"Mich stört die Vertreibung bestehender, kultureller Lokalitäten" André Herrmann im Interview über Leipzigs Entwicklung

„Hypezig“-Erfinder und Autor André Herrmann im Interview über seinen neuen Wohnort, Legida und die Entwicklung Leipzigs.

André Herrmann ist vieles: Autor des Buches „Klassenkampf“, Leipzigs Blog­Endgegner (www.andreherrmann.de), Erfinder des Begriffs „Hypezig“, Gewinner vieler Poetry-­Slam­-Meisterschaften, bis Mitte 2015 Stadionsprecher der U­23 RB Leipzig und und und … allem voran ein Zyniker, der mit viel Witz sowie genügend ehrlichem Anti­-Mainstreaming über Leipzig hinaus begeisterte. Bis hin nach Brüssel. Dort wohnt und schreibt er („Brussels be like“) nämlich seit Juli 2015. Wir sprachen mit André über Leipzig zwischen Cupcake­-Läden & Legida­-Märschen.

Warum hast du Leipzig 2015 verlassen?

© Carolin Schreier
Man will ja nicht die ganze Zeit nur in Leipzig rumhängen. Und Brüssel hat mich einfach von Anfang an angesprochen. Leipzig und Brüssel sind sich im Grunde auch gar nicht so unähnlich. Von der Größe sind sie recht gleich und lustigerweise gibt’s in Brüssel das gefährlichste Viertel der Welt – so wie in Leipzig die „gefährlichste Straße der Welt“ (Anm. d. Red.: Leipziger Eisenbahnstraße). Ansonsten wollte ich einfach auch mal richtig Französisch lernen. Ich mache hier ja auch einen Sprachkurs – läuft super! Ich kann schon „Qui“ und so. Sonst mache ich in Brüssel nicht so viel anderes als vorher auch. Ich schreibe weiterhin sehr viel für die Lesebühne Schkeuditzer Kreuz, fürs Fernsehen, für meinen Blog, usw. Zudem schaue ich mir nach wie vor ’ne Menge von der Stadt an. So lange, bis man mich irgendwo in Brüssel aussetzen kann und ich weiß, wie ich zurückfinde. Letztlich bin ich dennoch oft in Deutschland. Ich habe monatlich immer an einem Mittwoch Lesebühne in Berlin und den Freitag danach Lesebühne in Leipzig. Und dann kam irgendwie so viel drum herum dazu, dass sich mittlerweile eingependelt hat, dass ich monatlich zwei Wochen in Deutschland und zwei in Brüssel bin. Sinnlos dieser Umzug (lacht).

Wie genau hast du denn die Wochen in Brüssel nach dem Attentat von Paris (13.11.2015) wahrgenommen?

Die Situation hier war ganz anders als es in den ganzen deutschen und englischen Zeitungen dargestellt wurde. Französisch kann ich ja nicht lesen (lacht). So hieß es zum Beispiel, die Stadt sei menschenleer! Ja, aber an dem besagten Wochenende hat es zum Beispiel einfach auch geregnet. Man kann eben auch in die Richtung fotografieren, wo halt niemand ist. Ach und die Tagesschau zum Beispiel brachte ein Bild des leeren Weihnachtsmarkts mit dem Titel: ‚Alle Märkte in Brüssel haben geschlossen’ – kein Wunder, der Weihnachtsmarkt war ja noch nicht Mal eröffnet!

Vermisst du Leipzig?

Klar! Leipzig ist einfach eine schöne Stadt. Ich wäre auch auf gar keinen Fall nach Brüssel gezogen, wenn ich nicht jeden Monat auch nach Leipzig kommen könnte – vor allem wegen der Lesebühne! Wenn es davon abhinge, würde ich lieber zurückziehen als die Lesebühne zu lassen. Auch gibt es in Brüssel relativ wenige Läden so wie die Connewitzer Frau Krause zum Beispiel – so richtige Kneipen halt. Ich glaube die deutsche Kneipenkultur liegt mir mehr. Was ich gar nicht vermisse, ist das Deutschsprechen – dass man alle Leute versteht, und alle Leute einen selber verstehen.

Was sagst du zu den immer noch stattfindenden Legida-Märschen?

