"Ratschlag geben, ohne mich in das Hoheitsgebiet eines Trainers einzumischen" Aufstiegs-Interview mit Ralf Rangnick: „Bayern-Jäger? Nicht mal im Ansatz!“

Im Aufstiegs-Interview verrät Ralf Rangnick, warum er keine Wehmut verspürt, den Trainerposten wieder abzugeben, was auf die 1. Bundesliga mit RB Leipzig zukommt und wen er als Favorit bei der EURO 2016 sieht.

© GEPApictures/RB Leipzig
Ralf Rangnick ist der Architekt des Erfolges von RB Leipzig. 2012 wurde der Schwabe von Dietrich Mateschitz als Sportdirektor für Red Bull Salzburg (bis 2015) und RB Leipzig installiert. Unter ihm gelangen RBL im ersten Anlauf die Aufstiege in die 3. und 2. Liga. Nach einem Jahr im Unterhaus sollte nun das von Beginn an ausgerufene Ziel 1. Bundesliga erreicht werden. Rangnick übernahm das Traineramt und machte Leipzig nach 22 Jahren wieder erstklassig. Im Interview verrät er das Geheimnis des Erfolgs, warum er keine Wehmut verspürt, den Trainerposten wieder abzugeben, was auf die 1. Bundesliga mit RB Leipzig zukommt und wen er als Favorit bei der EURO 2016 sieht.

Was bedeutet Ihnen der Aufstieg?
Das war ja das eigentliche Ziel vor vier Jahren, als wir hier in der 4. Liga angefangen haben. Wir wollten versuchen, in die 1. Bundesliga zu kommen. Dass wir jetzt innerhalb von vier Jahren drei Aufstiege geschafft haben, war nicht selbstverständlich.
Uns wurde in dieser Saison nichts geschenkt. Im Gegenteil: wir hatten die jüngste und unerfahrenste Mannschaft, mussten immer wieder Widerstände überwinden und im Schnitt sind die Gegner gegen uns 4 km mehr gelaufen als gegen jede andere Mannschaft.

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Vor allem haben mich die Jubelbilder beim 2:0 gegen den KSC gefreut: Péter Gulásci – dem ich zwei Tage vorher gesagt habe, dass er nicht spielt –, Davie Selke als Goalgetter, der auch wieder „nur“ 25 Minuten spielen konnte, oder Georg Teigl. Egal wer, diese unbändige Freude aller Spieler, die ihr Ego zurückgestellt haben, ist großartig und war letztendlich auch mit das größte Erfolgsgeheimnis der Mannschaft. 

Wie lange hat es gebraucht, um das herzustellen?

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Das war ein stetiger Prozess. Und da hat die Mannschaft natürlich selber ihren Beitrag zu geleistet. Ganz egal ob Yussuf Poulsen und Davie Selke, die beide jeweils eine Phase ohne längere Einsatzzeiten hatten oder auch bei unseren Torhütern: Als Péter erfahren hat, dass er gegen den KSC nicht spielen wird, ist er direkt zu Fabio gegangen und hat ihm gratuliert. So etwas ist im Leistungssport schon ungewöhnlich. Und genau deswegen war dieses Mannschaftsgefühl für den Aufstieg ganz entscheidend. Wir müssen versuchen, uns diesen Spirit auch für das nächste Jahr zu bewahren.

Mit den neuen Spielern.
Genau. Deswegen ist es auch wichtig, dass nicht zu viele neue Spieler kommen. Und dass wir in diesem Zusammenhang vor allem auch auf die Mentalität und Charaktereigenschaften achten. Wir holen keine Spieler dazu, die nicht dazu passen. 

