„Die Tille hatte von Anfang an Vertrauen in mich“ AM to PM: Daniel Stefanik im Interview

Wir plauderten mit Leipziger DJ Daniel Stefanik ihm über alte Zeiten, neue Wege und seine Ankerpunkte im Trubel der Südvorstadt, wo er sich heimisch fühlt.

Wo löffelt Leipzig Milchschaum, wenn über der Stadt die Sonne aufgeht? Wo wird der Durst nach Kultur und leckerem Essen gestillt? Von „AM to PM“ hängen wir an euren Fersen, um die Orte und die Menschen zu beleuchten, die unsere Stadt lebendig machen. 

Über Daniel Stefanik

Seit Corona überschwänglicher Tanz-Euphorie den Beat raubt, verbringt Daniel Stefanik, Resident-DJ der Distillery, seine Freizeit im Home-DJing – und kehrt damit zu den Wurzeln seiner Karriere zurück, die bis in das Jahr 1994 reichen. Da ist ein Kinderzimmer mit einem fröhlich vor sich hin experimentierenden Klangkünstler, der einem Hobby nachgeht, das ihn, reichlich später, bis an die Plattenteller renommierter Clubs katapultiert. Den Aufstieg verdankt Stefanik u. a. seiner zielstrebigen, musikalischen Unbefangenheit, mit der er sich als DJ und Produzent, weit über Leipzigs Grenzen hinaus, einen Namen macht. Seinen Sound, dem es auf stimmige Art und Weise gelingt, Minimal, Dub und klassischen Techno miteinander zu vereinen, beschreibt er selbst als Post-Detroit, eine Mischung aus Tradition und Moderne.

© Björn Kowalewsky | Helldunkel Produktionen

Wir plauderten wir mit ihm über alte Zeiten, neue Wege und seine Ankerpunkte im Trubel der Südvorstadt, wo er sich heimisch fühlt.

Frühaufsteher oder Langschläfer – was trifft auf dich zu?

Frühaufsteher! Weil ich es überhaupt nicht mag, wenn ich aufwache und der Tag schon wieder vorbei ist. Ich habe nur das Problem, dass ich meistens zu spät ins Bett gehe – da bleibt unterm Strich wenig Schlaf. Eine Zeit lang bin ich sogar extra um sechs aufgestanden (also eine Stunde vor meinen Kindern), um einen stillen Moment, so ganz ohne Hektik, nur für mich zu haben. Ich finde, man spürt, wenn draußen allmählich der Tag losgeht: Autos beginnen zu fahren, an der Börse wird gehandelt, alle nehmen ihre Arbeit auf. Doch vorher, morgens um sechs, da läuft die Zeit noch langsam.

↘ Ist es die Musik, die dich bis tief in die Nacht wach hält?

Naja, damals war mein Tagesablauf so, dass ich den ganzen Tag im Tonstudio saß und manchmal auch bis tief in die Nacht rein, weil mir abends erst die richtige Eingebung kam. Kreativität lässt sich eben nicht auf Knopfdruck abrufen. Wenn es so läuft, ist es keine Kreativität mehr, sondern Routine.

↘ Du sagst damals, was hat sich verändert?

Jetzt beschränkt sich das Musikproduzieren auf den Abend – nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht habe. Tagsüber arbeite ich ganz „normal“ in meinem neuen Job. Ich hatte ja vor einigen Jahren die weise Eingebung, nochmal zu studieren – BWL. Ein Informatikstudium hatte ich bereits absolviert. Auflegen ist jetzt „nur“ noch ein Hobby. Was ein befreiendes Gefühl ist, weil der Druck, in regelmäßigen Abständen etwas produzieren zu müssen, weg ist.

Und was bringt dich nach kurzen Produktionsnächten wieder in Fahrt?

Kaffee! Unbedingt, Kaffee. Wobei ich es auch hier genieße, mir viel Zeit zu nehmen und, wenn möglich, ausgiebig zu frühstücken. Mein Lieblingsbäcker ist die Feinbäckerei Perduß, nicht nur, weil sie gleich um die Ecke ist. Ich mag diese alten, kleinen Bäcker. Und dort gibt es ein geniales Brot. Zum Kaffeetrinken kann ich das Franz Morish sehr empfehlen. Dazu muss man wissen: Ich trinke viel Kaffee und merke ihn häufig gar nicht mehr. Aber dort wirkt er, dort bekomme ich Puls. 

Gehst du gerne aus, um zu essen?

