"Wir erreichen Zuschauer aus allen Schichten und Altersgruppen" 7 Fragen an Jürgen Zielinski

Wir sprechen mit dem Intendant des Theater der Jungen Welt über seine Regiearbeit, seine Inspiration und über die Pläne für das Jahr.

© Sebastian Schimmel

Das Theater der Jungen Welt ist das älteste Kinder- und Jugendtheater Deutschlands und hat seit 2002 einen der renommiertesten Jugendtheatermacher an seiner Spitze: Jürgen Zielinski. Der 1953 geborene Intendant und Regisseur studierte Sozialpädagogik, Medienkommunikation und Kulturwissenschaft in Bochum und Dortmund. 

Im letzten Jahr feierte das TdJW seinen 70. Geburtstag und erhielt u.a. den Theaterpreis des Bundes 2015 und den Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2016. Im Interview erzählt Zielinski, welche Stellung das Theater in Leipzig einnimmt, was in der Jubiläumsspielzeit anders ist als sonst und warum er möglichst komplizierte Räume braucht, um sich inspirieren zu lassen.  

 1.  Was hat Sie nach Leipzig verschlagen?

Ich habe in meiner Heimatstadt an den Städtischen Bühnen Dortmund mit dem Jugendtheater begonnen und dort lange gearbeitet. Nach einiger Zeit hatte ich dann ein wenig die Nase voll davon – auch von dem ganzen Verbandeltsein. 

Acht Jahre habe ich als freier Regisseur Stücke für den Abendspielplan an Stadt- und Staatstheatern in Österreich und Deutschland inszeniert, aber auch im pakistanischen Karachi fürs Goethe-Institut. Doch dann habe ich mich zurückbesonnen, weil mir das Kinder- und Jugendtheater so ans Herz gewachsen ist. Es ist ehrlicher und man kann auch ein Ziel vertreten, im Gegensatz zum Abendspielplan, da fehlt mir diese Ehrlichkeit. Hier kannst du etwas bewirken, gesellschaftlich intervenieren, Zielfragen ans Leben und die Gesellschaft stellen und diese für jüngeres Publikum auch offen transportieren.

           

Und aus diesem Grund sind Sie an das TdJW gekommen?

Ja genau. Ich habe mir gedacht, nimm keins, das gut läuft, sondern eins, das fast am Boden liegt. Das ist jetzt provokant, aber das war damals so – wir sprechen von 2002. Hier, dachte ich mir, kannst du gut ansetzen.

 2.  Welche Stellung hat das TdJW in Leipzig?

Wir haben zunächst das Theater abgesichert, das stand ja durchaus mal zur Disposition – noch bevor ich es übernahm. Wir haben dann sehr stark auf Zahlen gesetzt. Und um die Zahlen zu erreichen, muss man das Publikum so ansprechen, dass es auch wiederkommt. Jetzt rede ich nicht mehr über Zahlen, weil sie extraordinär gut sind, jetzt rede ich nur noch über die Frage der Qualität. Und ich stelle die Frage, ob es eigentlich zumutbar ist, was wir von unserem Team abverlangen und das führt dann zu neuen Fragen.

Zum Beispiel?

Ich habe ja häufig betont: Wir sind ein erfolgreiches Theater – aber mit unseren 700 Vorstellungen pro Jahr und zahlreichen Gastspielen immer am Rande der Selbstausbeutung. Am Ende musst du selbst dafür sorgen: Es wird dir keiner sagen, du sollst weniger machen – dann habe ich weniger Einnahmen und es heißt hinterher, der Laden geht zugrunde. 

Unser Etat wurde punktuell erhöht, aber vergleichbar mit den „Tankern“, also den größeren Theatern, ist er natürlich nicht. Ich möchte mir aber das eröffnen, was andere Theater sich auch leisten können: Die Einladung von qualitativen Gastspielen aus Deutschland, aber auch aus Europa, die uns befruchten und auch das Publikum bereichern. Damit entlasten wir auch das ganze Team.

 

 3.  Wie stehen Sie dazu, dass das LOFFT aus der gemeinsamen Spielstätte auszieht? 

Wenn das Lofft in die Baumwollspinnerei umzieht, eröffnen sich für uns neue Möglichkeiten, auch wenn ein Mietanteil wegfällt. Wir freuen uns auf die Herausforderung, neue Formate zu entwickeln. Wir wollen uns auch stark auf Studenten als Publikum konzentrieren und noch mehr inklusiv und integrativ arbeiten.

