(Un)Sinn des Lebens 50 Jahre Kabarett academixer Leipzig

In der DDR erfreute sich das Ensemble aus Studenten wachsender Popularität. Heute blicken die academixer auf stolze 2,8 Millionen Besucher zurück.

© Lucas Böhme

Nennt man einem Leipziger nur das Stichwort „Kabarett“, dürfte die erste Assoziation nicht lange auf sich warten lassen. Die Rede ist natürlich von den „academixern“ einst gestartet als Studentenprojekt, bilden sie 50 Jahre später eine feste Säule der lokalen Kulturlandschaft und darüber hinaus. Wie schafften sie das?

Am Anfang war der Kartoffelacker. Oder die Buchhandlung? So nämlich lauten die unterschiedlichen Gründungsmythen über den Keim des Leipziger Kabaretts „academixer“: Jürgen Hart, späterer Kabarettist und Autor, sei als Student bei einem Ernteeinsatz südlich von Berlin 1965 angesprochen worden, ob er ein Kabarett übernehmen wolle, so behaupten die einen. Nein, es war vor einem Buchladen am Leipziger Peterssteinweg, erinnerte Hart selbst sich dagegen in der Rückschau.

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Was hier auch immer zutrifft: Fest steht, dass sich in der Folgezeit mit Jürgen Hart, Bernd-Lutz Lange, Gunter Böhnke und Christian Becher ein Ensemble aus Studenten an der damaligen Karl-Marx-Universität Leipzig zusammenfand, um das sich das Interesse am Kabarett als einigendes Band legte – trotz aller Unterschiede der Charaktere und Studienrichtungen. „Sie haben sich auch gestritten, ohne Frage, aber sie waren sehr aufrichtig zueinander. Das war, glaube ich, deren großes Plus“, sagt Dörte-Solveig Waurick, Geschäftsführerin der „academixer“. Zudem stieß ein Kabarett in Zeiten des Realsozialismus à la DDR ohne die Vielzahl an heutigen Zerstreuungsangeboten fast zwangsläufig auf große Resonanz. Rasch war dem Quartett namens „academixer“ – eine klare Anspielung auf den akademischen Hintergrund seiner Mitglieder – ein großer Erfolg beschieden. Mit Katrin Bremer, der späteren Ehefrau Jürgen Harts, kam ab 1969 ein weiteres Mitglied in die Besetzung. Ein respektables Pensum von bis zu 25 Auftritten im Monat neben Beruf und Studium prägte die Anfangszeit, zumal Becher und Böhnke zunächst außerhalb Leipzigs arbeiteten, zu Proben und Auftritten per Bahn anreisten. DDR-weite Auftritte und Auszeichnungen brachten der Gruppe viel Popularität ein. 1977 erlangte sie den offiziellen Status eines Berufskabaretts.

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Auf clevere Weise gelang dem Ensemble die Gratwanderung zwischen ihrem Status als offizielle Institution in der Diktatur und Erwartungen des Publikums. „Die Stücke wurden stets abgenommen. Da kam jemand von der Stadt, hat sich das angeschaut. Und dann gab es immer eine Stelle, die war  überzogen und extra zum Streichen gedacht“, erklärt Geschäftsführerin Waurick den Hintergrund. Bewusst platzierte „Trojaner“ lenkten die Prüfer von anderen Passagen im Stück ab und so konnte subtile Kritik die staatliche Zensur überstehen. Die betraf in aller Regel weniger Großpolitisches als bekannte Misshelligkeiten des DDR-Alltags, Mängel, Versorgungsengpässe. Das Publikum, routiniert in der berühmten Wahrnehmung zwischen den Zeilen, verstand die Spitzen.

1980 konnten die „academixer“ nach Jahren der Wanderschaft eine feste Spielstätte im Keller des ehemaligen Messehauses „Dresdner Hof“ beziehen. Zudem bereicherten Gastauftritte anderer Schauspieler ihre Vorstellungen. Deren grundsätzliche Stilmischung aus Bodenständigkeit, volksnah gezeichneten Figuren und mit zuweilen eingebauter sächsischer Mundart blieb jedoch erhalten.

50 Jahre – das hieß zahllose Höhepunkte ebenso wie wirtschaftliche Engpässe und schmerzhafte Abschiede

Personelle Einschnitte zeichneten sich noch zu DDR-Zeiten ab, als Mitbegründer Bernd-Lutz Lange die „academixer“ 1988 nach 22 Jahren verließ, Kollege Böhnke folgte ihm 1990. Und auch der politisch-gesellschaftliche Umbruch sorgte für eine mächtige Zäsur. Entlassen aus 24 Jahren der Zügelung im Realsozialismus, musste man sich alsbald im freien Wettbewerb der Marktwirtschaft behaupten. Trotz städtischer Förderung ein schwieriger Akt, so Waurick: „Diese Existenzangst war schon ein Einschnitt.“ Schwierige Jahre folgten – Jahre, in denen die Reihen längst nicht immer gefüllt waren. Und auch programmatisch musste man sich neu orientieren, hin zur Politik, aber auch Probleme des alltäglichen Lebens rückten in den Vordergrund. Neue Gesichter im Ensemble kamen, wie etwa Anke Geißler 1991.

Auch das Schicksal schlug in den Jahren hart zu – der Tod der Gründungsmitglieder Jürgen Hart (†2002) und Christian Becher (†2013) traf nicht nur die „academixer“ selbst, sondern auch das Publikum und die gesamte Kabarettszene. Mit Hart verlor sie einen exzellenten Schreiber, während Becher lange die künstlerische Leitung der „academixer“ innehatte, ehe sich der schwer Erkrankte zurückziehen musste.

 

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Aktuell erarbeitet sich die zehnköpfige Besatzung der „academixer“ ihre Programme selbst. Junge Kollegen bringen frischen Wind und viele neue Ideen ins Ensemble ein, darunter auch Elisabeth Hart, die in die Fußstapfen ihrer Eltern Jürgen und Katrin Hart getreten ist. „Dauerbrenner“ wie etwa „Der Mann in der Gesellschaft“ finden ebenso ihren Weg in die Sketche der „academixer“ wie  die Themen Schule, Arbeitslosigkeit oder Kommunikation im Alltag. Das Publikum weiß es zu honorieren.

50 Jahre – das hieß zahllose Höhepunkte ebenso wie wirtschaftliche Engpässe und schmerzhafte Abschiede. Auf rund 16.000 Einzelaufführungen haben es die „academixer“ in einem halben Jahrhundert gebracht, bis Ende 2015 genau 2.806.183 Zuschauer begrüßt, 105 Ensemble-Inszenierungen auf die Beine gestellt. Neue Planungen gehen schon bis 2018. Diese Bilanz kann sich sehen lassen – und auch den verstorbenen Jürgen Hart und Christian Becher würde sie wohl gefallen.

50 JAHRE ACADEMIXER:
Jubiläumsvorführungen: 10.9.2016 um 20 Uhr & 11.9.2016 um 19 Uhr
Straßenfest und Tag der offenen Tür: 10.9.2016, 10-15 Uhr