"Dunkel, Dreckig, Reudnitz" 7 Fragen an: Martin Meißner

Martin Meißner betreibt seit 2014 den etwas anderen Stadtteil-Blog „Dunkel.Dreckig.Reudnitz“. Mit seinen Kiez-Geschichten ist er schon so was wie eine „Legende“–Augenzwinker.

© Lisa Schliep
Als wir Martin 2014 das erste Mal getroffen haben, beschrieben wir das Geschehen auf seinem Blog „Dunkel. Dreckig. Reudnitz“ bereits als kleine Reudnitz-Revolution. Inzwischen versorgt „der etwas andere Stadtteil-Blog“ bereits seit drei Jahren Reudnitzer und Sympathisanten mit allem, was der Kiez an Geschichten beherbergt. Drahtzieher ist Martin Meißner (28), gebürtiger Leipziger, der sein liebgewonnenes Heimatghetto viele Jahre nur aus der Linie 4 heraus bestaunt hat. Wir treffen ihn im Gustav H., einem seiner Lieblingsorte, wenn er nicht gerade im Lene-Voigt-Park um einen Platz auf der Wiese kämpft, und reden mit ihm über Bloggerkultur und das Quäntchen „Haha“, das den Unterschied macht.

  1. Wie ist dir die Idee zu „Dunkel. Dreckig. Reudnitz“ gekommen?

    Gar nicht. Es stand mal auf dem Boden im Park; es hat jemand hingesprüht und irgendwann ein Video dazu gemacht. Das fand ich witzig und habe es aufgenommen. Um eine Freundin zu ärgern, habe ich einfach mal eine Facebook-Seite eröffnet und erst mal gar nichts weiter damit gemacht. Dann haben es doch mal ein oder zwei Leute geliked und ich habe ein bis zwei Bilder aus Reudnitz gepostet. Das hat sich dann so langsam entwickelt. Ich dachte mir: „Kannst ja mal anfangen zu bloggen, hattest du schon immer Lust drauf.“ Es war aber nicht so, von wegen „Ich mach jetzt mal diesen super Reudnitz-Blog und schreib da über Folgendes“ – den Ansatz hatte ich nie und habe ich bis heute nicht (lacht).

    Du hast also gemerkt: „Oh, das interessiert ja wen, mache ich mal weiter!“

    Genau. Auf der einen Seite macht es Spaß, irgendetwas rauszuhauen, aber viel schöner ist es, die Reaktion darauf zu erleben – dass Leute sich darüber freuen und reagieren. Das Produzieren von Inhalten macht selten Spaß. Ich schreibe nicht gerne die Texte (lacht). Oft ist es so, dass ich mir denke, über das und das müsste ich etwas schreiben und Folgendes müsste ich machen – also tolle Wolkenschlösser im Kopf spinnen. Aber wenn man dann tatsächlich an der Textproduktion sitzt, ist da nichts mehr von diesen großen Sachen. Deshalb mache ich viel lieber was auf Facebook, weil dort zwei Zeilen reichen.

  2. Produzierst du auf deinen verschiedenen Kanälen auch unterschiedliche Inhalte?

    Bei mir unterscheiden sich alle Kanäle. Mir wäre das sonst zu langweilig. Als „heavy User“ im Internet gäbe es für mich nichts Schlimmeres, als bei Twitter dasselbe wie bei Instagram stehen zu haben. Ich mache auf Twitter viel politischere Sachen, viel mehr „Ich“. Auf Instagram wird es dann teilweise sehr privat, die klassischen Essensfotos und so Sachen. Also viel weniger Reudnitz. Facebook und der Blog sind dann schon das Kernstück.

  3. Du hast mehr als 7.600 Follower auf Facebook. Wie erklärst du dir den Zuspruch im Gegensatz zu anderen Stadtteil-Blogs? Die Auswahl ist ja groß.

    Die anderen machen sehr viel dieses „MEIN Stadtteil, wie schön ist der Stadtteil und was passiert hier“– eben lokale Berichterstattung. Was ich ja auch mache, aber bei mir ist das viel mehr „Haha“, fast schon mit klassischen Comedy-Elementen – gerade auf Facebook, wo viel mit witzigen Sprüchen und Bildern gearbeitet wird. Ich habe natürlich auch den Vorteil, dass die Leute nicht wissen, wo Reudnitz anfängt und wo es aufhört (lacht). Das ist anscheinend für viele interessant, die um Reudnitz herum leben und mal dort waren. Reudnitz ist innerhalb der Stadt ein Begriff, sodass die Leute die Gags, die hier gemacht werden, auch verstehen. Ich denke, das macht es aus.

