7 Fragen an: "Das Panorama ist ein Denkraum, ein Gefühlsraum und ein Zeitraum." Panometer-Schöpfer Yadegar Asisi über TITANIC und wahnsinnige Extreme

Wir haben uns mit Yadegar Asisi getroffen, um mit ihm über seine neue Ausstellung, den belehrenden Zeigefinger und seinen Modernebegriff zu sprechen.

© David Oliveira / asisi

Yadegar Asisi wurde durch seine einzigartigen 360°-Panoramen bekannt, die seit 2003 in Deutschland und Frankreich gezeigt werden. Durch digitale Bildbearbeitung schafft er dreidimensionale Stadtansichten, Naturräume und Darstellungen historischer Ereignisse. Seit dem 28. Januar 2017 könnt ihr die neue Ausstellung „TITANIC – Die Versprechen der Moderne“ im Panometer Leipzig sehen.

 1.  Was hat Sie bei der Auswahl des Themas inspiriert?

Es gibt ja hunderte Themen, die man bearbeiten kann. „TITANIC“ war aber irgendwie immer in meinem Kopf. Der Modernebegriff hat mich immer beschäftigt, weil er sehr positiv besetzt ist. Du bist modern, also bist du gut; du bist traditionell, also bist du rückschrittlich. Der Begriff ist sehr vielfältig, aber so wie ich ihn verstehe und wie er benutzt wird, ist er meiner Meinung nach zu positiv besetzt, er müsste kritischer besetzt werden. 

Es ist ja Wahnsinn, wenn man die Euphorie der Zeit, des Stahlbaus und der Ingenieursleistung betrachtet, was da geschaffen wurde und auch heute noch wird. Aber wir besaufen uns dann vor Selbstbeweihräucherung, bis wir fast besoffen vor Euphorie sind. Die Katastrophen, die wir mit dieser Euphorie letztendlich mit heraufbeschwören, sehen wir nicht. 

Die „Titanic“ ist ein super Symbol für diese wahnsinnigen Extreme – einerseits die Euphorie, andererseits die Katastrophe, die wir selbst mit wehenden Fahnen herbeirufen. Es ist ein tolles Projekt, über diesen Prozess mal nachzudenken.

 2.  Ihnen geht es also auch ein wenig um den belehrenden Zeigefinger?

Belehren ist eigentlich gar nicht mein Ziel. Ich will die Euphorie nicht infrage stellen, der Mensch ist so wie er ist. Die Faszination, die davon ausgeht, habe ich ja selber auch. Wenn ich etwas mache und ich bin davon begeistert, bin ich ja auch voller Leidenschaft. Aber ich denke schon, dass wir drüber nachdenken sollten, was diese Kraft auf der anderen Seite bewirkt. 

Ich will es nicht bewerten, ich will als Künstler, der die Welt betrachtet, keine Antworten geben, aber ich will schon eine Fragestellung geben. Und ich hoffe, dass die Menschen Fragen haben. Ich finde die Fragen auch immer interessanter als die Antworten. Denn wenn wir anfangen zu fragen, bewegen wir uns. Und wenn wir Antworten kriegen, denken wir, ‚Ah, jetzt hab ich es kapiert’ und dann werden wir wieder faul. 

 3.  Wollen Sie besonders mit „TITANIC“ Emotionen erzeugen?

Das möchte ich bei jedem Projekt. Ich glaube, wenn es gelingt, wird es sehr emotional werden. Man kann sich dem kaum entziehen. Aber man weiß ja nie, ob es wirklich so passiert, wie ich es gern hätte. Das Panorama ist ein Denkraum, ein Gefühlsraum und ein Zeitraum. Ich merke immer wieder, wie die Gefühle bei den Panoramen unterschiedlich berührt werden. An manchen Stellen wird geweint, wo ich gar nicht mehr weiß, ob das Weinen Traurigkeit oder Freude ist. Aber es scheint ein schönes Gefühl zu sein, das sagen mir die Leute auch. Und bei anderen ist es wirklich Erschrecken oder Nachdenken. Ich würde gern das Herz berühren, denn ich denke, der Bauch und das Herz sind komplexer als der Kopf. Wenn ich die Gefühle als erstes erreiche, habe ich immer die Hoffnung, dass der Kopf sich dann auch bewegt. 

