier, verteilt mit ungefähr fünfzehn Kaffees über den Tag und die Nummer läuft (lacht).

Mal so von Frau zu Frau, ständig mit vier Männern unterwegs zu sein, lässt doch nur zwei Möglichkeiten offen: romantische Beziehungen oder die Männer lassen sich allzu sehr gehen. Was ist es bei euch?

Ich würde wahrscheinlich eher sagen Letzteres (lacht). Wir sind eher wie vier Brüder und eine Schwester und da wird nicht mehr versucht, irgendwie Eindruck zu schinden. Was natürlich darin endet, dass, nunja … Alle körperlichen Geräusche kriege ich in jedem Fall mit. Aber eigentlich ist es voll okay. Ich werde auch immer noch ein bisschen als Prinzessin behandelt. Ich muss nicht so schwer mitschleppen, ich darf als erste in die Dusche und bekomme meine Zeit, um mich fertig zu machen … Obwohl wir schon fünf Jahre zusammen unterwegs sind, sind sie immer noch sehr Gentlemen-like. Ich bin aber auch froh, dass sie sich nicht immer zusammenreißen, denn wenn sie es nicht tun, passieren eh immer die witzigsten Geschichten. 

Musikalisch habt ihr euch gesucht und gefunden, habt aber auch nicht als Schülerband gemeinsam angefangen. Bemerkt ihr jetzt mit der Zeit Macken aneinander, die euch an eure Toleranzgrenze bringen oder seid ihr alle ganz umgänglich? 

Ich würde definitiv sagen, dass wir nicht umgänglich sind (lacht). Also grundsätzlich schon, aber wir sind fünf unglaubliche Dickköpfe. Und wenn man fünf Dickköpfe in eine Band steckt, gibt es untereinander immer Reibereien. Ich glaube, es ist einfach wie unter Geschwistern: Man streitet sich heftig, aber verträgt sich auch wieder. Das ist auch das Schöne. Wenn es keine Streitereien geben würde, fänd ich das fast ein wenig gruselig, weil dann wahrscheinlich nie jemand seine Meinung sagen würde … 

„Wir werden regelmäßig gefragt: 
und, wann zieht ihr jetzt endlich nach Berlin?“

Was denkst du, nervt die anderen bei dir? 

Definitiv mein Dickkopf (lacht). Und ich glaub der geht dann auch damit einher, dass ich Recht behalten will. Wobei die Jungs da wirklich den Dreh raushaben: ich will zwar Recht haben, seh‘ aber schon immer ein, wenn ich doch im Unrecht war. Aber dafür brauch ich dann so ein oder zwei Tage. Die Jungs reiten nicht drauf rum und dann kann ich auch leichter zugeben, dass ich danebengelegen habe. 

Ihr kommt ja musikalisch aus ganz unterschiedlichen Ecken und hört privat auch verschiedene Genres. Geht es beim Streiten um Musikalisches oder eher um die Wandfarbe im Probenraum? 

Oft um Musikalisches. Das sind dann auch die Streitereien, die vermutlich am schwierigsten zu klären sind, weil sie oft auf Geschmack beruhen. Aber man findet dann doch immer eine Einigung. Wir sind auch eine ungerade Zahl, was gut ist. Heißt also wir klären das dann meistens demokratisch und es wird abgestimmt. 

Also finden sich auf dem Album auch musikalische Kompromisse?

Also bei fünf Leuten hat sicher jeder einen Song auf dem Album, den er gern anders gestaltet hätte. Aber letztlich macht man so ein Album zusammen und jeder hat seine Facetten und Persönlichkeit da untergebracht und dann gefällt etwas dem einen mehr, als dem anderen. Ich denke das ist ganz normal. Gerade weil bei uns keiner ganz allein entscheidet. Aber wenn man als Band ein Album macht, bei dem am Ende alle stolz darauf sind, dann hat man genau die perfekte Mischung gefunden. 

Mittlerweile ist es ja so, dass man als junge hippe Band fast keine andere Wahl mehr hat, als nach Berlin zu ziehen. Ihr seid Münchner und der Stadt treu geblieben. Bereut ihr das?

Wir werden regelmäßig gefragt: und wann zieht ihr jetzt endlich nach Berlin? Aber wir haben überhaupt keine Lust dazu. Wenn ich in einer Stadt wie Berlin wäre, hätte ich das Gefühl auf jeder Hochzeit tanzen zu müssen und das würde mich fertigmachen. Die Ruhe und Aufgeräumtheit von München tut so einem Wirrkopf manchmal ganz gut. München ist auch einfach unser Zuhause und solang wir es schaffen, hier weiterhin Musik zu machen, werden wir hier auch nicht weggehen, glaub ich. Es ist einfach viel zu sehr Heimat und wir fünf lieben es. Wir haben es auch mal ein paar Monate in Berlin probiert, aber die äußeren Einflüsse waren so stark, man trifft immer irgendwen und hört irgendwie auf, sich auf sich selbst und die eigene Musik zu konzentrieren. Und das brauchen wir eigentlich unglaublich stark. Was wir alle nachvollziehen können, sind definitiv diese ganzen kreativen Einflüsse und wir sind auch regelmäßig in Berlin und es ist immer geil das alles aufzusaugen. 

Wo siehst du denn die deutsche Popkultur gerade?  

Ich finde das entwickelt sich in ganz unterschiedliche Richtungen. Einmal gibt’s dieses fast schon in Schlager tendierende – nicht so meins. Vieles, was aber gerade so sehr stark an der Grenze ist, hör ich wiederum sehr gern. Dann gibt es viel, was sehr experimentell ist, sehr neu und frisch. Was ich super interessant finde. Es tut sich gerade unglaublich viel und es gibt viele Künstler, die auch die deutsche Sprache einfach neu aufleben lassen. Was wiederrum super schön ist, weil ich es wirklich schwer finde, deutschsprachige Musik zu machen und eben nicht in dieses Kitschige und sehr Direkte zu verfallen. Und stattdessen eben eine Welt zu erschaffen, die irgendwie leicht mystisch ist oder bei der man nicht genau weiß, was die Person gerade meint, sodass noch Raum zur freien Interpretation ist. 

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