Ja, schon gerne und bin dabei am ehesten in der Südvorstadt unterwegs. Zum Essen gehen, oder aktuell holen, mag ich das Fela gerne. Der Inhaber ist unheimlich nett und gibt sich sehr viel Mühe – auch in der aktuellen, sehr schwierigen Situation. Er ist unglaublich ambitioniert, hat die Krise tapfer angenommen und mir gegenüber nicht einmal gejammert. Das finde ich mega. Er macht jetzt einen Lieferdienst und seitdem war ich häufiger im Fela als vorher. Das Zest ist übrigens auch geil. Früher war für mich ein Essen ohne Fleisch kein Essen. Aber das Zest hat mich eines besseren belehrt und auch die Weine sind echt lecker. Und was ich auch noch mag, so nostalgisch das klingt, ist das Schnellbuffet Süd – vor allem wegen des schönen Oma-Essens. Lecker!

Wo oder besser wann, kam dir der Gedanke, dich beruflich umzuorientieren?

Vor einigen Jahren habe ich mir die Frage gestellt: „Was machst du, wenn du fünfzig bist. Willst du dann immer noch auflegen?“ Ich ahnte, dass ich mich irgendwann nicht mehr mit der Generation zwischen 18 und 25 identifizieren kann – nicht mehr wie sie fühlen kann. Und daneben hatte ich den Traum an der Börse zu arbeiten und das mache ich jetzt. Zudem ging mir das Buhlen nach der Gunst der anderen zunehmend auf die Nerven. Es gab zum Beispiel eine Zeit, in der wollte ich nur Techno spielen. Und in einer anderen hatte ich mehr Bock auf House, denn ich habe mich noch nie auf bestimmte Musikrichtungen beschränkt – noch nie! Zuhause habe ich Drum’n‘Bass -Platten liegen, liebe Hip Hop und habe auch mal Breakdance gemacht. Ich bin vielfältig und Musik ist vielfältig. Dafür wollte ich mich nicht mehr rechtfertigen müssen. Alles was ich kann – und immer machen wollte – ist Musik liefern, die sich aus einem abwechslungsreichen Set zusammensetzt.

© Björn Kowalewsky | Helldunkel Produktionen
↘ Resident-DJ der Tille bist du aber nach wie vor?

Ja! Ich habe der Tille unheimlich viel zu verdanken. Sie hatte von Anfang an Vertrauen in mich und in das, was ich tue. Denn machen wir uns nichts vor: Das geile an so einer Residenz ist ja, dass man sich gegenseitig nach vorne bringen kann. Und die ersten Stunden gewinnst du kein Publikum für dich – selbst wenn du ein wunderbares Set spielst.

Die breite Masse lebt im Moment zwischen drei und fünf Uhr. Und wenn du da nicht platziert bist, wird es schwer. Aber die Tille hat das gemacht. Sie hat mir die Möglichkeit gegeben, zu glänzen. Und wenn ich jetzt dort auflege, dann kann ich mich darauf konzentrieren, mein Publikum auf eine Reise, entlang ruhiger und flotter Tracks, mitzunehmen. Wobei ich die magischsten Momente meist in den Morgenstunden erlebe, nachdem ich schon zwei bis drei Stunden gespielt habe. Dann habe ich das Gefühl, dass das Publikum und ich im gleichen Takt schlagen. Meine längstes Set dauerte in der Tille – mit Mathias Kaden zusammen – dreizehn Stunden. An solchen Abenden kannst du Tracks spielen, die du noch nie in einem Club gespielt hast, denn dann tanzen die Leute sogar zu den abgefahrensten Sachen.

↘ Wie sehr leidest du gerade mit deinem Club?

Sehr. Das ist ein absolutes Desaster. Ich glaube, die Leute haben keine Vorstellung, was gerade passiert. Erstens: Du musst diese Zeit als Club überleben. Klar, die Stadt fördert. Aber die Frage ist, wie lange kann sie das. Und zweitens: Wie lange halten DJs und Musikproduzenten dieser Durststrecke stand? Was passiert mit der Karriere nach der Krise? Will dich die neue Generation noch hören? Wann und wie geht es in Zukunft weiter?

↘ Was hältst du in diesem Zusammenhang von privaten Corona-Raves?

Da kann man nur sagen: Seid solidarisch! Wenn jemand in der aktuellen Situation eine Veranstaltung mit fünfzig oder hundert Leuten organisiert, dann fände ich das schon bescheuert. Partys fehlen, ja. Aber mit privaten Raves tut man den Clubs unheimlich weh. Denn die müssen genauso zurückstecken. Deshalb wäre es auch aus dieser Perspektive unfair. Und obendrein: Wer möchte dafür verantwortlich sein, dass sich Freunde auf der eigenen Party anstecken? Die Frage ist doch: Wie nehmen wir die Krisensituation an? Wollen wir uns aufregen? Wollen wir uns Verschwörungstheorien hingeben? Oder sagen wir: Ja, es ist kacke, aber wir machen das Beste daraus! Ich habe mit meinen Jungs zum Beispiel das Modus-Team gegründet – vier DJs, die sich gegenseitig Platten vorspielen. Denn ich beobachte schon   kritisch, was Isolation mit Menschen macht.

Reinhören auf danielstefanik.com