 4.  Was sieht man unter Wasser, abgesehen vom Wrack?

Es ist nicht viel, was man sieht, es wird wirklich anders sein als die anderen Bilder. Es gibt zwei große Teile des Schiffes, Bug und Heck, die in ungefähr 500 m voneinander entfernt liegen. Die Brache dazwischen hat mich fast am meisten fasziniert. Sie liegt voll mit Überbleibseln des Menschen, das, was vom Mensch selber als einziges übriggeblieben ist, sind Schuhe und Lederteile. Die Schuhe stehen noch am Boden, da weiß man so richtig, dass da mal Beine dringesteckt haben. 

Ich glaube auch, dass dieses Feld die Geschichten der Menschen in einer Form erzählt, wie man sie mit Menschen gar nicht erzählen könnte. 

Unsere Fantasie wurde ja durch viele Bilder geprägt, wir haben ein kollektives Gedächtnis, obwohl ja kaum noch Augenzeugen existieren. Wir sind so voll mit Bildern des Unfalls, dass ich mit dieser Tragödie gar nicht arbeite, weil ich weiß, dass die Bilder in den Köpfen drin sind. Ich glaube, dass hier auch eine Spannung entsteht, denn bei der Ausstellung wird eines der letzten Bilder sein, wie die „Titanic“ aus dem Hafen rausfährt. Und wir wissen, was passiert. Deshalb muss man es nicht mehr erzählen.

© asisi

 5.  Hatten Sie die Möglichkeit, das Schiff live zu sehen? 

Vor sechs Jahren habe ich mich das erste Mal angemeldet, diesen Tauchgang mitzumachen, touristisch konnte man das machen. Seit ich auf der Liste bin, tauchen sie nicht mehr. Weil es jetzt Weltkulturerbe ist, ist es ganz kompliziert geworden. Aber mittlerweile ist die Ausmessung schon so minuziös gemacht wurden, mit tausenden von Bildern. Normalerweise bin ich bei meinen Panoramen selber vor Ort. Aber in diesem Fall habe ich gesagt, kann ich eine Ausnahme machen, weil das, was ich simuliere, kein Tauchgerät dieser Welt je sehen wird. 

Ich öffne wieder einen Landschaftsraum in 4.000 m Tiefe, den man so nie sehen kann, denn es ist ja stockfinster. Aber das ist ja das Schöne: Ich kann übertreiben, komprimieren und verdichten in solchen Bildern. Das ist der große Vorteil, deswegen nenne ich sie ja auch Zeiträume. Man kann Dinge zusammenbringen, die eigentlich zur gleichen Zeit nicht zusammen waren, so wie auch bei dem Panorama „Luther“.

 6.  Verbindet die einzelnen Panoramen etwas?

Alle Themen haben etwas miteinander zu tun, sie haben eine tiefe innere Beziehung zueinander. Es geht immer um die gleichen Gedanken: Wie wollen wir miteinander leben, wie wollen wir mit dieser Welt leben. Das ist ein Bindeglied zwischen den Bildern. Und manche denken, es sind völlig verschiedene Themen, aber ich glaube in der Summe wird man das langsam begreifen. Ich ja übrigens auch, es ist ja nicht so, dass ich mir immer alles vornehme und alles konzeptionell bis ins Letzte durchdenke. 

 7.  Ist es möglich, dass „TITANIC“ anschließend auch in anderen Städten gezeigt wird?  

Ja, auf jeden Fall. In anderen Städten entstehen jetzt Gebäude und diese wollen auch Bilder zeigen. Die wenigsten Städte haben eigene Panoramen mit Themen, die zur Stadt gehören. In Rouen habe ich es z.B. gemacht, weil mir eine gotische Stadt noch in meiner Reihe an Stadtansichten fehlte. In Berlin wird das Pergamon-Panorama für zehn Jahre wieder aufgebaut und da kann es passieren, dass ich da z.B. Bilder von Ägypten mache und das dann wieder nach Leipzig kommen könnte. Deswegen kann ich mir gut vorstellen, dass viele der aktuell entstehenden Häuser auf der Welt die „TITANIC“ zeigen wollen.

Infos über den Künstler:

Geburtstag: 8. April 1955 als Sohn persischer Eltern

Geburtsort: Wien

Beruf: Künstler, Architekt

Wohnort: Berlin

Ausbildung: Studium der Architektur in Dresden und Malerei in Berlin

In seinen Panoramen reist Yadegar Asisi thematisch durch die ganze Welt. Ob er aber selbst ein Abenteurer ist, erfahrt ihr hier.

Wir haben auch die TITANIC-Ausstellung besucht. In unserer Märzausgabe erfahrt ihr dann, wie sie bei uns ankam.