Und wird es weitere Kooperationen mit dem LOFFT geben?

Wir haben nicht so viele gehabt, jeder ist sehr stark mit dem eigenen Theater beschäftigt. Aber wir hatten ein hervorragendes Einvernehmen in den letzten Jahren. Es ist für mich durchaus vorstellbar, dass wir das Segment „Tanz für ein junges Publikum“ nutzen und gemeinsam koproduzieren. Unsere Probebühnen werden dann ja auch in der Baumwollspinnerei sein, sodass wir wieder Tür an Tür miteinander in Kontakt treten können. Der Kontakt bricht also nicht ab und das freut mich.

 4.  Was ist in dieser Jubiläumsspielzeit anders als bisher?

Wir hatten auch mal eine Spielzeit unter dem Titel „Lust auf anders“. Damit wollten wir unsere andere Arbeitsweise transportieren, aber auch zeigen, wie nah wir an Themen der Stadtgesellschaft operieren, was uns sowohl Lob als auch Aufmerksamkeit eingebracht hat. 

Jetzt geht es darum, über das Motto „WiR.“ und die 70 Jahre, die es das Theater der Jungen Welt als erstes professionelles Kinder- und Jugendtheater in Deutschland gibt, deutlich zu machen, wie inniglich wir mit unserem Publikum verbunden sind. Und wir wollen betonen, dass wir über die eigenen Theaterproduktionen hinaus mit der Jungen Wildnis ein breit aufgestelltes theaterpädagogisches Programm für Lehrer, Studenten, Schüler, Kinder haben. Diese sehr besonderen Formate schlagen sich in einer Theaterstatistik gar nicht nieder. Dazu steht das „WiR.“ natürlich auch für das Team, die festen und freien Mitarbeiter und Künstler, die dieses Theater erst möglich machen.

© Tom Schulze
Und das Motto „WiR.“ binden Sie dann direkt in einzelne Stücke mit ein? 

Das „WiR.“ steht für das, was uns ausmacht: nämlich mehr Volkstheater zu sein als alle anderen Theater. Wir erreichen Zuschauer aus allen Schichten und allen Altersgruppen. Das ist für mich ein deutliches Zeichen. Mit der größten Produktion „Abgefahren in Leipzig West“, zu Beginn der Spielzeit wird ja auch ein Stück weit Stadtgeschichte erzählt. Da stehen kuriose Gestalten im Mittelpunkt, die nicht im Glitzerlicht oder im Golfclub zu sehen sind. Das ist schon ein exemplarisches oder auch richtungsweisendes Statement für unsere Theaterarbeit. Es heißt „WiR“ Punkt. Entstanden ist das über unsere gewachsene Identität. Erst waren wir das fünfte Rad am Wagen, denn von den Kollegen wird man als Kinder- und Jugendtheater nicht ganz so ernst genommen. Und mittlerweile müssen sie uns ernst nehmen, denn dafür sammeln wir bundesweit Preise und Erfolge. Ich wollte das Motto eigentlich erst „Wir sind es“ nennen, verbunden mit der offenen Fragestellung ohne Fragezeichen. Insofern ist es auch ein Angebot zur Diskussion. Wir sind … super! (lacht)

Sie wurden gelobt, dass Ihnen mit „Aus der Traum“ ein „ganz großer Wurf“ gelungen sei. Mit welchem Werk sind Sie besonders zufrieden in der aktuellen Spielzeit?

Jede Produktion, ob klein oder groß, wird hier gleich behandelt. Es ist wirklich bizarr; wir hatten jetzt eine Konzeptionsprobe von einem Bühnenbild für ein neues, kleines Puppenstück namens „Die süssesten Früchte“. Da sind genauso viele Mitarbeiter anwesend wie bei Produktionen eines Shakespeare-Stückes oder „Frühlingserwachen“. Insofern will ich keine Produktion herausheben.

 5.  Die Stücke müssen also für Erwachsene wie Kinder ansprechend sein. Wo sehen Sie in der Regiearbeit die Unterschiede bei Stücken für Kinder im Gegensatz zu Jugendlichen?