  4. Du bekommst ja inzwischen auch wahnsinnig viel Content von anderen Usern.

    Ich muss kaum noch Sachen selber schreiben. Die Leute schicken mir immer irgendwas. Das Teilen von anderen Beiträgen war ja von Anfang an das Ding. Ursprünglich hatte ich gar keine eigenen Inhalte. Ich denke auch, der Kuchen wird größer, wenn man ihn teilt. Die Leute hören ja nicht auf, meine Sachen zu lesen, nur weil sie entdecken, dass da noch jemand anderes etwas Schönes schreibt. Im Zweifelsfall werden mehr Leute motiviert, Inhalte zu schaffen.

  5. Das Reudnitz-Image ist ja einschlägig, woher kommt das – dunkel und dreckig? 

    Weil es so ist (lacht). Das Reudnitz, in dem wir gerade sind, hat nichts mit dem Reudnitz vor 10 oder 20 Jahren zu tun. Das war das totale Nazi-Ghetto und es gibt auch noch Landtagsberichte von 2008, in denen Nazis ein Haus in der Holsteinstraße gestürmt haben – ist alles nicht so lange her. Die ersten, die hier dann aber weg dividiert wurden, waren eben jene.

    Es hat sich seitdem aber einiges im Viertel verändert.

    Die Stadt ist insgesamt gewachsen. Eigentlich war es immer so, dass Reudnitz wie so eine Verteilerstation war. Mittlerweile bleiben viele hier, sodass es studentisch geprägt ist, was vorher nicht so war. Es gibt auch Läden wie das „Atari“, ein sehr linkes Zentrum, das zumindest in diesem Teil von Reudnitz eine linke Kultur etabliert hat. Der Ruf, den Reudnitz vielleicht immer noch hat, hat mit dem jetzigen nichts mehr zu tun. Das ist ein bisschen wie mit der Eisenbahnstraße: Die Einheimischen haben, aufgrund der Geschichte, oft ein schlechteres Bild von dem Viertel, als Leute von außerhalb – die gehen da viel unbefangener ran.

  6. Wie beurteilst du die Entwicklung der Stadt generell? Leipzig, das neue Berlin und was so alles erzählt wird

    Der Hype ist ja auch schon wieder ein bisschen rum. Das war teilweise richtig schlimm. Das ist sehr zwiespältig. Als Leipziger und als jemand, der hier aufgewachsen ist, ist es so eine Leipziger Eigenart, seine Stadt über die Maßen zu lieben. Früher war es ganz normal und man hat sich immer gefreut, wenn jemand herkommt und sagt: „Oh, das ist so schön hier.“ Und dann wurde es auf einmal so krass, dass der Wohnraum knapp wird und so weiter. Auf der anderen Seite bin ich mir mehr als bewusst, dass es immer noch die deutlich bessere Version ist, als dass es stagniert oder noch schlimmer, schrumpft. Dass der Park jetzt immer voller wird … na gut, dann muss ich mir langsam mal etwas anderes suchen.

  7. Stichwort Piss&Hell – was geht da ab auf Facebook? Freund oder Feind?

    Ich kenne die nicht persönlich. Ich vermute mal, das werden auch welche aus dem Leipziger Osten sein. Das sind nur Spitzen. Wir funktionieren beide auf diese witzige Art. Wobei „Piss&Hell“, glaube ich, nicht mehr so gut funktionieren. Da hatte jemand ein paar gute Ideen und hat die rausgehauen. Die hatten das eine Reudnitz-Ding und das hab ich dann geteilt. Ich habe Piss&Hell groß gemacht (lacht). Nee, klar, wenn man so auftritt, wie „Piss&Hell“ und sagt, „Wir sind gegen alle!“ … Ich finde es spaßig. Es ist spaßiger Beef. Ich habe sogar schon das Gerücht gehört, dass ich dahinterstecken würde.

    Hier geht’s zu www.dunkeldreckig.de