Mit Anlauf zu spät gekommen Babykopfjunge im Interview

Redet man mit Freunden über die derzeitige Popmusik, dann ist es oft so, dass für viele der Pop seine Seele verloren hat. Doch es gibt auch Hoffnungsschimmer am Pop-Himmel – die Leipziger Band „Babykopfjunge“ ist ein solcher …

Redet man mit Freunden über die derzeitige Popmusik, dann ist es oft so, dass für viele der Pop seine Seele verloren hat. Keine Experimente, es klingt alles sehr ähnlich und die Texte sind banaler als die Bekanntgabe der gezogenen Lottozahlen. Doch bläst man den Staub der Radiosender sowie der Popdinos beiseite und taucht ab in das Meer der Nachwuchsbands, entdeckt man wahre Perlen, die nur darauf warten, gefunden zu werden. Also packt euren Taucheranzug ein, wir nehmen euch mit in die Untiefen zu einer Band, die sogar den Quallen ein Lied gewidmet hat. 

 

© Jennifer Ressel

An einem kalten und regenreichen Mittwochabend locken die Cafés dieser Stadt mit ihren warmen Lichtern und ihrer Versprechung auf einen herz- und seelenwärmenden Cappuccino. So treffen wir in der Dankbar Julian und Johannes, die Macher hinter dem Projekt von Babykopfjunge. Die beiden wirken sehr entspannt und reden mit uns über ihre Musik und den Entstehungsprozess zu ihrem aktuellen Album „Anthropozän“. Sehr schnell wird im Gespräch klar, dass es sich hier um ein sich langsam, aber dafür stetig gewachsenes Projekt handelt, das beiden sehr am Herzen liegt. „Wir kennen uns schon seit der Zeit in Marburg. Dort haben wir studiert, gründeten dann eine Band – noch unter einem anderen Namen – und hatten immer viel gejammt. Als wir dann geschlossen nach Leipzig gezogen sind, die Gruppe allerdings auseinanderbrach, wollten ich und Johannes weiterhin gemeinsam Musik machen und haben deshalb Babykopfjunge gegründet“, verrät uns Julian. Die Jungs sind beim Label Ketzerpop untergekommen, das verschiedene Bands beherbergt und dessen Mitglieder sich gegenseitig unterstützen, also quasi als ein Kollektiv agieren. So ist Johannes z.B. noch in der Band Apollo Static. Durch einen Liveauftritt mit jener lernte er den Bassisten Philipp kennen, der an dem Abend mit seiner Band ebenfalls einen Auftritt hatte. Julian wiederum lernte durch einen Freund aus Berlin Knut kennen, der dann der neue Trommler der Band wurde. Mit diesem Line-up sind sie nun seit etwa drei Jahren unterwegs.

 

© Jennifer Ressel

Nichts als Pop

„Wenn man Pop mag, kommt auch Pop am Ende raus.“ So zumindest bringt es Julian auf den Punkt. Tatsächlich hat die Musik von Babykopfjunge wirklich diesen Popeinschlag, von dem die beiden sprechen. Hört man Lieder wie „Frau Schumann“ oder „Quallen“, erinnern sie an Element of Crime, Die Höchste Eisenbahn und auch Tomte. Die Lieder sind smooth, allesamt tanzbar, die Gitarre klingt glasklar und der Gesang schmeichelt sich ins Ohr. Unaufgeregt singen sie vom „Abfall der Gesellschaft“, wie sie den Inhalt ihrer Texte selbst beschreiben. Es fällt auf, dass sie die Leute, die sie in ihrem Alltag sehen, genau beobachten und selbst belangloseste Momente („Im Angebot war Fischfilet“) in Poplieder verpacken können. Neben den ausgefallenen Songlyrics sticht vor allem der Name des Erstlingswerkes der Gruppe hervor: Anthropozän, d. h. das Zeitalter der Menschheit. „Ich hatte das Wort aufgeschnappt, als ich im Zuge meiner Dissertation einen Artikel darüber las und dachte mir, dass das als Albumtitel eine coole und vor allem neue Idee wäre. Dabei sei das Thema des Anthropozäns popkulturell weitgehend abgefrühstückt, wie man mir später verriet“, gesteht Johannes. Julian fügt hinzu: „Wir sind mit Anlauf zu spät gekommen.“ Nicht nur der Albumtitel ist freaky, auch der Bandname ist speziell: „Der Name geht auf einen Blumentopf zurück, der bei einem unserer Jams im Zimmer stand. Der sah aus wie ein Babykopf von einem Jungen“, offenbart uns Johannes.

Es ist kompliziert

Doch so schwerfällig der Titel der LP und der Bandname auch sein mögen, so leicht wirkt ihre Musik. Die spielerischen und filigranen Klänge wechseln zwischen sich explosionsartig aufschwingenden instrumentalen Phasen, die auf der Tanzfläche jeden mitreißen. Auf die Frage, was ihre Konzerte so besonders macht, sagen sie: „Wir neigen dazu, es uns selbst gern unnötig schwer zu machen. Bei unseren Auftritten haben wir über uns riesengroße Masken, die sogar leuchten und die mittels einer Paintballweste an uns befestigt sind. Früher hatten wir dafür ein sehr kompliziertes Gurtsystem, dass es uns unmöglich machte, auf der Bühne abzugehen“, lachte Julian. Johannes ergänzte: „Bei unseren ersten Auftritten hatten wir sogar übereinander gespielt, in einem überdimensionierten Kostüm. Das war unglaublich aufwendig, aber null komfortabel.“ 

Sie selbst sehen sich eher als Liveband, die versucht hat, bei den Aufnahmen im Studio diese Konzertatmosphäre einzufangen. Ein schwieriges Unterfangen, wie uns die beiden sagen: „Wir hatten bei unseren Auftritten immer ein sehr dankbares Publikum. Dadurch wirkte die Musik immer gleich viel besser, als sie dann auf Band war. Wir mussten daher eine Menge ausprobieren, um das Feeling von der Tanzfläche ins Studio und damit auf Platte zu übertragen“, so Julian. Doch der Aufwand hat sich letztlich gelohnt. Denn die Musik lief sogar schon im BBC Radio! Ein Blogger versorgt den Radiomoderator Tom Robinson immer mit „new music from Germany“ und hat dadurch die Band einem breiteren Publikum fernab unserer Grenzen bekannt gemacht. „Da waren wir selbst überrascht. Damit rechnet man doch nicht. Aber wir haben uns darüber naürlich mega gefreut“, meinten die beiden. Auch der MDR ist auf die Band aufmerksam geworden und hat zur Corona-Anfangszeit eine Spotify Playlist mit Babykopfjunge und vielen anderen Künstlern angelegt, die zur Unterstützung der lokalen Acts dienen soll.

Bedingt durch die derzeitige Lage ist es etwas ruhiger um die Band geworden. „Wir hätten natürlich gern unser Album live promoted. So ist es natürlich schade, als es im März erschien und dann alle Clubs dicht waren. Aber wir sehen trotzdem positiv in die Zukunft und planen für das nächste Jahr ein paar Ideen. Noch ist es nichts Konkretes, also sollte man unsere Bandseiten immer schön im Auge behalten, wenn es etwas Neues gibt“, verraten uns die beiden zum Schluss.

Wenn wir euch auf den Geschmack gebracht haben und ihr die Tanzflächen Leipzigs zu euch ins Wohnzimmer holen und durch die Musikanlage erleben wollt, dann legen wir euch Babykopfjunge wärmstens ans Herz.

www.facebook.com/babykopfjunge