Was kommt auf RB Leipzig zu in der 1. Bundesliga?
Vollere Stadien, noch mehr Berichterstattung und mediales Interesse, noch ein deutlich höheres Niveau. Wir müssen unsere eigene Spielidee weiter verfeinern und perfektionieren. Die Mannschaft hat in den letzten Wochen und Monaten – auch gegen den KSC – ganz anders gespielt als noch beim FSV Frankfurt oder gegen Greuther Fürth zu Beginn der Saison. Das kann man nicht vergleichen. KSC-Trainer Markus Kauczinski sagte nach dem Spiel, dass der Druck, den wir ausgeübt haben, für seine Mannschaft irgendwann zu hoch war. Und darum geht es: Dass wir diesen Druck auch gegen noch bessere Gegner und noch bessere Einzelspieler so synchron auf den Platz bringen.
Das wird die Aufgabe von Ralph Hasenhüttl und unserem Trainerstab sein, denen ich, wenn gewünscht, unterstützend und mit Rat und Tat zur Seite stehe. Ralph Hasenhüttl freut sich mindestens genauso über die Zusammenarbeit mit mir, wie ich mich auf die Zusammenarbeit mit ihm freue.

Sie sagten mal, RB werde der 1. Bundesliga gut tun. Inwiefern?
Weil wir ein tolles Stadion mit einer fantastischen und vor allem auch friedlichen Atmosphäre haben. Es gab keinen einzigen Schmähgesang gegen einen Gegner bei uns und keinerlei Ausschreitungen, es sind auch keine Gegenstände geflogen – darauf müssen wir auch achten, dass es so bleibt.
Wir werden auswärts ausreichend Fans mitbringen, davon bin ich überzeugt. Alleine schon aufgrund der Neugier des ersten Jahres in der Bundesliga. Ich glaube auch, dass wir mit unserer Art von Fußball eine Bereicherung sein werden. Unter Ralph Hasenhüttl werden wir unseren Stil nicht grundlegend verändern, und genau deswegen haben wir ihn ja auch als neuen Trainer verpflichtet.
Außerdem werden wir wahrscheinlich mit dem jüngsten Kader in der Bundesliga vertreten sein.
Ich habe vor einem Jahr mal gesagt, dass Leipzig die am meisten unterschätzte Stadt in Deutschland ist und dazu stehe ich nach wie vor. Das wird hoffentlich in einem Jahr ein bisschen anders sein. 

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Sie waren diese Saison Trainer und Sportdirektor. War das nicht unglaublich kräftezehrend? 
Als Sportdirektor habe ich in den letzten 10 Monaten nicht ganz so viel gemacht, weil ich den Kader bereits vorher mit Frank Aehlig schon zusammengestellt hatte. Während der Saison gab es daher nicht so viele Dinge, die ich ausschließlich als Sportdirektor hätte machen müssen. Das wird sich jetzt natürlich wieder ändern.
Ich werde, wenn Ralph Hasenhüttl das wünscht, mit ihm natürlich auch Eindrücke vom Training oder Spielen austauschen. Das ist letztlich das, was der Vorteil ist mit mir als ehemaligem Trainer: Wir können auf sportlicher Augenhöhe diskutieren. Und das ist auch der ausdrückliche Wunsch von Ralph Hasenhüttl. Er möchte auch, dass ich mich auf die Bank setze. Da müssen wir noch mal diskutieren, ob ich das dann am Ende auch wirklich mache. Ich war als Sportdirektor bisher immer auf der Tribüne – das hatte aber auch den Hintergrund, dass ich in dieser Funktion für zwei Vereine tätig war und logischerweise nicht jedes Wochenende jedes Spiel sehen konnte. Vor allem dann nicht, wenn Red Bull Salzburg und RB Leipzig gleichzeitig gespielt haben. 

Auf was freuen Sie sich besonders beim neuen alten Job?
Ich freue mich darauf, dass ich wieder ein bisschen mehr Zeit haben werde für Familie, Freunde und vor allem meine Eltern, die ich in den letzten 10 Monaten sehr selten gesehen habe. Auch mal wieder mehrere Tage am Stück in Backnang sein zu können, war zuletzt nicht möglich. 

Sie sagten, es bestünde keine Wehmut, den Trainerposten abzugeben. Trotzdem: Was werden Sie vermissen?

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Wenn du Spiele gewinnst und wenn du siehst, wie sich eine Mannschaft entwickelt, dann macht es richtig Spaß, mit den Jungs zusammen auf dem Platz zu sein. Aber ich bin ja nicht weg. Ich werde mir trotzdem Trainingseinheiten ansehen und dem einen oder anderen Spieler auch mal einen kleinen Ratschlag geben – ohne mich in das Hoheitsgebiet eines Trainers einzumischen. Es ist aber wirklich nicht so, dass sich Wehmut einstellt oder dass ich etwas vermissen werde. 