Die Unterschiede bauen wir nicht per Regie, oft sind die ausgewählten Stücke von den Autoren schon in die richtige Richtung geschrieben. Die besondere Herausforderung, egal ob Kinder- oder Jugendtheater, ist, dass man in der medial überbordenden Gesellschaft mit schnellen Bildern und Smartphones erst einmal Möglichkeiten finden muss, die Konzentration und die Spannung aufzubauen. Und da sind wir sehr erfahren. Bislang ist es auch zumeist gelungen. Und wir korrigieren selten. Wir überprüfen unsere Produktionen zum Beispiel mit einer ausgesuchten Klasse, die dann sehr früh auf Szenen in öffentlichen Proben schaut. Das Publikum ist so schon vor der Premiere in den Probenprozess eingebunden.

Der Unterschied ist, dass man klare Figuren erzählen muss, die glaubhaft sind. Und man muss verblüffende, ästhetische Mittel einsetzen, um eine besondere Spannung zu erzeugen. Man muss Theater auch mal langsamer machen und darüber einen anderen Sinnraum erschließen, der so spannend ist, dass der Zuschauer davon gefangen genommen wird. Das ist die schwierigste Aufgabe, die man auch nicht von jedem Regisseur verlangen kann.

 6.  Was inspiriert Sie bei der Umsetzung, außer die Vorgaben durch den Autor?

Ich brauche immer einen möglichst komplizierten Raum. Ich habe einen Tick: Ich brauche Höhe, unterschiedliche Ebenen. Ohne Höhe kann ich überhaupt nicht arbeiten. Und notfalls lasse ich die Leute auf Tische springen, wie mal kritisch bemängelt wurde. 

Ich brauche immer ästhetische Herausforderungen. Das fängt schon bei der Besetzung an. Dass alle unsere Schauspieler gut sind, haben auch die letzten gemerkt. Wir engagieren nahezu ausschließlich Schauspieler, die von staatlichen Hochschulen kommen. Die Erfahrungswerte sind ungerecht für jene, die von Privatschulen kommen, aber es ist so.

Woran liegt das?

Ich habe im Laufe meines langen Theaterlebens diese Erfahrungen gemacht. Wir wollen ehrliche Vorsprechen machen. Von einigen anderen Theatern berichten Schauspieler, sie wären zu einem Vorsprechen gekommen, bei dem der Dramaturg liest und gar nicht hinhört und nur „Dankeschön und wir melden uns“ sagt. 

Das finde ich entwürdigend. Man vertritt Ideale auf der Bühne und die armen Menschen, die sowieso total nervös sind, so abzufrühstücken, ist nicht mein Stil. Aber wenn ich mir für alle Zeit nehme und das durchziehe, auch wenn ich merke, dass das nix wird, belaste ich auch das Team, das mit zuguckt. Meine persönliche Erfahrung ist, dass staatliche Hochschulen die besten Ausbildungen bieten. Es gibt aber auch Ausnahmen. 

 7.  Können Sie schon über die Pläne für das nächste Jahr sprechen?

Wir wollen eine Produktion reduzieren und dafür Gastspiele einladen. Außerdem planen wir eine Ausschreibung für Künstler, die um den Theaterbus herum Projekte entwickeln. Aber es muss keine konventionelle Autorenarbeit sein, es kann z.B. auch ein Koch sein, der mit einem Maler oder Schauspieler arbeitet. Sie sollen uns Geschichten im Bus erzählen und auch über das, was so einen Bus ausmacht. Es geht nicht nur um Reisegeschichten, sondern um andere kulturelle Einflüsse. 

Wir werden vielleicht mit der freien Szene kooperieren und ein Puppentheater mit einer neuen Fassung von „Pinocchio“ machen. Wir werden mit verschiedenen Städten arbeiten, wahrscheinlich mit Tiflis, vielleicht mit Thessaloniki und möglicherweise auch bei internationalen Koproduktionen mitwirken. Auf jeden Fall ist eine Tanztheaterproduktion geplant, diesmal für Kinder. Wir wollen einen Klassiker herausgeben, der lehrplankompatibel ist und weiterhin viel Musik im Spielplan haben.