Zwei gegen alle „Angst essen Seele auf“ im Schauspiel Leipzig

Rainer Werner Fassbinder veröffentlichte 1974 seinen Film „Angst essen Seele auf“, der das Thema Fremdenfeindlichkeit im alltäglichen Umfeld thematisiert. Über 40 Jahre später nimmt sich der in Bielefeld geborene Regisseur Nuran David Calis, der armenisch-türkische Wurzeln hat, dem Stoff an.

Ein gutes Mittel gegen die Angst ist Liebe. Deswegen suchen wir uns gern jemanden, der gemeinsam mit uns durchs Leben geht. Das tun auch Emmi und Salem, treffen dabei aber auf Schwierigkeiten.

Rainer Werner Fassbinder veröffentlichte 1974 seinen Film „Angst essen Seele auf“, der das Thema Fremdenfeindlichkeit im alltäglichen Umfeld thematisiert. Über 40 Jahre später nimmt sich der in Bielefeld geborene Regisseur Nuran David Calis, der armenisch-türkische Wurzeln hat, dem Stoff an. Mit dem Material aus den 70ern und einem futuristischen Bühnenaufbau erzählt er uns etwas sehr aktuelles über unsere Gegenwart. Seine Adaption von „Angst essen Seele auf“ feierte am 17. Mai 2018 Premiere im Schauspiel Leipzig und verlangt vom Zuschauer, sich auf einiges einzulassen. 

© Schauspiel Leipzig

Glück und Vorurteil 

Zwar muss man den Film nicht gesehen haben, um zu verstehen, was Calis vermitteln möchte. Allerdings lohnt es sich, um den Kontrast zwischen Film und Bühnenfassung zu erfassen. Die Geschichte ist dem Film weitestgehend treu: Die ältere Reinigungskraft Emmi (Bettina Schmidt) und der deutlich jüngere Gastarbeiter Salem (Roman Kanonik), von allen Ali genannt, lernen sich in einer Gastarbeiterkneipe kennen und beginnen miteinander eine Beziehung. Auf ihr unverhofftes Glück treffen die fremdenfeindlichen, von Vorurteilen und Selbstgefälligkeit geprägten Anfeindungen der anderen – Emmis Nachbarn, Arbeitskolleginnen, Kindern, aber auch von völlig Fremden. Nachdem sie in einem Biergarten weinend zusammenbricht, fahren die beiden auf Hochzeitsreise. Als sie zurück kommen, weht ein neuer Wind der Akzeptanz, der aber lediglich davon motiviert ist, dass die anderen etwas von ihnen brauchen. In ihrem Wunsch, wieder Teil der Gemeinschaft zu sein, macht Emmi ihren Ali selbst zum Anderen, zum Fremden, und so entfremden auch sie sich. 

Steril und doch schrill 

Im Gegensatz zum Film findet all dies aber nicht in gedämpften Farben in braun-beigen Umgebungen statt und wird auch nicht subtil gespielt. Eine klinisch weiße, glänzende Fläche und ein ebenso klinisch weißer Hintergrund bieten hier den Schauplatz für den Kontrast zwischen Liebe und Häme. Da das Stück ohne Requisiten auskommt, wird der Kontext als Text auf die weiße Fläche projiziert. Hier sind die Liebenden, Ali und Emmi, auch die einzig natürlich wirkenden Charaktere, in ihrer Alltagskleidung und mit ihren zaghaften, aber doch sehr physischen Annäherungen. Alle anderen Figuren sehen aus wie stark verfremdete Drag Queens, die sich schrill über die Bühne und durch Projektionen bewegen. Die Stimmen der Nebenrollen kommen meist ebenso stark verfremdet vom Band, während die Protagonisten sprechen und schreien. Insgesamt ist die Arbeit der Schauspieler hier aber vor allem stark körperbetont. So zeigt sich immer, wer gerade in der Machtposition ist, ganz klar am physischen Status, den die Figuren auf der Bühne haben: Als Emmi sich bei den Nachbarinnen anbiedert, kriecht sie tatsächlich über die Bühne. Die Mischung aus klinischer Umgebung und albtraumhaft gestalteten Figuren wird zeitweilig etwas anstrengend und steril, tut jedoch genau in den richtigen Momenten weh, und zeigt vor allem sehr eindrucksvoll und mit vielen spannenden Einfällen, wie absurd eigentlich Ausgrenzung ist.

Spielzeiten: 31.05. um 19:30 Uhr, 10.06. um 16 Uhr und 22.06.2018 um 19:30 Uhr