Sie sehen das entspannt und reagieren wesentlich cooler auf ihren Trainerabgang als viele Fans, die Sie gerne weiterhin als Trainer gehabt hätten.
Ja, weil ich aber auch weiß, dass wir einen Top-Trainer bekommen. Er war ja auch letztes Jahr schon mein Wunschtrainer. Als das jedoch nicht geklappt hat, musste ich selbst die Verantwortung übernehmen. Insofern ist es nur logisch, dass er jetzt auch kommt (lacht). Er hat es damals nicht übers Herz gebracht, seine Mannschaft nach dem Aufstieg zu verlassen. Für mich war das zwar im ersten Moment ein Schock, aber im Grunde spricht das nur für ihn.

Das haben Sie ihm nicht übel genommen?!
Nein. Ich bin hartnäckig dran geblieben – auch diese Saison. Für mich schließt sich jetzt auch ein Kreis.
Im Vergleich zur letzten Saison versteht jetzt auch jeder ein Stück weit, warum er diesen Schritt zu uns gerne machen möchte. In einer Stadt wie Leipzig, mit dem großen Stadion und dem Fanpotenzial ist schon mehr möglich als in Ingolstadt – auch perspektivisch. Und das hat nichts mit der tollen Arbeit zu tun, die beim FCI geleistet wird.
Ich bin überzeugt, dass wir den bestmöglichen Trainer bekommen. Jetzt müssen wir schauen, dass wir die richtigen Spieler verpflichten und dann wieder zusammen zu einer Mannschaft formen – das ist das, worauf ich mich schon sehr freue.

Was denken Sie denn, wenn Sie Bayern-Jäger lesen?
Dass wir das noch nicht einmal im Ansatz sind. Wir sind weit entfernt von Vereinen wie Bayern, Dortmund und Leverkusen.
Wir wollen nächstes Jahr eine gute Rolle spielen und uns möglichst weit von den Abstiegsplätzen fernhalten. Wenn wir es im ersten Jahr schaffen, eine sorgenfreie Saison zu erleben, uns in der Bundesliga zu etablieren und uns weiterzuentwickeln, dann wäre ich schon sehr zufrieden.

Dass wir perspektivisch irgendwann so weit sein wollen, auch international zu spielen – das ist so. Aber wir wissen auch genau, wo wir herkommen. Wir waren vor vier Jahren noch in der Regionalliga und froh, dass wir gegen die Sportfreunde Lotte in der Verlängerung das Relegations-Rückspiel gewonnen haben.  

EM: Vielleicht spielt ja ein ehemaliger RBL-Spieler bei der EM mit.

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Ja, das könnte sein, ich würde es Joshua Kimmich sehr gönnen. Und es würde zeigen, was über RBL möglich ist. Das ist auch eine Geschichte, die uns hilft, wenn es um neue, auch um junge unbekannte, Spieler geht. Das, was bei Jo passiert ist, ist ein Märchen. Das spricht nur für ihn. Dass er so viele Spiele bei Bayern München macht, hätte selbst ich ihm vor der Saison nicht zugetraut. Da kann man wirklich nur den Hut ziehen. 

Wer wird Europameister?
Also wenn man sich die Europa – und die Champions League anschaut, dann muss man ja eigentlich auf Spanien tippen. Ich glaube, dass Spanien ein heißer Kandidat ist. Deutschland sehe ich im erweiterten Favoritenkreis. Ich sehe uns nicht so stark, wie bei der WM 2014, weil einige Spieler verletzt sind und andere ihre Karriere beendet haben. Ich sehe vor allem im Abwehrbereich noch die eine oder andere wacklige Position. Aber Boateng wird jetzt hoffentlich rechtzeitig für die EM wieder fit.
Ich denke, dass man dieses Jahr auch mit den Engländern rechnen muss – auch gerade mit Spielern wie Jamie Vardy. Und nicht zuletzt hat auch Frankreich eine gute Chance.

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