Ich finde es ja gut, dass es sich langsam ein wenig zu verlaufen scheint. Nach wie vor finde ich es allerdings krass, dass es dieses Potenzial überhaupt in Leipzig gibt. Dass es einfach genug Leute gibt, die sich für so einen Unfug wöchentlich in die Kälte stellen! Ich denke, dieser Hass war in den Leuten schon länger da – nur haben viele über die letzten Monate wohl Mut geschöpft, ihren Unsinn zu artikulieren. Ich denke, Deutschland war noch nie das fremdenfreundlichste Land. Nur hat sich mittlerweile dieses Thema entwickelt, wo die Leute mutig werden, ihre kruden Ideen rauszulassen und keine Angst mehr vor Verurteilung haben. Du hast ja vielleicht mitbekommen, dass der Trompeter von RB Leipzig auch immer so Legida-Zeug gepostet hat. Diesen haben sie gebeten, nicht mehr zu trompeten. Welch‘ Konsequenz! Ich habe auch schon Facebook-Screenshots gesehen, wo Leute fremdenfeindliches Zeug gepostet hatten und gleichzeitig in ihrer Profilinfo stand, dass sie bei der Stadt Leipzig arbeiten. Ja ganz ehrlich, wenn bei gewissen‚ öffentlichen Leuten schon keine Hemmschwelle  mehr besteht, da läuft hier ja einiges mehr als falsch! Komischerweise ist es in Sachsen ja ganz besonders hart – dort wo die Zahl der Nicht-Deutschen geringst ist! Das ist einfach finster!

Denkst du, die Legida-Demos haben eine andere Seite des gehypten Leipzigs aufgezeigt?

Es war vielleicht kein Wendepunkt für die Stadt, aber es zeigte, dass dieses Hypezig einfach auch sehr provinziell sein kann! Es ist nämlich mal so gar nicht weltstädtisch, dass man auf die Straße geht, weil man „keene Ausländer ham will“ – oder sich überfremdet fühlt. Ein bisschen konnte Leipzig die Sache ja glücklicherweise dämpfen, da gerade zu Beginn mehr als 20.000 Menschen gegen Legida standen. Zudem hat ja Sebastian Krumbiegel (Anm. d. Red.: Prinzen-Sänger und Leipziger) ja auch ein Lied zu dem Thema komponiert (Kein Mensch ist illegal) – Das ändert natürlich alles (lacht).

Wie siehst du denn die Veränderung, die Leipzig über die letzten Jahre mitmachte?

Einerseits ist es total schön, dass sich zum Beispiel neue Stadtteile erschließen und damit Orte generieren, die vorher keinen Grund lieferten, hinzugehen. Jedoch geht mir die ganze Hippness manchmal sehr auf die Nerven – dieses Hipp-sein um seiner selbst Willen. Ich habe echt manchmal das Gefühl gehabt, dass überall nur noch Cupcake-Läden eröffnen. Alles läuft so super beschleunigt ab. Kaum eröffnet ein neuer Laden, hat er im Grunde schon wieder geschlossen. Was mich am meisten an dieser raschen Veränderung stört, ist die Vertreibung bestehender, kultureller Lokalitäten. So zum Beispiel jetzt beim Plan B. Das muss nämlich schließen! Es macht mich unglaublich wütend, dass Vermieter merken, dass sie in bestimmten Lagen viel mehr Geld nehmen könnten und somit alte Mieter raushauen, weil den neuen Geldforderungen nicht entsprochen werden konnte. Die Entwicklung in alle Ehren, aber wenn die solche Instanzen frisst, läuft einfach was falsch.

Slamst du eigentlich noch?

Ich kenne hier ein paar Leute vom Goethe-Institut und habe schon mal überlegt, ob ich mal mit denen irgendwas in Richtung Poetry Slam auf die Beine stelle. Lesebühne Brüssel wäre super! Ich weiß allerdings nicht, ob das die Anzahl der Deutschen in Brüssel hergibt. Wahrscheinlich säße man dann immer nur vor EU-Deutschen (lacht) – auch doof. Und was das Team Totale Zerstörung mit Julius Fischer angeht – naja, die Teilnahme an den jeweiligen Meisterschaften war immer irgendwie der Grund, Texte zu schreiben. Da machen wir momentan ja nicht mehr mit. Vielleicht in zwei Jahren nochmal – wenn uns erstens keiner mehr kennt und wir zweitens unter einem anderen Namen auftreten können. Das Problem ist nämlich, dass wenn wir mitmachen, wir auch gewinnen wollen. Du siehst, das brächte gleich wieder so ’nen blöden Ehrgeiz mit sich. Ich wäre einfach enttäuscht, wenn wir in der Vorrunde rausfliegen würden. Deshalb lieber gar nicht erst mitmachen (lacht). Zumindest vorerst. Bis dahin sind wir natürlich immer gemeinsam bei der Lesebühne.